In der Immobilienwirtschaft schien es in den vergangenen Jahren nur eine Richtung zu geben: nach oben, und zwar ganz steil. Doch Corona, Ukrainekrieg und die dadurch hervorgerufenen Lieferkettenprobleme haben den Boom ins Stocken gebracht, Material und Kapazitäten sind Mangelware.
Wie geht es weiter? Welche Entwicklungen werden den Markt in den nächsten Jahren prägen? Und wie wird sich der Beratungsbedarf der Unternehmen dadurch verändern? Dazu haben wir Matias Otto befragt. Seit 2021 verantwortet er als Partner den Bereich Real Estate bei enomyc. Seine Schwerpunkte sind Transaktionen von Grundstücken und Immobilien mit zahlreichen Schnittstellen zu Beratungsmandaten mit Immobilienbezug sowie insbesondere zum Bereich Distressed M&A.
Herr Otto, Sie haben in Braunschweig und Florenz Architektur studiert und waren danach bei einer der renommiertesten Adressen der Architektenbranche beschäftigt. Haben Sie den Abschied aus diesem kreativen Umfeld nie bereut?
Sagen wir so: Das war eine wunderbare Zeit, die ich nicht missen möchte. Ich habe bei einem der beiden Protagonisten des Büros mein Diplom gemacht und hatte dann die Chance, direkt dort anzufangen. Meine Tätigkeit dort war die Erfüllung eines Wunsches, um nicht zu sagen, eines Traums von mir.
Berufsbegleitend haben Sie später Immobilienökonomie studiert und sind in die Projektentwicklung gewechselt, bevor Sie in die Beratung kamen. Wie würden Sie diese Perspektivwechsel beschreiben?
Es gibt Unterschiede und Gemeinsamkeiten. Um mit den Gemeinsamkeiten anzufangen – und das macht den Bereich der Immobilien, der Architektur und der Planung generell so spannend: Jede Aufgabe ist neu, jede Immobilie und jedes „Produkt“ unterscheidet sich in ganz vielen Dimensionen vom anderen. Obwohl ich jetzt seit fast 25 Jahren in der Branche bin, ist mir deswegen nie langweilig geworden.
Aber es gibt natürlich auch Situationen, in denen man vom Perspektivwechsel, also den Unterschieden, stark profitiert. So ist es für mich sicherlich von Vorteil, dass ich meine ersten sieben Berufsjahre als Planer verbracht habe. Dadurch weiß ich, wie eine Immobilie „funktioniert“, wie die unterschiedlichen Gewerke ineinandergreifen, wo die Schnittstellen und die Herausforderungen liegen.
Als Developer ist man dagegen eher in einer generalistischen Managementfunktion. Als Bauherrenvertreter begleitet man die Entwicklung einer Immobilie, arbeitet mit den unterschiedlichen Playern zusammen, muss aber immer auch wirtschaftliche und rechtliche Aspekte im Auge haben. All diese Erfahrungen, die planerischen und die immobilienwirtschaftlichen, kommen mir jetzt in der Beratung zugute.
Wie profitieren Ihre Kunden davon?
Indem sie mit uns einen Partner haben, der sie bei komplexen Fragestellungen begleitet – auch bei solchen, an die sich unsere Wettbewerber häufig nicht rantrauen. Genau in diesen Situationen können wir unser Potenzial voll entfalten, weil wir alle möglicherweise damit verbundenen weiteren Experten im Haus haben, also etwa Sanierungs- oder Finanzierungsexperten beispielsweise für Sale-and-Lease-Back-Projekte, Experten für Insolvenzrecht oder Distressed M&A.
Das heißt im Umkehrschluss nicht, dass wir nicht auch Mandate annehmen, bei denen es simpler zugeht, also zum Beispiel Transaktionen mit überschaubarer Komplexität begleiten. Grundsätzlich sind wir so aufgestellt, dass wir unsere Expertise bei größeren und auf zahlreichen Ebenen verknüpften Themen besonders gut ausspielen können. Wir bieten das Know-how, das Kunden sonst in verschiedenen spezialisierten Boutiquen einkaufen müssten, aus einer Hand.
Würden Sie sagen, dass es das ist, was die Real Estate-Beratung bei enomyc vor allem vom Wettbewerb unterscheidet?
Ich denke, dass es nicht sehr viele Anbieter am Markt gibt, die als Berater ein so tiefes immobilienspezifisches Verständnis und gleichzeitig einen vergleichbaren Track Record in der leistungswirtschaftlichen Beratung mitbringen, also ein Verständnis des gesamten Unternehmens. Gerade wenn Sie an Umnutzungen, Transaktionen und ähnliche Aufgabenstellungen denken, dann sind die ja stets im Kontext der Unternehmensentwicklung insgesamt zu sehen. Wo will das Unternehmen eigentlich hin, wo steht es gerade leistungswirtschaftlich und wie kann der Bereich Immobilien möglicherweise helfen, die gesetzten Ziele zu erreichen? Diese umfassende Perspektive unterscheidet uns deutlich von den meisten Mitbewerbern am Markt.
Welche Entwicklungen werden den Bereich Real Estate Ihrer Einschätzung nach in den nächsten Jahren prägen?
Was die aktuelle Phase von anderen unterscheidet, ist ja, dass so vieles zusammenkommt. Natürlich gab und gibt es auch in der Immobilienwirtschaft Zyklen und immer wieder kleinere und größere Krisen, etwa die Bankenkrise im Jahr 2008. Aber momentan ist die Krise fast das „neue Normal“, denn alle Makrothemen wie Corona, die Lieferkettenproblematik, der Krieg in der Ukraine usw., sie alle hinterlassen auch in der Immobilienwirtschaft ihre Spuren, vor allem bei den Baukosten und Baukapazitäten und somit indirekt auch in den Vertragsverhältnissen der Bauausführenden, Entwickler und Investoren.
Die Baukosten steigen derzeit in einem Maß, wie wir es uns bislang niemals hätten vorstellen können. Das wiederum kann zu Problemen in den Unternehmen führen, Stichwort Prolongation von Finanzierungen laufender Entwicklungen, Stichwort Risiko-Renditeanalysen von Projektentwicklern, aber auch von denen, die es letztlich ausführen, also von den Bauunternehmen. Ich gehe deswegen davon aus, dass sich die Systematik von Bauverträgen an vielen Positionen zunehmend in Richtung Preisgleitklausel entwickeln wird. Echte Preissicherheit kann unter diesen Umständen niemand mehr seriös garantieren, jedenfalls nicht über einen üblichen langen Projektzeitraum.
Ähnlich ist die Entwicklung beim Thema Baukapazität. Die Frage, wieviel Kubikmeter oder wieviel Euro man pro Zeiteinheit verbauen kann, wird inzwischen ganz anders kalkuliert. Das wiederum hat nicht nur Auswirkungen auf der Unternehmensseite, also bei denen, die bauen, sondern auch bei den Projektentwicklern oder Bauträgern, weil die ihren Endkunden nicht mehr so wie früher ohne Risiko versprechen können, dass ein Projekt zum Termin fertig ist und was es dann kosten wird. Das ist jetzt alles deutlich volatiler sowohl auf der Kosten- als auch auf der Zeitseite – und wird auf absehbare Zeit nicht anders werden. Aus meiner Sicht wird das zu vertragssystematischen Änderungen führen.
Was bedeuten diese Veränderungen für enomyc? Wo wollen Sie in den nächsten Jahren strategisch Ihren Schwerpunkt setzen?
Das soll jetzt gar nicht zynisch klingen, aber wenn die See rauer wird, dann sind wir möglicherweise noch mehr gefragt. Der Beratungsbedarf wird weiter steigen. Eine klassische Transaktion zu begleiten, das können andere auch, solange die Aufgabe übersichtlich ist. Aber wenn es schwierig wird und schnell gehen muss, und wenn dann genau die Kompetenz gefragt ist, Schwierigkeiten zu analysieren und Lösungen anzubieten, dann sind wir die Richtigen. Ich gehe deswegen davon aus, dass wir gute Chance haben, noch weiter in diesen Markt vorzudringen und uns in den nächsten Jahren als feste Größe zu etablieren.
Die beiden Verkäufe großer Werftstandorte Anfang dieses Jahres zeigen, dass wir auf unserem Wachstumspfad gut vorankommen. Und sie sind ein gutes Beispiel dafür, wie unsere Kunden vom Zusammenspiel aus Unternehmens- und immobilienwirtschaftlichem Verständnis, also unserem originären enomyc-Profil, profitieren.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Otto.