Der Immobiliensektor erlebt derzeit eine der schwersten Krisen seiner Geschichte. Die Zahl der Baugenehmigungen ist um ein Viertel, das Transaktionsvolumen ist um mehr als 70 Prozent eingebrochen. Kurzfristig rechnet kaum jemand mit einer echten Erholung. Was können Unternehmen jetzt tun, um sich dem Abwärtssog der Branche zu entziehen? Darüber sprach Christian Kuhs, Gründer und Business Development Nordantech, mit enomyc-Gründer und Managing Partner Uwe Köstens sowie dem enomyc-Partner und Immobilienexperten Matias Otto im #SHIFTHAPPENS Podcast von Nordantech. Hier Auszüge aus dem Gespräch.
Über die Auslöser der aktuellen Krise
Uwe Köstens: Der Immobilienmarkt hat in den letzten Jahren erhebliche Erschütterungen erfahren. Insbesondere trug die in dieser Vehemenz nicht vorhersehbare Zinsentwicklung zur Verunsicherung bei, wobei die rapide Zunahme der Zinssätze in kurzer Zeit besonders bemerkenswert war. Danach war der Markt schockgefroren, denn zehn Zinsschritte innerhalb von rund 17 Monaten, das hat es vorher noch nie gegeben. Dies sind jedoch nur einige der vielen Faktoren, die den Markt beeinflusst haben.
Matias Otto: Ich denke, man kann mit Fug und Recht von einer Multikrise sprechen. Da spielen viele Faktoren eine Rolle, zum Beispiel auch die steigenden regulatorischen Anforderungen. Das betrifft die Finanzierer, aber auch die Ausführung. Eine Vielzahl von technischen Regeln und Anforderungen ist in Deutschland signifikant höher als in Nachbarstaaten, in denen das Bauen interessanterweise trotzdem auch funktioniert. Ein weiterer Punkt ist der Fachkräftemangel, auch im Immobiliensektor. Dieses Thema wird uns die nächsten Jahre noch intensiver begleiten, gerade auf dem Bau. Das führt dazu, dass Projekte teilweise nicht in dem Maße und in der Zeit durchgeführt werden können, wie das eigentlich gedacht war.
Neben den zyklischen Themen und der Multikrise hat die Branche zusätzlich mit strukturellen Problemen zu kämpfen, die uns auch in den nächsten Jahren begleiten werden. Ein Stichwort ist das Thema Homeoffice. Das klingt erstmal harmlos, hat aber massive Konsequenzen. Eine aktuelle Studie zu den Top sieben Büromärkten in Deutschland geht im mittleren Szenario davon aus, dass 12 bis 15 Prozent der Flächen künftig leerstehen werden, weil sie nicht mehr gebraucht werden, wenn die Menschen im Durchschnitt nur noch rund drei Tage im Büro sind. Wenn man sich überlegt, was das an künftigen strukturellem Leerstand mit sich bringt, wird klar, dass sich da für den gewerblichen Immobilienmarkt eine riesige Herausforderung aufbaut.
Über die künstliche Alterung von Immobilien durch steigende Anforderungen im Bereich Nachhaltigkeit
Matias Otto: Viele Anforderungen kommen von EU-Ebene. Gleichzeitig stellen wir fest, dass das Thema jetzt auch ein Mieterthema geworden ist, gerade im gewerblichen Bereich. Viele Vermietungen funktionieren unabhängig davon, wer sie verkauft und kauft, nur noch dann, wenn gewisse Standards erreicht sind, die von der Mieterseite so erwartet werden, sei es aus Corporate Governance- oder anderen Gründen.
Das hat dramatische Folgen, insbesondere für Bestandsgebäude und die Finanzierer. Denn wenn sie eine gewerbliche Immobilie und einen Konzern oder einen Retailer als Ankermieter haben, können sie davon ausgehen, dass eine Verlängerung häufig nur zu hohen Standards erfolgt, obwohl die Immobilie von der Grundsubstanz komplett in Ordnung ist. Das heißt, über das Thema ESG findet eine künstliche und vorschnelle Veralterung der Immobilie statt. Als Folge sinken die Beleihungswerte innerhalb der einzelnen Institute. Das wird für einige Banken noch zu erheblichen Problemen führen.
Über das „Erweckungserlebnis“ beim Thema Immobilien
Uwe Köstens: Bei enomyc beschäftigen wir uns seit jeher mit Unternehmen in Sondersituationen. Dann gab es eine Art „Erweckungserlebnis“: Das war vor drei Jahren die Anfrage einer Großbank. Die hatte eine Immobilie, ein Single Asset, in einer Krisensituation. Dafür haben sie ein Sanierungsgutachten machen lassen, 180 Seiten für viel Geld, waren hinterher aber genauso schlau wie vorher. Daraufhin haben wir uns Gedanken gemacht, wie wir das, was uns als enomyc ausmacht, nämlich die Beratung in Sondersituationen, auf den Immobiliensektor übertragen können.
Über Mut und das richtige Mindset, die Erfolgsfaktoren auf dem Weg aus der Krise
Uwe Köstens: In allen Sondersituationen kommt es darauf an, hellwach zu sein, in Szenarien zu denken und, ganz wichtig, alles zu Ende zu rechnen. Dafür braucht es Mut zur Wahrheit, denn wenn sich die Dinge in die verkehrte Richtung entwickeln, dann muss man sich das auch eingestehen und über einen Plan B oder C nachdenken. So kann man etwa eine gerichtliche Lösung anstreben über ein StaRUG oder über ein Eigenverwaltungsverfahren. Unser Motto bei enomyc lautet: Hoffnung ist kein Konzept. Wenn sich Plan A nicht realisieren lässt, dann muss sehr schnell der Plan B angeschoben werden, denn es geht im Insolvenzrecht ja auch um Fristen und da wird es ganz schnell unschön.
Matias Otto: Ich kann das nur bestätigen. Nur wenn die Beteiligten bereit sind, ihr Mindset zu ändern, wird der Turnaround gelingen. Im goldenen Jahrzehnt der Immobilienbranche, von 2011 bis 2021, war das anders. Da hat am Ende fast immer der weiche Mantel des Exits alles überdeckt und jede noch so ambitionierte Kalkulation ist über den Exit aufgegangen – unabhängig davon, wie riskant das ganze Unterfangen war oder welche Nackenschläge man vielleicht auch während der Projektentwicklung abbekommen hat. Das funktioniert jetzt nicht mehr.
Was wir heute sehen, ist eine Übertreibung in die andere Richtung: Dass man mit kleinen Stolpersteinen ganze Projekte gefährden kann. Deswegen ist es so wichtig, zu realistischen Annahmen zurückzukommen, Szenarien zu betrachten und von Anfang an Stresstests durchzuführen. Dazu gehört auch, dass man sich vielleicht von Objekten trennen muss, einfach um dafür zu sorgen, dass die Gesamtunternehmung oder die Gesamtfinanzierung nicht infiziert wird. Ich glaube, dass ist bei vielen noch nicht in dieser Klarheit angekommen. Dann helfen wir, indem wir Optionen aufzeigen, weil wir mit dem Mut zur Wahrheit anhand von konkreten Beispielen zeigen können, wie wir über unsere Vorgehensweise Gesamtunternehmen gerettet haben und die Finanzierung am Schluss auch wieder funktionierte.
Uwe Köstens: In jeder Krise ist die Genauigkeit der Zahlen das A und O. Das ist bei Immobilien nicht anders als in anderen Branchen – mit dem einzigen Unterschied, dass es im Immobilienbereich immer um große Zahlen geht. Deswegen ist auch der potenzielle Schaden groß. Betroffene Unternehmen sollten daher frühzeitig eine Professionalisierung herbeiführen über interne Schritte, aber auch über die Hinzuziehung externer Berater, die aus meiner Sicht unerlässlich ist.
Vierfach kompetent: Über die Anforderungen an einen Partner in der Restrukturierung
Uwe Köstens: Aus meiner Sicht ist ein Vierklang spezifischer Kompetenzen entscheidend. Das Team sollte erstens immobilienspezifische Kompetenz haben. Zweitens zahlenmäßige Expertise, denn es muss in der Lage sein, aus einer rudimentären Zahlenwelt eine entscheidungsreife Bankunterlagen zu erstellen. Drittens müssen die Berater in Finanzierungsfragen fit sein und im Umgang mit Geldgebern, nicht nur mit Banken, auch mit Pensionskassen, Mezzaninegebern und anderen. Das Vierte ist: Sie müssen den Umgang mit schwierigen Situationen gewöhnt sein.
Matias Otto: Dieser Vierklang spiegelt sich in unserer Teamzusammensetzung wider. Das unterscheidet uns von vielen Mitbewerbern. Wir haben die originäre Immobilienkompetenz im Haus mit einem Team von Architekten, Immobilienökonomen und anderen Branchenexperten, aber natürlich auch die internen Spezialisten für‘s Projektmanagement, für Distressed M&A, Debt Advisory, Restrukturierung und nicht zuletzt für das Insolvenzrecht selbst. Das heißt, wir können immer pro Anforderung und pro Projekt aus einem Pool eigener Leute genau das Team zusammenstellen, das im jeweiligen Projekt am besten geeignet ist.
Von gesund bis distressed, von Sanierung bis Second Opinion: Über das Leistungsportfolio von enomyc
Matias Otto: Wir sind sehr breit aufgestellt. Zum einen sind wir in der Vermarktung unterwegs, also bei Transaktionen aus dem Distressed Real Estate heraus, aber auch im „gesunden Geschäft“. Wir erstellen und strukturieren Verkaufsprozesse und führen sie zu einem möglichst erfolgreichen Ende für Käufer und Verkäufer. Ein zweiter Bereich beinhaltet leistungswirtschaftliche Konzepte, die wir für unsere Kunden erstellen: also alles rund um Strategie, aber natürlich auch Restrukturierung, Sanierung und sonstige Beratung. Restrukturierung und Sanierungsthemen splitten sich nochmal auf. Wir fertigen Gutachten an, Independent Business Reviews, aber auch Gutachten nach IDW S 11 und 6 Standard, Second Opinions, bei denen wir von Finanzierer- oder von Unternehmensseite gefragt werden. Den dritten Bereich bilden originäre immobilienwirtschaftliche Konzepte, bei denen wir immobilienspezifische Analysen machen, also Wirtschaftlichkeitsanalysen, Szenarien-Betrachtungen von Entwicklungen, Bestandsimmobilien oder auch von Portfolios, qualitative Bewertungen von Planungen, Mietvertragsoptimierung und vieles Weitere.
Über die weiteren Aussichten für die Branche
Matias Otto: Diese Frage ist pauschal kaum zu beantworten, denn es gibt ja nicht „die“ Immobilienbranche. Bei einem Wohnhaus ist die Situation eine ganz andere als bei einem Mietzinsobjekt oder einer Logistikimmobilie. Wenn wir uns den gewerblichen Immobilienbereich anschauen, glaube ich nicht, dass sich in diesem Jahr viel ändern wird. Der Peak ist noch gar nicht erreicht, weil es gerade auf der Finanzierungsseite eine ausgeprägte zeitliche Latenz gibt. Ohne dramatisieren zu wollen, sehe ich aus heutiger Sicht vor Ende 2025 keinen ernsthaften Aufschwung.
Uwe Köstens: Auch in der Kreditvergabepolitik der Banken wird sich einiges ändern. Sie wird künftig deutlich restriktiver sein, weil der Anteil der Immobilienfinanzierung am Gesamtkreditportfolio hoch ist und der Anteil der Problemkredite am Immobilienportfolio noch dramatisch steigt. Man munkelt über einen Wert von 7 Prozent bei einzelnen Landesbanken. Das ist viel und die Institute werden weiterhin Einzelwertberichtigungen bilden müssen. Das wird im Umkehrschluss dazu führen, dass sie im Neugeschäft weiterhin restriktiv oder selektiv sein werden. Die Gefahr kommt also gleich von mehreren Seiten. Wir gehen davon aus, dass sich die Situation frühestens 2026 wieder normalisieren wird.
Das gesamte Gespräch von Christian Kuhs, Gründer und Business Development Nordantech, mit enomyc-Gründer und Managing Partner Uwe Köstens sowie dem enomyc-Partner und Immobilienexperten Matias Otto hören Sie im #SHIFTHAPPENS Podcast von Nordantech:
#16: ÜBER IMMOBILIEN-PORTFOLIOS, KREDITVERGABE ENTSCHEIDUNGEN UND DIE ZUKUNFT DER REAL ESTATE-BRANCHE
Vielen Dank für den interessanten Austausch, lieber Christian Kuhs!