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Aktuell ist der Coronavirus Thema Nr. 1 – auch bei uns steht er ganz klar im Fokus:
Werden das milliardenschwere Hilfsprogramm und die steuerpolitischen Maßnahmen der Bundesregierung ausreichen, um die Auswirkungen der Pandemie abzufedern? Mit welchen konkreten Fragestellungen wenden sich Unternehmen und Finanzinstitute an uns und welche Instrumente sollten Unternehmen jetzt verstärkt nutzen, um ihre Liquidität zu sichern?

Darüber spricht Martin Hammer, CEO von enomyc in unserem aktuellen Blog-Artikel. Wenn Sie seinen Ausführungen lieber lauschen möchten, können Sie dies mit Klick auf Soundcloud, Spotify, Apple Podcasts oder Deezer.

Herr Hammer, was hat sich bei Ihnen durch den Coronavirus verändert? Arbeiten Sie aktuell auch mehr im Home Office? 

Bei mir hat sich nicht viel verändert – ich bin Gott sei Dank nicht infiziert. Aber mein Arbeitsalltag hat sich maßgeblich verändert: Wir stellen aktuell komplett auf Remote um. Zwar sind wir als Berater seit vielen Jahren mit dem Laptop unterwegs und da relativ flexibel und natürlich gehören auch Skype, Telefon- oder Zoom-Konferenzen sowie auch Sharepoint zu unserem Arbeitsalltag. Aber: Die jetzige Situation erschwert es uns zunehmend, unsere Kunden mit unserem Beratungsansatz "Face-to-Face" zu sehen. Es gibt – immer branchen- und mandatsabhängig – gewisse Beratungsleistungen, die vor Ort stattfinden müssen, bei denen man nicht auf den direkten Kundenkontakt verzichten kann. Nehmen wir operative Themen in produzierenden Betrieben, aber auch Themen, die den Einzelhandel betreffen.

 

Was halten Sie denn bislang von der Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesregierung? Kurzarbeit ist ein Thema und Steuererleichterungen. Meinen Sie, die aktuellen Maßnahmen – das milliardenschwere Hilfsprogramm oder die steuerpolitischen Maßnahmen – reichen, um die Auswirkungen der Pandemie abzufedern? 

Vorab, um die Worte unserer Bundeskanzlerin zu zitieren: Die Maßnahmen sind ja alternativlos. Die gesamte deutsche Industrie steht still und gleichzeitig über Kopf. Diese Maßnahmen sind ja zum Teil neu und niemand kann genau vorhersagen, wie sich die Entwicklungen genau auswirken werden. Zurzeit ist da eine relativ große Unruhe. Wir merken an den Anfragen, die wir bekommen, dass Planlosigkeit herrscht. Klar, viele Unternehmen haben Kurzarbeit beantragt, das ist auch das Gebot der Stunde, denke ich. Zu den Steuererleichterungen gibt es auch schon erste Empfehlungen, aber auch die müssen erstmal so umgesetzt werden, dass sie nachher auch liquiditätswirksam beim Kunden werden. Ich denke, da ist die Bundesregierung auf dem richtigen Weg.

Und was das milliardenschwere Hilfsprogramm angeht?
Auch das ist alternativlos. Allerdings hat ja die KfW ihr Kreditprogramm um 90 Milliarden auf 540 Milliarden erhöht. Wir haben Zweifel, ob diese 90 Milliarden zusätzliche Gesamtkreditierung ausreichen werden für die Krise, die aktuell wie ein Tsunami auf uns zurollt. Des Weiteren haben wir natürlich im moment die Situation, dass diese – mit Rückbürgschaften versehenen – KfW-Kredite nur zu 80 Prozent pro Kunde gegeben werden, das heißt 10 bis 20 Prozent soll die Hausbank oder die finanzierende Sparkasse in ihr eigenes Exposure nehmen. Ich habe ganz große Zweifel, dass sich diese Praxis durchsetzen wird, weil einfach das Risiko für die einzelne Bank sehr groß sein wird. Führende Banken, die beispielsweise 10 Milliarden vergeben, haben dann ja trotzdem ein Restrisiko von ein bis zwei Milliarden. 

Nun werden in dieser Woche, so wie ich gehört habe, Gespräche in Brüssel geführt, in denen es darum gehen wird, dass die Rückverbürgung auf 100 Prozent aufgestockt werden soll, sodass die Banken praktisch zu 100 Prozent den kreditsuchenden Unternehmen einen rückverbürgten Kredit übergeben können. 

Diese milliardenschwere Kredite werden helfen, denn – ich zitiere meinen Kollegen Georgiy Michailov, der heute bei Linkedin schrieb:  "Zurzeit wird nicht derjenige überleben, der das beste Geschäftsmodell hat, sondern derjenige, der es schafft, ausreichend Liquidität zu sichern!", aber: Sie werden natürlich, aus meiner Sicht, auch die Wirtschaft nachhaltig negativ prägen. 

Martin Hammer CEO enomyc

Können Sie ein konkretes Beispiel aus der Praxis geben? 

Ein gesundes Unternehmen, dass 100 Millionen Umsatz erwirtschaftet und einfach exemplarisch 30 Millionen Kreditvolumen bei unterschiedlichen finanzierenden Instituten vorhält, selber aber ein operatives Ergebnis, also ein EBITDA, von 10 Millionen erwirtschaftet, hat sozusagen eine Dreifachverschuldung: 30 Millionen Verschuldung zu 10 Millionen operativem Ergebnis. 

Was passiert jetzt? Jetzt wird dieses Unternehmen einen Kreditantrag stellen, wird vielleicht 10 Millionen zusätzliche Kreditlinie beantragen. Dann hat es 40 Millionen Kreditlinie und wird die jetzige Krise überleben, aber: Es hat ja trotzdem 10 Millionen mehr Kreditschulden, die irgendwann zurückgezahlt werden müssen. 

Wenn nun, durch die Auswirkungen der Corona-Krise, im nächsten Jahr immer noch die Auswirkungen der Krise zu verspüren sind, haben wir folgende Situation – und das ist eben die gelebte Praxis: Ein solches Unternehmen wird im operativen Ergebnis, aufgrund dieser ganzen Marktverwerfung, mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vielleicht nur noch 8 Millionen aufweisen – dann aber 40 Millionen Schulden haben. Dann sprechen wir von einem fünffachen Leverage! Das ist dann ein Sanierungsprojekt. 

Das heißt, wir haben hier zwei unterschiedliche Komponenten, die hier gegeneinander laufen. Wir haben eigentlich kerngesunde Unternehmen, die sich nun aufgrund der besonderen Situation verschulden müssen, die dann durch die entsprechende Marktentwicklung in diesem oder noch im nächsten Jahr Auswirkungen in der Ergebnissituation zu verantworten haben – bei dann gleich höherer Verschuldung. Das heißt: Die wirkliche Auswirkung dieser ganzen Kreditierung wird erst in den Jahren 2021 und 2022 mit voller Härte durchschlagen. Und das ist natürlich etwas, was im Moment vielleicht niemanden interessiert, weil jetzt jeder erstmal ans Überleben des Unternehmens denkt – was ich auch absolut nachvollziehen kann – was aber mittel- und langfristig katastrophale volkswirtschaftliche Schäden nach sich ziehen wird. 

Wenden sich den Unternehmen schon aktiv mit konkreten Fragestellungen an Sie und wenn ja: Können Sie einige davon nennen?
Ja, es wenden sich sowohl Unternehmen als auch Finanzinstitute und Sparkassen an uns, die die ersten Kreditanträge von ihren jeweiligen Kunden vorliegen haben, die eine Plausibilisierung von Krisenplanung vornehmen wollen. Man möchte eben hier verhindern, dass vielleicht schon angeschlagene oder weniger erfolgreiche Unternehmen unter einen Corona-Schutzschirm klettern, der dann aber vielleicht in einem oder zwei Jahren theoretisch zum gleichen Ergebnis – nämlich zu einer Insolvenz – führen würde. Die sollte man, aufgrund der Vorgeschichte, vielleicht schon jetzt besprechen – das ist sicherlich ein Thema. Deswegen werden sich Finanzinstitute, aus meiner Sicht, entsprechende Second Opinions von einer dritten Seite einholen, sprich: von Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, Rechtsanwaltsgesellschaften und Beratungsgesellschaften. 

Auch Direktanfragen von Kunden erreichen uns, die uns nach Soforthilfemaßnahmen befragen und eben auch Bescheid wissen wollen, wie die administrative Handhabe dieser Kreditvergabe anzugehen ist. Da haben wir Gott sei Dank eine relativ umfassende Erfahrung.

Allerdings ist im Moment immer noch nicht geklärt: Werden es 80, 90 oder 100 Prozent Rückverbürgung? Wie ist das gesamte Prozedere zu sehen? Wir stellen auch eine sehr große Verunsicherung bei den Finanzinstituten fest, die mit Sicherheit auf oberster Ebene, direkt mit der Bundesregierung und allen Beteiligten dort, die entsprechenden Konditionen festlegen werden. Und das Ganze muss ja zum Schluss auch über Brüssel laufen. Also, es ist eine schwierige Situation für uns. Wir stehen in den Startlöchern, geben erste Hilfe, aber der Fahrplan pro Unternehmen steht noch nicht so fest. Erst müssen die Rahmenbedingungen so definiert werden, dass wir sie nachher auch umsetzen können. 

Nun gibt es gesundes Geschäft, Unternehmen, die aktuell restrukturieren, aber auch Unternehmen, die sich aktuell in der Insolvenz befinden.

In der Tat. Bei Unternehmen, die sich aktuell in der Insolvenz befinden, könnte man zuerst einmal meinen, dass sie keine Hilfe mehr bräuchten. Das ist natürlich zu kurz gesprungen: Die heutigen professionellen Insolvenzverwalter fahren einen ganzheitlichen Restrukturierungsansatz und wickeln nicht nur ab. Wir selbst betreuen auch Unternehmen, die aus der Insolvenz fortgeführt werden sollen, wie zum Beispiel Lieferanten. 

Nehmen wir beispielsweise Teilelieferanten für Volkswagen: Was die aktuelle, europaweite Schließung aller VW-Werke betrifft, so wird das Auswirkungen haben, die ich nicht vermag, zu benennen. Ich befürchte Schlimmes, denn im Umkehrschluss bedeutet das eine immense zusätzliche Liquidität, die diese Unternehmen aufnehmen müssten – und das in einem Insolvenzumfeld – das ist sicherlich nicht ganz einfach. 

 

Am einfachsten werden es natürlich die gesunden, etablierten Unternehmen haben, aber auch hier gibt es Unsicherheiten. Ich nenne ein Beispiel aus aktuellen Presseberichten: TUI hat den gesamten Geschäftsbetrieb eingestellt. Sämtliche Hotels sind geschlossen, die Fluglinien stehen still, sämtliche Reisen sind storniert worden. Im Moment herrscht Stillstand – und das bei einem großen Weltkonzern. Da reden wir natürlich über andere Kreditlinien und natürlich auch über andere Kreditbedarfe, die hier zur Verfügung stehen, um zehntausende Arbeitsplätze zu retten. Das wird nicht einfach nur mit Kurzarbeit abzufedern sein. Schließlich laufen alle anderen Kosten weiter. 

Im jetzigen Hier und Heute aktiv die Kreditlinien zu bearbeiten, ist schwer. Ich gehe davon aus, dass die Bundesregierung ganz schnell dafür sorgen wird, dass wir eine Planungssicherheit bekommen, dann werden wir alle relativ schnell agieren. Es wird die nächsten Wochen sicherlich keine Wochenenden geben. 

Wie unterstützen Sie Unternehmen und welche Empfehlungen geben Sie aktuell? 

In jedem Unternehmen geht es derzeit wirklich nur um die Liquiditätssicherung. Das ist faktisch so, als würden Sie kurz vor einer Insolvenz stehen. Was machen Sie? Sie werden natürlich eine Liquiditätsplanung vornehmen, die Sie auf Wochenbasis fortführen, um zu sehen, was es für Ein- und Auszahlungen gibt und Ihre Liquidität tagesaktuell steuern. 

Als nächstes geht es um die Quick Wins: sofortige Personalanpassung, Kurzarbeit, steuerliche Themen. Die Bundesregierung bietet unter anderem an, dass Steuervorauszahlungen und Sozialversicherungsbeiträge gestundet werden können – es sollten jetzt alle Register gezogen werden, um liquiditätsschonend vorzugehen.

Klar, der eine oder andere wird vielleicht sogar eine Betriebsausfallversicherung haben, aber zum Schluss geht es ganz vereinfacht um die konsequente tagesaktuelle oder stundenaktuelle Steuerung der Liquidität. Sämtliche Investitionen – alles, was mit Geldausgabe zu tun hat – sollte jetzt auf ein absolutes Minimum reduziert werden. 

Liquiditätssteuerung ist unser Tagesgeschäft – darum geht es bei uns seit fast 20 Jahren. Wir haben natürlich eine Vielzahl von zusätzlichen Stellschrauben, die wir zur  Liquiditätssteuerung entsprechend bei unseren Kunden einsetzen und sie so bedienen können. 

Gibt es auch Gewinner in dieser Krise? Welche Branchen profitieren Ihres Erachtens stark von der aktuellen Situation?

Das ganze E-Commerce wird über die nächsten Monate explodieren. Wie wir der Presse entnehmen können, ist Amazon aktuell auf der Suche nach 100.000 neuen Arbeitskräften – das ist eine gewaltige Zahl. Und natürlich wird es weitere Branchen geben, die Nutznießer sein werden. 

Alle die, die heute schon sehr weit digital und fortschrittlich aufgestellt sind, werden sicherlich als Gewinner aus dieser Krise hervorgehen. Und erlauben Sie mir diese Bemerkung: Auch die Anwälte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Berater werden dazugehören. Zu guter Letzt, glaube ich persönlich, werden auch auch noch die Scheidungsanwälte profitieren, sollte die Ausgangssperre über Monate hinweg gelten.

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