Um „von den Besten“ zu lernen, so der Anspruch, pilgern jedes Jahr hunderte Teilnehmende zum „Gipfeltreffen der Weltmarktführer“, einer Veranstaltung von WirtschaftsWoche und der Akademie Deutscher Weltmarktführer. Unternehmenslenker:innen, Verbandsvertreter:innen und Manager:innen vom etablierten Großunternehmen bis zum Start-up berichteten diesmal über ihren Umgang mit den drei D´s unserer Zeit: Digitalisierung, Dekarbonisierung und demografische Entwicklung. Unser Partner Christian Zeller war für enomyc vor Ort und fasst seine Eindrücke zusammen.

Dass die inzwischen viel zitierte Zeitenwende keine abstraktive politische Kategorie, sondern längst konkreter unternehmerischer Alltag ist, daran gab es unter den Kongressteilnehmern in Schwäbisch Hall keinen Zweifel. Schließlich zwingt die aktuelle politische Lage auch bislang sehr gut positionierte deutsche Weltmarktführer dazu, ihre Energieversorgung neu zu denken oder Lieferketten zu diversifizieren. Viele Firmen sind seit Jahren im Krisenmodus – und haben dabei immer öfter an verschiedenen Fronten gleichzeitig zu kämpfen: Digitalisierung, Energiekrise, Versorgungsengpässe, Fachkräftemangel und Dekarbonisierung, um nur einige der drängendsten Themen zu nennen.

Wie können Unternehmen unter den Bedingungen der multiplen Dauerkrise ihren Führungsanspruch im globalen Wettbewerb behaupten? Und wie gelingt es, trotz eines kräftezehrenden Alltags voller Trouble-Shooting die Fragen der Zukunft nicht aus den Augen zu verlieren?

Genau darum ging es auf der diesjährigen Veranstaltung. In den Keynotes und Panel-Diskussionen wurden unterschiedliche Ansätze präsentiert und diskutiert, die marktführende Unternehmen zur Bewältigung der Krise und aktueller Herausforderungen wählen: Zum Beispiel das Modell der Ambidextrie, vorgestellt von Dr. Gunther Wobser, Geschäftsführender Gesellschafter des Mittelständlers LAUDA Temperiertechnik mit Sitz in Lauda-Königshofen. Wörtlich mit „Beidhändigkeit“ zu übersetzen, steht Ambidextrie für die Fähigkeit von Organisationen, gleichzeitig effizient und innovativ bzw. flexibel zu sein. Dazu muss Bestehendes genutzt und parallel Neues erkundet werden. So ließe sich auch der Beitrag von Covestro-CEO Dr. Markus Steilemann zusammenfassen, für den mehr Eigenverantwortung, mehr Innovation und ein verbesserter Austausch zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung zentrale Säulen für ein auch künftig global wettbewerbsfähiges „Modell Deutschland“ bilden. Ähnlich äußerte sich auch Eva van Pelt, Co-CEO des Medizintechnikunternehmens Eppendorf SE. Für den Wirtschaftsstandort Deutschland und seine Unternehmen sei es jetzt wichtiger denn je, auf Innovationskraft, Kreativität und Forschungsfähigkeit zu setzen, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Sie verwies eindringlich darauf, dass Deutschland im europäischen Vergleich des European Innovation Scoreboard 2022 mit Platz 9 (von 28) nur noch in der zweitplatzierten Gruppe der „Strong Innovators“ zu finden ist und nicht mehr im Top-Segment der „Innovation Leaders“.

Große Politik ganz konkret

Welche Auswirkungen vermeintlich entlegene globale Entwicklungen auf den Unternehmensalltag haben können, zeigte sehr anschaulich der Vortrag von Martin Schwarz, Vorstand Produktion & Materialwirtschaft der STIHL AG. Unter dem Titel „Glokalisierung und geopolitische Zeitenwende“ berichtete er davon, dass sein Unternehmen bei einer kürzlich zu treffenden Standortentscheidung erstmals darauf geachtet habe, dass ein geplantes neues Werk in Osteuropa in einem Nato-Mitgliedsland angesiedelt ist – ein Kriterium, das in der Vergangenheit im Vergleich mit anderen gängigen Kriterien selten bis nie eine Rolle spielte. Auch in der Dekonstruktion und Neugestaltung bestehender Lieferketten bis in die Tier 3 und Tier 4 Ebene – sowohl unter dem Aspekt der Versorgungssicherheit als auch unter Aspekten z.B. des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) – sehen sogar große Mittelständler mit Milliarden Euro-Umsätzen zentrale Herausforderungen. Hier gilt es nun, mit hohem Ressourceneinsatz „Steine zu klopfen“, wie Martin Schwarz es formulierte.

Insgesamt sind sich die Experten in der Einschätzung einig, dass sich die Hyperglobalisierung am Ende der S-Kurve befindet und es zu umfassenden Verschiebungen in den globalen Wertschöpfungsketten kommen wird.

Weltmarktführer zwischen wachsenden Anforderungen und neuen Chancen

Dass Dekarbonisierung und zunehmend strengere regulatorische Vorgaben etwa beim Thema ESG deutschen Unternehmen im internationalen Wettbewerb auch Chancen bieten, war eine der zentralen Thesen des sehr engagierten Vortrags von Lisa Reethen, Geschäftsleitung der Bosch Climate Solutions GmbH. „Wenn Nachhaltigkeit in Krisenzeiten depriorisiert wird, werden wir nie aus der Krise kommen“, so ihre Überzeugung.

Auch die Digitalisierung kam in Schwäbisch Hall ausführlich zur Sprache: sei es im Rahmen von Softwarelösungen für HR-Themen über die Cloud bis hin zu KI-Anwendungen wie ChatGPT. Dabei ging es nicht nur um die Frage, wann und wie die Software für industrielle Anwendungen nutzbar ist, sondern auch darum, welchen Beitrag IT oder Künstliche Intelligenz zur Eindämmung des Klimawandels leisten können. Hier sind als besondere Highlights die Vorträge der Start-up-Vertreter Dr. Gregor Stock, CEO der Cito Transport Technologies GmbH (Vermittlungsplattform für Transportleistungen aus dem VW-Konzern) und Aron Kirschen, CEO der SEMRON GmbH (Hoch energieeffiziente Halbleiter), zu nennen. Thomas Grübler, Geschäftsführer der OroraTech GmbH, erläuterte den innovativen Lösungsansatz seines Unternehmens, mit dessen Hilfe entstehende Waldbrände durch Satellitendaten frühzeitig entdeckt werden können. Damit leisten die Lösungen einen wichtigen Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel und zur Begrenzung der damit verbundenen großen wirtschaftlichen Schäden.

Was können wir und unsere mittelständischen Kunden aus dieser facettenreichen Veranstaltung mitnehmen? Die Antwort ist ernüchternd und ermutigend zugleich: Die drei D´s der Digitalisierung, Dekarbonisierung und demografischen Entwicklung stellen insbesondere Mittelständler vor enorme Herausforderungen und werden hohe zusätzliche Investitions- und Liquiditätsbedarfe mit sich bringen. Darauf müssen sich die Unternehmen einstellen. Gleichzeitig können sie die Chancen nutzen, die sich insbesondere aus der Digitalisierung und dem Umbau zur nachhaltigen Unternehmung bieten werden. Wer hier die Nase vorne hat, wird mit klaren Differenzierungsmöglichkeiten im globalen Wettbewerb gewinnen.

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