Sein juristischer Rat und seine Erfahrung als Restrukturierungexperte sind begehrt:
Unser CEO Martin Hammer hat Dr. Lars Westpfahl, Restrukturierungsexperte der Wirtschaftskanzlei Freshfields, zu den wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Krise interviewt:

Rächt sich jetzt die “Politik des billigen Geldes”? Passen nur die systemrelevanten Konzerne unter den Corona-Schutzschirm? Wird der präventive Restrukturierungsrahmen nun schneller durchgesetzt werden und was erwartet den deutschen Mittelstand? Erfahren Sie mehr! 

MH: Herr Dr. Westpfahl, vorneweg die für mich kriegsentscheidende Frage: Welche konkreten Empfehlungen geben Sie Ihren jetzt in Liquiditätsprobleme kommenden Kunden?

LW: Momentan empfehlen wir unseren Mandanten, in jedem Fall alle Möglichkeiten, die sich jetzt von staatlicher Seite auftun, so zeitnah wie möglich zu verfolgen und dann auch alle Möglichkeiten auszuschöpfen – angefangen mit Kurzarbeitergeld über steuerrelevante Stundungsmöglichkeiten bis hin zu Staatshilfen. Und da wir mit einer Menge von Konzernen zu tun haben, die nicht nur in Deutschland tätig sind, sondern auch im Ausland, raten wir auch dazu, die staatlichen Unterstützungsmöglichkeiten in diesen Ländern zu prüfen.

Man sollte in jedem Fall jetzt beginnen, seine Möglichkeiten zu überprüfen und sie wahrzunehmen. Dabei gibt es eine Reihe von Unternehmen, die ganz unmittelbar und jetzt sofort voll betroffen sind. Und dann gibt es welche, die sind noch nicht unmittelbar betroffen, aber auch denen sagen wir: Seht lieber jetzt, dass ihre eure Liquidität zusammenhaltet und schaut euch all’ diese Maßnahmen an, denn in ein paar Wochen – und vielleicht wird es auch noch länger gehen – werdet ihr eure Liquidität brauchen.

MH: Sie haben die Krisen in 2001 – 9/11 und die Internetblase – sowie 2008 – die Lehmann-Pleite – miterlebt. Was unterscheidet die aktuelle Corona-Pandemie von den vorherigen Krisen?

LW: Auf jeden Fall die Geschwindigkeit. Was 2008 passiert ist und wie schnell sich die Bedingungen damals verändert haben – das war schon aus damaliger Sicht enorm. Ich erinnere, wie schnell beispielsweise große Teile unserer Sozietät nur noch mit Krisen-Themen beschäftigt waren. Aber die Geschwindigkeit jetzt gerade stellt das locker in den Schatten: Die Geschwindigkeit, mit der hier Unternehmen mehr oder weniger von heute auf morgen einen enormen Liquiditätsbedarf haben, ist beängstigend und gewaltig. Besonders betroffen sind insbesondere Fluglinien, Touristik-, Hotel- und Gastronomieunternehmen.

Daraus rekrutieren sich auch die Fälle, die jetzt als erste zu uns kommen und die wir gerade dabei beraten, Staatshilfe zu beantragen. Das sind enorme Beträge! Es sind ja auch große Unternehmen, die ihr Geschäftsmodell mal eben komplett oder zu großen Teilen in den Winterschlaf versetzen mussten – trotzdem aber Fixkosten haben. Daraus ergeben sich außerordentliche Liquiditätsbedarfe. Man wird jetzt sehen, ob die zivilrechtlichen Änderungen dazu führen, dass auch die Liquiditätsbedarfe ein bisschen kleiner werden, aber trotzdem reden wir natürlich über riesige Summen.

MH: Damit sprechen Sie ein konkretes Thema an: Nahezu alle Unternehmen bekamen bis zur Corona-Krise jeden Kredit zu sehr guten Konditionen – sprich: zu sehr wenig Zinsen. Trotzdem haben aber sehr wenige Unternehmen hohe Liquiditätspolster geschaffen. Rächt sich jetzt aus Ihrer Sicht die “Politik des billigen Geldes”? Und muss durch die Corona-Krise nicht ein diametrales Umdenken in den Köpfen der Wirtschaftsführer stattfinden, damit genau für solche extremen Krisen nicht immer der Staat zur Hilfe gerufen werden muss?

LW: Ja, das kann ich schon gut nachvollziehen. Wir haben schon länger gesagt: Wir wundern uns, dass viele Firmen ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben und – weil sie einfach billiges Geld bekommen haben – damit gearbeitet haben, aber eben nicht gleichzeitig all das getan haben, was ihnen jetzt helfen könnte. Ob man so etwas regulatorisch angehen könnte, vermag ich nicht zu sagen. Jedenfalls ist es so, dass die Unternehmen jetzt keine ausreichenden Liquiditätspolster haben. Bei Unternehmensgruppen wie Banken kann man regulatorisch vorgehen, bei sonstigen Unternehmen ist das schwierig.

MH: 1,2 Billionen sollen nun in die deutsche Wirtschaft gepumpt werden, um die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Krise abzufedern. Wir haben allerdings heute schon, statistisch gesehen, circa 5 bis 10% sogenannte “Zombie-Firmen”. Wie ist Ihre Einschätzung: Werden diese Unternehmen unter den „Corona-Schutzschirm“ kommen und auch diese KfW-Fördermittel erhalten?

LW: Ich glaube, dass im Zweifel auch die Unternehmen, die als "Zombie-Firmen" bezeichnet werden, staatliche Unterstützungsleistungen bekommen. Es gibt da bestimmte Parameter, die erfüllt sein müssen, damit diese Unternehmen sich für Staatshilfe qualifizieren. Da gibt es ja diverse Programme: Es gibt Bundesprogramme und es gibt natürlich auch Beihilfe auf Landesebene. Vom Grundsatz her müssen Parameter erfüllt sein, wie beispielsweise der statische Verschuldungsgrad und das Vorhandensein von Eigenkapital zu einem bestimmten Stichtag.

Hier muss der Einzelfall geprüft werden. Wahrscheinlich können viele dieser Unternehmen diese Kriterien erfüllen und werden dann wohl weitere Schulden auf sich laden. Das ist so und wird dazu führen, dass – sobald die Auswirkungen dieser Pandemie abgeklungen sind – wir eine Riesenwelle an finanziellen Restrukturierungen bekommen werden. Bei den ganz großen Unternehmen könnte es anders kommen – die Gesetze sind ja gerade verabschiedet worden: Bei den ganz großen Konzernen plant der Staat, ins Eigenkapital zu gehen – was übrigens total sinnvoll ist. Bei der Vielzahl der Unternehmen, die kleiner sind, wird das nicht der Fall sein. Daraus werden die ganzen finanziellen Restrukturierungen resultieren und das wahrscheinlich in einer Phase, in der wir noch nicht den präventiven Restrukturierungsrahmen haben werden. Der ist dann aber extrem wichtig für uns.

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MH: Was denken Sie: Wird der präventive Restrukturierungsrahmen nun – aufgrund der für die Wirtschaft existenziellen Situation – schneller durchgesetzt werden? Welche Auswirkungen werden sich dadurch im Zeitalter der Werksschließungen durch die Corona-Pandemie ergeben?

LW: Ich glaube, er wird früher umgesetzt werden als geplant, aber das wird noch ein paar Monate dauern. Wenn man die ganzen Diskussionen und Gesprächsrunden beim BMJV mitverfolgt, weiß man: Der Teufel steckt im Detail. Es ist ein Gesetz, was gar nicht so lang, dafür aber sehr komplex ist. Ich glaube, das BMJV hat schon einen Vorschlag in der Tasche und ist relativ schnell schussbereit. Allerdings wäre es sinnvoll, wenn der Gesetzesentwurf zunächst noch einmal zur allgemeinen Diskussion gestellt wird. Eine Alternative wäre, dass man vielleicht kurzfristig bestimmte Maßnahmen aus der Restrukturierungsrichtlinie in Kraft setzt, wovon ich aber nicht ausgehe. 

MH: Sie sprachen es schon eben mit den finanziellen Restrukturierungen an: Wie schätzen Sie die mittelfristigen Auswirkungen auf die Unternehmen ein – gerade im Hinblick auf die Jahre 2021/22? Wann wird der Peak-Point sein?

LW: Das ist schwer zu beurteilen. Ich glaube, zum einen hängt es natürlich davon ab, wie lange wir uns jetzt mit dem Problem beschäftigen müssen. Es kann gut sein, dass man in wenigen Wochen wieder sagt, man könne alles wieder langsam hochfahren. Aber genauso kann eine neue Corona-Welle kommen. Sagen wir, letzteres wird nicht der Fall sein: Dann wird es als erstes zu dem Zeitpunkt kritisch, in dem die Insolvenzantragspflicht wegen Überschuldung wieder gilt. Als nächstes werden die Jahresabschlüsse Ende 2020 relevant. Spätestens wenn die Laufzeiten der bestehenden Kredite und auch die Laufzeiten der jetzt staatlich gesicherten Kredite ablaufen, folgt der nächste Peak. Vermutlich wird das in den Jahren 2021 und 2022 sein. Vielleicht schon früher, weil die Unternehmen gar nicht so lange mit diesen Verschuldungen existieren können. Schwer zu sagen. Das wird sich wahrscheinlich über zwei Jahre strecken.

MH: Ich komme nochmal zurück auf die großen, systemrelevanten Konzerne, wie es exemplarisch die Lufthansa für Deutschland ist: Dort wird sich der Staat mit Eigenkapital beteiligen und entsprechende Mittel zur Verfügung stellen. Nun gibt es aber auch Tausende von durchaus großen Mittelständlern, die den Weg über ihre Hausbank mit Rückverbürgung gehen müssen und bei der Kreditvergabe Nachteile erleiden werden. Wie sehen Sie diese Entwicklung? Wird es ein Zwei-Klassen-System der Auffanglösungen geben?

LW: Eines ist klar: Man muss sich auf jeden Fall zunächst auf die großen Unternehmen konzentrieren – was auch Sinn macht, denn an denen hängen ja auch weitere Unternehmen dran. Insofern ist es also folgerichtig, hier effizient Unterstützungsleistung zur Verfügung zu stellen. Gleichzeitig müsste man natürlich auch den kleineren Unternehmen schnell Hilfe zukommen lassen, aber ich glaube, das wird ein praktisches Problem werden.

Die KfW wird aktuell geflutet mit Anträgen auf Bürgschaftsunterstützung, kann das aber praktisch gar nicht sofort vollumfänglich leisten, denn auch dort arbeiten viele Menschen nun im Home-Office oder sind schlicht krank. Ich glaube, in der Tat wird es für viele Unternehmen extrem lange dauern, bis sie Unterstützung bekommen. Einige von ihnen werden immerhin von der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht profitieren. Der gute Wille ist, glaube ich, da, aber rein logistisch wird es nicht möglich sein, allen gerecht zu werden. Natürlich wird es hier unterschiedliche Prioritäten geben.

MH: Nun haben sowohl Restrukturierungsberater als auch Insolvenzverwalter mit einer komplett neuen Situation zu tun. Was wird sich aus Ihrer Sicht für diese beiden Gruppen ändern und was wird mit den sehr formellen, heute gültigen und standardisierten Gutachten nach IDW S6 oder S11 passieren? Meinen Sie, diese werden durch eine verkürzte Prüfungsmethode bei der Vergabe von Notkrediten ersetzt?
LW: Für die Restrukturierungsberater ändert sich natürlich vorübergehend die Arbeitsweise: Sie können ihre Arbeit nicht unmittelbar beim Kunden ausführen. Und wenn man das nicht kann, herrschen einfach erschwerte Bedingungen. Bei den Beratern, die operativ tätig sind, ist die Beratung natürlich momentan on hold, denn in dem Maße, in dem Unternehmen ihre Aktivitäten nun zurückgefahren oder stillgelegt haben, kann natürlich nicht in gleicher Weise wie vorher beraten werden. Die Beratungsleistung wird natürlich umso bedeutsamer werden, wenn wieder alles hochgefahren wird.

Bei den Gutachten beobachten wir, dass es bei den Anträgen auf Staatsbürgschaft heißt: Es muss eine Durchfinanzierung und eine Fortbestehungsprognose gegeben sein. Allerdings kann es insoweit nicht auf ein IDW S6-Gutachten ankommen. Es reicht vielmehr, wenn man ein plausibles Szenario aufzeigen kann. Hierzu muss man die Restrukturierungsberater, die in der Vergangenheit IDW S6-Gutachten erstellt haben, beauftragen.

Was die Insolvenzen betrifft: Es wird noch etwas dauern, bis die große Welle an Insolvenzanträgen auf uns zukommt, da momentan die Insolvenzantragspflicht ausgesetzt ist. Aktuell können Insolvenzverwalter vergleichsweise wenig für insolvente Firmen tun. Sie finden in der jetzigen Situation keine Käufer. Sie haben gar kein lebendiges Geschäft, was sie fortführen könnten. Wenn die Geschäfte wieder hochgefahren werden, wird es natürlich eine Menge zu tun geben.

MH: Das sehen wir genauso. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Dr. Westpfahl.

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