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Werksverlagerung: Das sind die Dos and Don'ts im Prozess
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Verlagerung, Rückverlagerung, Abwanderung und Neuaufbau: Die geographischen Züge international produzierender Unternehmen wirken wie ein Wimmelbild. Während BASF Anlagen im deutschen Stammwerk schließt und 10 Milliarden in den Bau einer Megafabrik vor der Küste Südchinas investiert, sucht Tesla Alternativen zu Produktionsstandorten in China und Taiwan. Stellantis will seine E-Auto-Produktion in China drosseln und Neura Robotics kehrt noch in diesem Jahr zurück – aus China ins deutsche Stammwerk. Die Gründe für Produktionsverlagerungen sind branchenabhängig, reichen von hohen Faktorkosten über geopolitische Risiken bis hin zur Vermeidung von Strafzöllen.

Weg von Deutschland, hin nach – ja, wohin zieht es produzierende Unternehmen eigentlich? Werden Werksverlagerungen zunehmen? Und was sind die Dos and Don'ts im Verlagerungsprozess selbst? Ein Expertengespräch mit Christian Zeller und Thorsten Holl.

Herr Holl, Sie sind Automobilexperte und sind kürzlich ins Consulting gewechselt. Zuvor waren Sie 25 Jahre bei Bosch. Als Senior Vice President haben Sie das weltweite Produktions-Standortkonzept für die Mobilitätssparte bei Bosch Mobility verantwortet. Wohin fanden Fertigungsverlagerungen noch vor 25 Jahren statt? Und wie ist es heute?

Thorsten Holl: Ende der 1990er-, Anfang der 2000er-Jahre waren es im Wesentlichen Fertigungsverlagerungen Richtung Asien, um die günstigen Faktorkosten mitzunehmen. Sprich: Man hat die Fertigung dorthin verlagert – Stichwort "verlängerte Werkbank Europas" – und die Produkte dann wieder nach Europa gebracht, um sie dort zu verkaufen. Der Trend hat sich dann deutlich verändert: Es wurde interessanter, den chinesischen Markt zu bedienen, also Fertigungen in China aufzubauen mit dem primären Ziel, den lokalen Markt und die entsprechende Nachfrage vor Ort zu bedienen. Das wurde durch den zunehmenden Wohlstand in China vorangetrieben.

Herr Zeller, Sie kennen sich mit Chinas Wirtschaft gut aus, beraten produzierende und technologieorientierte Unternehmen seit über 30 Jahren – auch zu Standortsuche und Neuaufbau von Produktionen. Letzten Sommer titelte Markt und Mittelstand “Der Mittelstand flüchtet nach China”. Nehmen Sie das auch so wahr?

Christian Zeller: Die “Flucht nach China” ist sicherlich genauso gewesen und hat viele Unternehmen im Zulieferbereich dazu gezwungen, den OEMs zu folgen. Denn OEMs schätzen es natürlich bzw. fordern es teilweise explizit, dass Zulieferer werksnah angesiedelt sind. Die werksnahe Ansiedlung wurde und wird stellenweise infrastrukturell auch mit "Supplierparks" genauso geplant und umgesetzt. Viele Mittelständler im Automobilbereich haben in den letzten 20 Jahren teils gezwungenermaßen viel Geld investiert, um mit ihren Werken den OEM-Kunden quasi zu folgen. Wenn aber Auslastungen geringer werden und sich das Konzept nicht mehr rechnet, führt das vielfach zu Schwierigkeiten. Das gilt über Automotive hinaus auch für den gehobenen Mittelstand in anderen Industrien, den Maschinen- und Anlagenbau beispielsweise. Viele Mittelständler haben seit sehr vielen Jahren, neben ihren Vertriebs- und Servicestandorten, Werke in China und anderen Ländern in Asien – und auch die rechnen sich nur, wenn Auslastung und Produktivität stimmen.

Hier spielen sicher auch geopolitische Veränderungen eine große Rolle.

CZ: Ja, China wird in Summe mittlerweile sicher kritischer gesehen als noch vor fünf Jahren. Seine Corona-Politik hat schon für große Verwerfungen gesorgt. Auch die Taiwan-Situation wird heute von Experten anders bewertet als noch vor Beginn der Ukrainekrise. Hinzu kommen fragile Lieferketten – ich denke dabei auch an die feststeckende Evergreen im Suezkanal oder an die Angriffe der Huthis im Roten Meer. Die steigenden Faktorkosten in China tun ihr Übriges. Das alles lässt Unternehmen, was ihre Investitionen betrifft, umdenken.

Gibt es Alternativen zu China? Stellen Sie neue Favoriten und Tendenzen fest?

CZ: Ja, ich beobachte wieder verstärkt den Auf- bzw. Ausbau von Produktionskapazitäten, unter anderem in der Türkei. Auch Länder in Nordafrika profitieren, darunter Ägypten. Die USA haben durch den IRA, mit schnelleren Zulassungsverfahren und weniger Regulierungen sicher Standortvorteile, ebenso auch durch das Freihandelsabkommen mit Kanada und Mexiko (USMCA). Innerhalb der EU erlebt beispielsweise Portugal eine Renaissance. Aber auch das östliche und südöstliche Europa sind anhaltend gefragt. Wenn sich die Rahmenbedingungen in Deutschland nicht schnell und signifikant ändern, ist aus meiner Sicht auch von weiteren Produktionsverlagerungen weg aus Deutschland auszugehen.

Herr Holl, was schätzen Sie: Werden Produktionsverlagerungen im Bereich Automotive weiter zunehmen? Und wenn ja, tendenziell weiterhin nach China oder gibt es auch hier eine Umorientierung?

TH: Ich glaube auch, dass Produktionsverlagerungen weiterhin auf der Tagesordnung bleiben werden – insbesondere in Niedrigkostenstandorte. Im Bereich Automotive findet parallel eine Transformation statt – weg vom Verbrenner hin zur Elektromobilität. Das bedeutet einen Rückgang in den Stückzahlen für Verbrennerkomponenten und damit auch, dass Werke mit den bestehenden Produkten wirtschaftlich nicht mehr darstellbar sind. Deswegen werden zukünftig auch die Standorte infrage kommen, die Herr Zeller nannte. Südeuropa sehe ich eingeschränkt. Portugal ist zwar aufgrund der im Vergleich zu Westeuropa geringeren Personalkosten attraktiv, logistisch aber zumindest für die Automobilindustrie eher schwierig. Durch die Randlage in Europa befindet es sich weit weg von vielen großen Fertigungsstandorten der OEMs. Das gleiche gilt teilweise auch für Südosteuropa. Die Türkei ist aufgrund der Faktorkosten ein Thema. Und auch Rumänien. Aber grundsätzlich gilt – und das verfolgen wir gemeinschaftlich in der Ukraine mit – dass sich Unternehmen unbedingt das Risikoprofil eines Landes bewusst machen müssen, bevor sie große Summen in ihre Fertigungsverlagerungen investieren. Es gilt die Fragestellung: Wo gibt es zwar Faktorkostenvorteile, aber gleichzeitig politische Stabilität und idealerweise auch den Schutzschirm der NATO?

Sie haben solche Fertigungsverlagerungen aus dem Unternehmen heraus angeleitet. Was wird aus Ihrer Sicht oft im Prozess unterschätzt?

TH: Ich denke, die Berücksichtigung der Mitarbeiterperspektive wird oft unterschätzt. Denn sobald die Verlagerung offiziell angekündigt wird und es in die Umsetzung geht, sind viele Mitarbeiter demotiviert. Einige verlassen das Unternehmen vorzeitig. Für Unternehmen ist das ein sehr kritischer Faktor: Sie verlieren einerseits Arbeitskräfte, die sie in der Situation ganz besonders brauchen, um Bestände aufzubauen. Andererseits geht mit den Mitarbeitern auch das Know-how verloren, was Unternehmen dringend benötigen, beispielsweise um Mitarbeiter aus den aufnehmenden Werken einzuarbeiten. Eine spannende Frage ist deswegen: Wie schaffe ich es, meine Mitarbeiter im Verlagerungsprozess an Board zu halten? Die Lösungen hierfür zahlen letztendlich in die Wirtschaftlichkeit der Verlagerung ein.

Wie lautet hier Ihre Empfehlung? Was hält Mitarbeiter bis zum Schluss motiviert und bei der Stange?

TH: Ein wesentlicher Schlüssel ist aus meiner Sicht die Kommunikation: Die Mitarbeiter sollten von vornherein in den Prozess involviert werden. Auch das Timing ist ausschlaggebend: Unternehmen sollten frühzeitig über Lösungen für die Mitarbeiter nachdenken, ihnen möglicherweise eine andere Stelle im Unternehmenskontext anbieten. In der Vergangenheit sind solche Prozesse immer dann sehr gut gelungen, wenn der abgebende Standort ein neues Erzeugnis bekam und die Produktion der älteren Produktgeneration in einen Niedrigkostenstandort verlagert wurde. Das wird aber abnehmen. Es wird in vielen Bereichen keine signifikante Wertschöpfung mehr bei neuen Generationen geben. Deswegen sind auch Halteprämien eine Lösung, um Mitarbeiter bis zur Werksschließung motiviert im Unternehmen zu halten.

Es gibt zahlreiche Hürden, die Unternehmen bei Werksverlagerungen nehmen müssen. Herr Zeller, welche Merkmale der Automobilindustrie machen Werksverlagerungen in der Folge besonders komplex?

CZ: Ein wesentliches Merkmal ist auf der einen Seite sicher die starke Verkettung der Wertschöpfung. Sie geht über mehrere Stufen. Auf der anderen Seite werden hohe Anforderungen an die Prozess- und Produktqualität gestellt. Fast immer sorgen komplexe Lieferantenstrukturen für größere Herausforderungen bei Werksverlagerungen, denn an Produkten, beispielsweise eines First Tier Suppliers, sind oft 30 bis 50 Second Tier-Lieferanten beteiligt. Eine Hürde im Verlagerungsprozess ist deswegen die Planung inklusive der Vorproduktion zur Überbrückung von Produktionspausen, die häufig unvermeidlich sind. Denn in der Automobilindustrie gilt Serienbelieferung, häufig verbunden mit Konzepten wie JIT und JIS: Es muss sichergestellt sein, dass bei OEMs teils täglich neue Produkte eintreffen. Weitere Komplexitätstreiber sind sämtliche Prüf-, Validierungs- und Freigabeprozesse: Hier spielt der Grad der Veränderung eine wichtige Rolle: Ist der Standort neu? Sind die Maschinen neu? Vielleicht sogar die Lieferanten? Last but not least kommen sämtliche logistische Prozesse hinzu, die alle mit in die Verlagerungsplanung einzubeziehen sind.

Das klingt soweit komplex, aber planbar. Haben Sie auch Cases erlebt, bei denen kein Plan mehr gezogen hat? In denen es mitten im Verlagerungsprozess zu nicht vorhersehbaren Problemen kam?

TH: Ja, ein Beispiel war das Erdbeben in Taiwan: Viele Elektronikfabriken konnten nicht mehr fertigen, die Lieferketten waren massiv gestört oder gekappt. Oder die Flutkatastrophe im Ahrtal: Dort war eine große Lieferantenbasis von heute auf morgen nicht mehr lieferfähig. Auch das plötzliche Wegbrechen eines Zulieferers, der mitten in einem Verlagerungsprozess Insolvenz anmelden muss, gehört zu den unvorhergesehenen Fällen.

CZ: Und solche Vorlieferantenausfälle zu managen, mitten im Verlagerungsprozess mit dem dazugehörigen Zeitfenster – das ist der denkbar ungünstigste Fall. Die Lösung steht und fällt dann mit der Sourcing-Strategie: Bei einer Single Source-Strategie und komplexen Zulieferumfängen sieht es wirklich sehr schlecht aus.

Wie können sich Unternehmen auf solche Fälle – also auf das Wegbrechen einzelner Lieferanten – vorbereiten?

TH: Im Idealfall haben Unternehmen dafür ein Trouble Management Team, das solche Szenarien beherrschen kann. Es muss ja die Produktion einer laufenden Serie aufrechterhalten werden. Damit bei den OEMs kein Bandstillstand riskiert wird, ist eine Lösung, kurzfristig Werkzeuge zu verlagern – vom Zulieferer in andere Unternehmen.

CZ: Solche speziellen Task Forces haben idealerweise auch Kenntnisse zu alternativen Lieferquellen. Die sollten wiederum die Kapazitäten besitzen und dann möglichst schnell erschlossen werden. Ob die OEMs dem zustimmen, steht wiederum auf einem anderen Blatt. Aber – Naturkatastrophen ausgenommen – erst proaktives Handeln befähigt Unternehmen im Krisenfall. Es hilft definitiv, sich vorab eine robuste Sourcing-Strategie aufzubauen, ein gutes Lieferanten-Management zu betreiben und wachsam zu sein. “Supplier Risk Management” lautet das Stichwort. Unternehmen sollten Risikofrüherkennung betreiben und den Finger am Puls der eigenen Lieferantenbasis halten.

Werksverlagerungen sind sehr kostspielig – von der Halteprämie angefangen, über die Kosten für Eventualitäten, Vertragsstrafen bis zu komplizierten logistischen Prozessen über Seewege und vieles mehr. Ab wann kann man eigentlich feststellen, ob sich die Investitionen in den neuen Standort wirklich rentiert haben?

TH: Eine Werksverlagerung besteht aus sehr teuren Elementen, das stimmt. Die Entscheidung muss daher sehr gut geprüft und darf nicht leichtfertig getroffen werden. Wenn aber die Rahmenbedingungen nicht mehr für die Akteure am Standort sprechen, dann müssen sie unweigerlich durchspielen, welche Szenario-basierten Optionen sie haben und welche die vorteilhaftesten sind. Die Frage der Wirtschaftlichkeit ist eine Frage der Alternativen. Zuletzt muss es aber einen signifikanten Impact auf die P&L geben. Sind hier nicht deutlich positive und nachhaltige Effekte zu erwarten, sind die Risiken einer Verlagerung entschieden zu hoch.

CZ: Ob sich eine Werksverlagerung rentiert, ist auch eine Frage des Konzepts. Für einen neuen Standort sollte es berücksichtigen, was die jeweiligen spezifischen Standortvorteile sind. Beispielsweise ist ein Fertigungskonzept aus einem Hochkostenstandort – mit hochautomatisierter Fertigung und Logistik – nicht 1:1 wirtschaftlich sinnvoll auf einen Niedrigkostenstandort übertragbar. Wenn die Faktorkosten, beispielsweise in Bezug auf die Arbeitskosten, am neuen Standort niedriger sind, dann sollten auch in sich schlüssige Produktions- und Logistikkonzepte entwickelt werden, die die Produktionsumfänge, die Produktionsverfahren und andere Komponenten eng an die Vorteile des neuen Standorts knüpfen.

Können Sie Unternehmen verstehen, die weiterhin nach China verlagern? Ein Beispiel ist BASF: Der deutsche Chemiekonzern schließt teils Anlagen im deutschen Stammwerk und investiert 10 Milliarden in den Bau einer Megafabrik vor der Küste Südchinas.

TH: Ich denke, im ersten Schritt liegt eine solche Entscheidung immer im Ermessen eines einzelnen Unternehmens. Und eine solche Entscheidung ist immer dann vernünftig, wenn Unternehmen ihr eigenes Geschäft im lokalen Markt ansiedeln, China also nicht nur als verlängerte Werkbank nutzen. China ist per se ein sehr interessanter Markt. Aus Perspektive der Automobilindustrie ist China einer der größten Märkte weltweit, in dem Fahrzeuge verkauft werden und Automobilzulieferer entsprechende OEMs lokal beliefern können.

Autoherstellerkonzerne wie Tesla suchen Alternativen zu Produktionsstandorten in China und Taiwan. Auch Stellantis will seine E-Auto-Produktion in China drosseln. Das hänge mit der Verminderung geopolitischer Risiken und der Verhängung der Strafzölle zusammen. Glauben Sie, dass Rück- / Verlagerungen aus China oder die Reduzierung von dortigen Aktivitäten zunehmen werden?

CZ: Auf Automobil bezogen denke ich, das wird maßgeblich vom Markterfolg europäischer und anderer nicht-chinesischer Automobilhersteller in China abhängen. Bekanntermaßen haben sie im Bereich Battery Electric Vehicle (BEV) bislang nicht Fuß fassen können. Und wenn sie das auch zukünftig nicht schaffen, werden sich auch deutsche OEMs sehr kritisch überprüfen müssen. VW hat im Grunde alles auf eine Karte gesetzt. Aber die marktführende Position aus den Verbrennerzeiten, mit bis zu 40 Prozent Marktanteil, spiegelt sich aktuell in nur zwei Prozent bei BEV – das ist quasi nichts.

Wie sieht es in anderen Branchen aus?

CZ: Unterschiedlich. Nehmen wir den Maschinen- und Anlagenbau: Wenn Unternehmen von China aus einen regionalen Markt erschließen – Asien oder auch ganz Asia Pacific – dann kann es gelingen, in einem China der Zukunft einigermaßen ungestört wirtschaftlich agieren zu können. Entgegen aller Rufe lautet meine Prognose: China wird sehr viel dafür tun, um das zu ermöglichen. Denn die Entwicklungen in China hängen ja nicht nur von staatlichen Subventionen ab, sondern vor allen Dingen von enormen ausländischen Direktinvestitionen.

Es gibt auch Unternehmen, die komplett aus China abwandern. Eines ist NEURA Robotics: Der High Tech-Hersteller will seine Produktion noch in diesem Jahr von China nach Deutschland verlagern. Kennen Sie weitere solcher Fälle aus dem Mittelstand?

CZ: Nein.

TH: Auch mir sind keine bekannt. Aber ich kann die Motivation durchaus verstehen. Insbesondere wenn Unternehmen kritisches Know-How besitzen: Wie gelingt es ihnen dieses Know-How im lokalen Markt zu schützen? Das mag bei Standardteilen in der Automobilindustrie keine große Rolle spielen. Aber geht man von den hohen Fluktuationsraten am chinesischen Standort aus, teils über 20 Prozent, dann wird klar: Es ist einerseits immer wieder aufwändig, neue Mitarbeiter einzuarbeiten. Und andererseits: Das Know-How, das Mitarbeiter erworben haben, wird dann auch relativ schnell und breit im Markt gestreut. Technologieführende Unternehmen müssen sich daher sehr genau überlegen, ob sie bereit sind, dieses Risiko einzugehen.

Nun verlagert nicht nur die EU: Auch China erschließt neue Märkte, unter anderem, um US- und EU-Strafzölle auf Elektroautos zu umgehen. Chinesische Unternehmen bauen Werke in Osteuropa und Mexiko. Der Privatkonzern BYD plant beispielsweise ein zweites Werk in Ungarn. Was bedeutet dieser Move für das europäische Geschäft?

CZ: Er bedeutet natürlich, dass chinesische OEMs näher am europäischen Markt sein wollen. Dass sie Marktbarrieren minimieren, Logistikkosten reduzieren und von stabilen Lieferketten profitieren wollen. Aber er bedeutet auch ganz klar Geschäftspotenzial für europäische Zulieferer: Chinesische OEMs sind eine sehr relevante Zielgruppe, die es zu erschließen gilt. Die Aufgabe und Herausforderung der Zulieferer wird sein, entsprechend innovative Produkte auf einer wettbewerbsfähigen Kostenposition anzubieten.

TH: Ich denke, der Fertigungsaufbau chinesischer Hersteller in anderen Ländern ist zunächst zu begrüßen: Er schafft Arbeitsplätze und bringt diesen Ländern Wohlstand. Genauso haben deutsche Unternehmen vor über 20 Jahren in China agiert. Zuletzt aber ist dieser Zug auch eine Reaktion auf erschwerte Bedingungen im internationalen Welthandel. Dazu gehören auch die genannten Strafzölle. China prüft auch Zölle auf europäische Produkte und setzt damit einzelne Länder unter Druck. Spanien war politisch ein Befürworter von Strafzöllen auf Elektroautos und könnte sich jetzt als großer Exporteur mit Strafzöllen auf Schweinefleisch konfrontiert sehen. Wenn es jetzt zu einer Zollspirale käme, könnten die freien Handelsströme, wie wir sie kennen, bald Vergangenheit sein.

Was raten Sie deutschen und europäischen Unternehmen in der aktuellen Situation? Wie können sie sich, was Verlagerungen betrifft, stabil und zukunftsfähig aufstellen?

TH: Generell denke ich, sind sowohl deutsche als auch europäische Unternehmen gut beraten, sich nicht zu sehr in die Abhängigkeit einzelner Länder zu begeben. Besser ist, sich weltweit ein breites Portfolio an Partnern aufzubauen. Unternehmen, selbst kleinere, sollten sich fragen: "Fahre ich besser mit Economies of Scale und versuche ich, von einem Standort aus die Welt zu beliefern? Oder verzichte ich auf  Teile davon und gehe mit einem weltweiten Konzept an mehrere Standorte?" Dann profitieren sie von stabilen Lieferketten und einer erhöhten Versorgungssicherheit für ihre Kunden. Ich finde "In der Triade für die Triade" ist ein sehr guter Ansatz. Unternehmen könnten auch darüber nachdenken, ihre Fertigung an einem Standort schlanker aufzustellen, beispielsweise über Mietkonzepte, statt Immobilienkauf. Wovor ich warne, sind kurzfristige Impulsreaktionen. Wir haben über die hohen Investitionen gesprochen, die mit einer Werksverlagerung und einem Neuaufbau einhergehen. Mein dringender Rat lautet deswegen, solche Entscheidungen sehr wohl überlegt zu treffen.

"In der Triade für die Triade": Gehen Sie da mit, Herr Zeller?

CZ: Ja. Das wird aus meiner Sicht auch ein anhaltender Trend sein – angetrieben von Themen wie De-Risking und Sustainability. Lieferketten, die gleichzeitig stabil sind und umweltverträglich, werden eine große Rolle spielen. Wenn sich Unternehmen an mehreren Standorten aufstellen möchten, erfordert das aber natürlich auch eine gewisse Größe und vor allem Finanzstärke. Das haben in der Vergangenheit viele mittelgroße Zulieferer teils schmerzlich lernen müssen. Wenn Unternehmen über die Mittel verfügen, dann macht es auch Sinn, sich auf mehrere Produktionsstandorte einzulassen. Und auch, wenn sie die Ressourcen haben – gerade im Management. Das wird gern unterschätzt. Unternehmen werden an ihren neuen Standorten nicht nur neues Equipment und neue Partnerschaften brauchen: Sie werden auch ein starkes lokales Management benötigen.

Herr Zeller, Herr Holl, vielen Dank für Ihre Einschätzungen.

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