Von der Transformation in der Automobilindustrie besonders betroffen sind kleine und mittelständische Betriebe (KMUs), darunter zahlreiche Familienbetriebe, die in den vergangenen Jahren immer enger in die Supply Chain und Wertschöpfungskette der OEMs (Original Equipment Manufacturer) und Tier 1 (System- und Modullieferanten) eingebunden wurden.

Für viele dieser Komponenten- oder Teilelieferanten (Tier 2 und 3) sieht die Zukunft wenig rosig aus: Der seit Jahren eskalierende Lieferanten-Wettbewerbskampf mit inflationärem Margenverfall bildet in Kombination mit den aktuellen Rahmenbedingungen wie der Vervielfachung der Energiekosten bei gleichzeitig sinkenden Produktionsvolumina und zurückgehender Auslastung der Produktionsanlagen eine toxische Mischung. Diese schwebt schon jetzt wie ein Damoklesschwert über den Unternehmen.

Gesellen sich nun noch die prognostizierten Absatzeinbrüche im zweistelligen Bereich mit den damit einhergehenden mit Umsatz- und Ergebniseinbrüchen hinzu, stehen alle Ampeln auf Rot. Denn wenn die großen Hersteller und ihre Lieferanten Anpassungsmaßnahmen umsetzen, um Kosten und Liquidität unter Kontrolle zu halten, bekommen das die nachgelagerten Lieferanten schnell zu spüren.

Die Elektrifizierung wird für viele zur Existenzfrage

Den Hintergrund der Krise bilden verschiedene gesellschaftliche und politische Entwicklungen. So hatten sich tiefgreifende Veränderungen auf Verbraucherseite und kontinuierliche Nachfrageschwäche schon vor Corona angedeutet: Wurden vor der Pandemie im Jahr 2018 ca. 3,5 Millionen PKW in Deutschland neu zugelassen, waren es 2021 nur noch rund 2,6 Millionen. Der Anteil von Diesel- und Benziner-Fahrzeugen reduzierte sich dabei um rund 35 Prozent im Vergleich zu 2020.*

Auch gesellschaftspolitische Verschiebungen machen sich bei den OEMs und deren Lieferanten schon länger bemerkbar. Starke Kaufkraftverluste, veränderte Einstellungen zur Mobilität und immer strengere Emissionsvorschriften begünstigen den Trend zu weniger und besonders preiswerten Autos. Perspektivisch dürfte sich die Nachfrage nach Mobilität in den nächsten Jahren insgesamt drastisch verändern. Besonders jüngere Autokäuferinnen und Autokäufer der Generation Z sind kaum noch bereit, ein teures Auto zu kaufen, um es zu besitzen. Sie bevorzugen preiswerte und funktionale Fahrzeuge – oder sind über Car- oder Ride-Sharing-Konzepte mobil.

In der Automobilbranche wird mit massiven Stellenstreichungen gerechnet

Sinkende Volumina bei OEMs und Tier 1 bei gleichzeitig steigender Produktvarianz und stark heterogenen Abrufen führen bei den Lieferanten zu erheblichen Überkapazitäten und einer nicht ausgelasteten Produktion. Gleichzeitig verzeichnen sie massive Produktivitätseinbrüche, weil Anlagenbediener und Produktionspersonal verstärkt durch nicht wertschöpfende Tätigkeiten wie häufigen Rüstwechsel von einem Produkttyp auf den anderen gebunden sind. Zusätzlicher Mehraufwand und Ineffizienz entstehen auch in der internen Logistik, etwa durch die Bearbeitung von Kundenaufträgen, die unterhalb einer standardisierten Quantität und damit Verpackungsgröße liegen.

Aktuelle „Post Corona“-Prognosen gehen für die vier großen, umsatzstarken OEMs Daimler, VW, Audi und BMW von einem Nachfragerückgang von 20 bis 25 Prozent sowie der Streichung von mehr als 50.000 Stellen bis 2024 aus. Bei den fünf großen Tier1-System- und Modullieferanten Bosch, Continental, ZF-Friedrichshafen, Mahle und Schaeffler wird mit Werksschließungen und Stellenstreichungen in ähnlicher Größenordnung gerechnet.

Insbesondere die größeren nachgelagerten Tier 2- und 3-Lieferanten werden aufgrund der angespannten Kostensituation in der Folge auch ihre eigenen Personalkapazitäten anpassen. Möglicherweise kommt es in den nächsten zwölf bis 24 Monaten für die heute rund 800.000 Beschäftigten in der deutschen Automobilindustrie zu Arbeitsplatzverlusten von 15 bis 20 Prozent.

Lieferanten, die sich auf ein oder zwei Produktsegmente fokussieren, sind besonders gefährdet

Die sieben Produktportfolio-Säulen der Zulieferer sind neben dem Antriebsstrang, Fahrwerkkomponenten, aktive und passive Sicherheitssysteme (z.B. Bremsen, ABS, Air Bags, elektronische Stabilisatoren & Rückhaltesysteme), Elektronik & Software, Interior, Exterior sowie sogenannte C-Teile wie Schrauben, Federn oder Kleinteile, die in Fahrzeuge eingebaut werden. Die meisten Unternehmen der TOP 100- Automobilzulieferer in Deutschland fertigen Antriebskomponenten (41%), gefolgt von Elektronikteilen (37%) sowie Sicherheitssystemen (35%).

Bei genauerer Analyse wird erkennbar, dass sich rund 75 Prozent der Top 100-Automobilzulieferer auf ein oder zwei Produktsegmente fokussieren. Insbesondere für die Lieferanten, die aktuell im größten Produktsegment Antriebskomponenten tätig sind, stehen im Rahmen der Transformation von der Verbrenner-Technologie (Internal Combustion Engine, ICE) hin zu klimafreundlicheren Zero Emissions Vehicles (ZEV) große Veränderungen und Strukturbrüche an. Ihre Produkte, Dienst- und Serviceleistungen werden bei den neuen Fahrzeuggenerationen im schlimmsten Fall gar nicht mehr benötigt. Dadurch endet der Lebenszyklus ihrer Produkte, die Nachfrage wird sich auf einen kleinen Marktbedarf und den Aftermarket-Bereich beschränken. Als Faustregel gilt: Nach Ende der Serie einer Baugruppen- oder Modulgeneration bei den Tier 1 liegt der Aftermarkt-Bedarf je nach Produktsegment und Volumen der OEM-Fahrzeuge im Feld bei rund 1 bis 3 Prozent der Serienstückzahlen pro Jahr.

In der Praxis bedeutet das für die Automobilzulieferer, die z.B. Motorgussblöcke, Getriebe, Kupplungen, Einspritzpumpen, Starter und Generatoren sowie Bremstechnologie für einen Golf der Generation VIII produzieren, dass schon in wenigen Monaten eine starke Reduktion der VW-Abrufzahlen zu befürchten ist. Produktionsstandorte der Lieferanten müssen auf eine Ausproduktion vorbereitet werden, weil der Produktlebenszyklus in wenigen Jahren beendet ist. Auch die Tatsache, dass sich die Bauzeitzyklen der Golfgenerationen in der Serienproduktion (und praktisch aller OEM-Plattformen) in den letzten zwei Jahrzehnten deutlich von über acht auf mittlerweile nur noch fünf bis sechs Jahre verkürzt hat, macht sich negativ bemerkbar.

Wer keinen Partner findet, kann schnell Geschichte sein

Eine perspektivische Neuausrichtung der Lieferanten, die sich auf die Segmente Verbrenner-Antriebskomponenten und Fahrwerk (drohendes Ende Produktlebenszyklus) sowie C-Teile (geringe Marge) fokussiert haben, erscheint schwierig. Weder eine Diversifikationsstrategie noch eine Produkt- und Dienstleistungserweiterung sind vielversprechend.

Im betrieblichen Alltag haben diese Unternehmen für ihre Produkte zudem stets eine individuelle Fertigungsstrategie sowie spezifische Maschinen und Anlagen in der Produktion etabliert. Für die Bearbeitung und Zerspanung von Motoren und Getrieben oder Träger und Gehäusen für Scheibenbremsen werden andere Bearbeitungsmaschinen und Montageanlagen benötigt als für die Produktion von Batteriezellen und E-Motoren für ZEVs. Ein Überleben dieser Unternehmen ist daher nur möglich, wenn sie in der aktuellen Situation schnell reagieren.

Sinnvolle Optionen sind daher jetzt strategische Partnerschaften oder das Zusammengehen mit einem finanzstarken strategischen Investor aus einer anderen Branche oder einem anderen Marktsegment. Bei Investoren ist das Interesse derzeit groß, Erfahrung und Know-how insbesondere aus der Verfahrens- und Fertigungstechnologie sowie der Großserienproduktion von deutschen KMUs abzuschöpfen. Dafür sind die finanzkräftigen Partner bereit, kurzfristig großzügig Liquidität zur Verfügung zu stellen. Im Gegenzug öffnen die KMUs ihre Produktion und Prozesslandschaft. In der Praxis werden solche Partnerschaften in der Regel vertraglich fixiert und sind für beide Seiten eine Win-Win-Situation.

Ein aktuelles Projekt bei einem Kunden aus Süddeutschland zeigt exemplarisch, wie es gehen kann: Das Unternehmen liefert seit mehr als 40 Jahren Hydraulikventile, Turbolader und Klimatechnik für alle großen OEMs. Jetzt hat es sich durch eine Markterweiterung mit seinem Technologie-Know-how, seiner Produktionserfahrung und seinem Spezialwissen in der mechanischen Bearbeitung von Aluminiumgusskomponenten, Montage und Hochdruckprüfung neue Kunden erschlossen, und zwar in den Bereichen Wasserstoffantriebe und alternative Antriebsflüssigkeiten sowie Filtration in der Aviation-Zulieferindustrie. Diese Neuausrichtung war nur mit massiver finanzieller Unterstützung durch einen Investor möglich, weil das Unternehmen kurzfristig neue Maschinen- und Anlagen finanzieren musste.

Fünf Tipps zur nachhaltigen Neuausrichtung der Geschäftsprozesse in stürmischen Zeiten:

  1. Sorgen Sie für maximale Transparenz Ihrer leistungswirtschaftlichen Prozesse. Ein etabliertes Praxistool von enomyc ist dazu die Wertstrom- und Produktionssystemanalyse, die die aktuelle Prozesslandschaft transparent abbildet. Das ist immer dann besonders hilfreich, wenn Prozesse schnell und konsequent angepasst werden müssen oder eine Produktion komplett neu auszurichten ist.

  2. Betreiben Sie aktive Zeitwirtschaft und gehen Sie Problemen auf den Grund. Führen Sie für alle leistungswirtschaftlichen Prozesse Ihrer Produktion Vorgabezeiten ein und kontrollieren Sie die Ist-Zeiten. Bei Abweichungen wenden Sie standardisierte Problemlösungswerkzeuge wie den PDCA-Zyklus oder das Ishikawa-Diagramm an oder visualisieren mit Hilfe von Pareto-Analysen die Abweichungsursachen.

  3. Steuern Sie Ihre leistungswirtschaftlichen Prozesse mit Hilfe von KPIs (Key Performance Indicators) wie Produkt-Durchlaufzeiten, Arbeitseffizienz, Liefertermintreue, Ausfallzeiten, Rüstzeiten oder auch Nacharbeitsraten aufgrund von Prozessqualitätsmängeln. Hier bietet enomyc mit dem Q-K-L-Werkzeug ein Tool zur sicheren Steuerung von Produktion, Logistik und Qualität anhand von Kennzahlen.

  4. Führen Sie vor Ort und aktiv in der Produktion und organisieren regelmäßige Prozessbestätigungen mit Ihren Führungskräften im betrieblichen Alltag. Nur so können Sie sicherstellen, dass auch tatsächlich nach den definierten Standards gearbeitet wird. Eine enomyc-Checkliste hilft Ihnen, sich einen Überblick zu verschaffen. Außerdem erfahren Sie, was Mitarbeiter daran hindert, nach Standard zu arbeiten und welche Reaktionen bzw. Restriktionen es ggf. durch direkte Vorgesetzte gibt.

  5. Öffnen Sie sich für neue Produkte und Geschäftsfelder. Wenn Sie heute beispielsweise Metall- und Kunststoffbuchsen auf Drehautomaten für ein Tier 1-Unternehmen herstellen, könnten Sie schon morgen Lieferant von Großserien von Spezialbuchsen für Drehgelenke für Bau- oder landwirtschaftliche Maschinen sein.
    Ein gutes Praxistool von enomyc ist hier die KSS-Analyse. Sie strukturiert die wettbewerbsdifferenzierenden verfahrens- und fertigungsspezifischen Unterschiede, analysiert und bewertet sie stringent und leitet daraus Marktchancen und Benchmarks für andere Geschäftsfelder und Branchen ab.

Welche Fragen beschäftigen Sie rund um das aktuelle Thema, speziell innerhalb der Automobil- und Zulieferindustrie? Sprechen Sie uns an. Wir freuen uns auf die Kontaktaufnahme.

*Quellen:
KBA (Kraftfahrt Bundesamt), Jahresberichte, Quartalsberichte, Ad-hoc Nachrichten, Presseinformationen (Stand 1.08.2022), Meyer Industry Research, Deloitte, FalkenSteg, Roland

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