Limitierter Content, statisch und beschränkt auf schwere, stationäre Arbeitsplätze. Was diese Worte aus vergangenen Zeiten auslösen, war in den 1990er-Jahren ein Novum: das Web1. Während die Hardware schrumpfte, wuchs das mobile Internet. Die 2000er brachten das Web2 und mit ihm dynamische, interaktive Kommunikation via Social Media und Communities.
Und nun? Stehen wir an der Schwelle zu Web3: dezentrales, anonymes Internet, gebildet auf der Blockchain. Das Zeitalter der Kryptos, NFTs, DAOs und des Metaverse hat begonnen. Die Möglichkeiten? Grenzenlos, heißt es.
Doch was ist das Metaverse genau? Welchen Effekt hat es auf Unternehmen? Für welche Branchen kann es hochinteressant werden und welche Szenarien dienen Unternehmen schon jetzt als Assessment?
Ein Ausblick mit Franz Wenzel, Director bei enomyc.
Während sich Korea, China und die USA schon seit mehreren Jahren mit der Idee des Metaverse befassen, wissen hierzulande die wenigsten Menschen, was es überhaupt ist. Daher die Frage aller Fragen an erster Stelle, Franz: Was ist Metaverse?
Für dieses Interview würde ich es so definieren: Ein Metaverse ist die Idee eines Internets der nächsten Generation. Im Metaverse werden wir nicht länger auf das Internet zugreifen: Wir werden uns darin befinden – als Individuum in einer Art Always-On-Reality. Die Grenzen zwischen der physischen und virtuellen Welt werden noch weiter verschwimmen und Elemente aus beiden Welten zur neuen Norm avancieren. Im Wesentlichen werden wir uns in einer grenzenlosen Welt der Interkonnektivität befinden können.
Satya Nadella, CEO von Microsoft, bezeichnet das Metaverse als "die nächste Welle des Internets", die Orte, Dinge – sogar Menschen – digitalisieren würde.
Kannst Du Beispiele dafür geben?
Ja. Stell Dir vor, Du bist morgens virtuell zum Jour Fixe im Büro – als Avatar – ebenso wie Deine Kolleg:innen. Mittags geht Ihr zusammen golfen – damit habe ich vor zwei Jahren mit einem Kollegen angefangen – und abends geht es mit Freund:innen zum Konzert. All das und weitaus mehr ist im Metaverse jetzt schon erlebbar. Auch dank des menschlichen Gehirns, das sich sehr leicht täuschen lässt. Ein Beispiel dafür ist Richie's Plank Experience. Wer ein VR-Headset zur Verfügung hat – gut festhalten. Aber auch ohne das wird der Impact klar:
Entwickler:innen haben es geschafft, die physischen Bedingungen so zu “virtualisieren”, dass Nutzerinnen und Nutzer das Gefühl der unmittelbaren, wahrhaftigen Präsenz erleben. Man glaubt, man stünde wirklich in dieser schwindelerregenden Höhe auf diesem Brett über einer virtuellen Stadt.
Es gibt mehrere Beispiele für jede bzw. mehrere der notwendigen Komponenten, die das Metaverse ausmachen – oder besser: es ermöglichen. In erster Linie betreffen die Beispiele den "sichtbaren" Teil des Metaverse. Ich beziehe mich dabei speziell auf die sogenannten Spieleplattformen wie Fortnite, Sandbox, Roblox, oder auch Metas Horizon. Für alle anderen Eigenschaften bietet das Vorwort der Metaverse Primer von Matthew Ball eine perfekte Einführung.
Was ist die andere Komponente?
Eine neue Dimension, in der Unternehmen und Marken einem noch breiteren Spektrum an potenziellen Konsument:innen – größer als je zuvor – ihre Produkte und Dienstleistungen anbieten können.
Laut einer aktuellen Umfrage von OMD Germany und Annalect kommt die Idee sehr gut an: In Deutschland gaben 61 Prozent der Befragten an, Metaverse zu nutzen oder sich dafür zu interessieren. Was bedeutet das konkret für die Wirtschaft?
Ein enormes Potenzial! Immer mehr Menschen beginnen, sich auf das Metaverse einzulassen. Und das, obwohl es noch extrem fragmentiert und in seiner grundlegendsten Form ist. Man spricht von sogenannten "Proto-Metaversen". Einige Beispiele, die jetzt schon Einzug finden: Künstler:innen geben Konzerte auf einer Spieleplattform wie Fortnight und 28 Millionen Menschen weltweit sind dabei. Polo Ralph Lauren und Nike eröffnen 3D-Filialen auf der virtuellen Plattform Roblox, High Fashion-Labels wie Dolce & Gabbana, Forever 21 nehmen an der ersten Metaverse Fashion Week (MVFW) auf Decentraland teil. Und die Konsument:innen? Shoppen!
Welche Geschäftspraktik findest Du dabei besonders interessant?
Um nur eine zu nennen: das Konzept der ”Microtransactions”. Nutzer:innen nehmen zum Beispiel kostenlos an einem Game teil und kaufen für sehr wenig Geld virtuelle Add-ons: eine bestimmte Hintergrundmusik, Looks oder ”Skins” für den eigenen Avatar und weitere diverse Komponenten – alles für die persönliche Experience. Wenn ein so begehrtes Produkt in einer Umgebung angeboten wird, die nahezu unbegrenzte Skalierbarkeit so leicht zugänglich macht, dann sprechen wir unweigerlich auch von unvorstellbaren Umsatzzahlen.
Klingt überdimensional, grenzenlos und hochkomplex. Wie gelingt es aus unternehmerischer Sicht, ein besseres Vorstellungsvermögen zu entwickeln – vielleicht auch erste ablehnende Reflexe zu überdenken?
Ein Blick in die Vergangenheit und in die Zukunft kann helfen: Denken wir an die 1990er-Jahre, ans Web1, dann wissen wir: Es gab seit seiner Erfindung kein Zurück. Business-as-usual? Das war auch nach Web2 undenkbar. Wir erleben aktuell, dass "Digitale Transformation" und "Industrie 4.0" zu Buzzwords von gestern werden. Es ging schon immer um die Optimierung der digitalen Kultur eines Unternehmens, um die Vernetzung der Prozesse. Das übergeordnete Ziel war immer – auch heute noch – das Kerngeschäft und alle damit zusammenhängenden Bereiche mithilfe von Daten flexibler, dynamischer und "steuerbarer" zu machen.
Im Grunde genommen ist das, was jetzt beginnt und sich in der Zukunft fortsetzen wird, schon sehr weit entfernt von der traditionellen Art und Weise, wie Unternehmen in bestimmten Branchen agieren. Kurzum: “Schuster, bleib bei Deinen Leisten” hat nichts mit Metaverse zu tun. Wir sprechen von grenzenlosen Möglichkeiten. Was ein Unternehmen in den letzten zehn Jahren getan hat, kann sich von dem, was es in den nächsten zwei Jahren tun wird, stark unterscheiden. Unternehmer:innen, die das verstehen, wissen, dass wir nun in das Zeitalter der Kryptos, Blockchains, NFTs, DAOs und ja, des Metaverse eintreten.
Du nanntest Beispiele aus dem B2C und der Lifestyle-Branche: Hier scheint sich die Auseinandersetzung mit Metaverse definitiv zu lohnen. Tut sie das auch im B2B und aus industrieller Sicht?
Absolut. Das Metaverse wird bleiben und expandieren. Nehmen wir hilfsweise den Trend zur Elektromobilität: Er hat de facto jeden herkömmlichen Automobilkonzern gezwungen, seine Strategie, seine Investitionspläne und Produktionskapazitäten komplett umzustellen. Und das für den Versuch, mit einem Start-up aus dem Silicon Valley gleichzuziehen, das es vor 20 Jahren noch gar nicht gab. Wenden wir den Blick nun auf das traditionelle Bankwesen, so stellen wir fest: Kaum eine Großbank auf der Welt investiert heute nicht in Blockchain-Technologien – in die Ressourcen für Wissen, Strategie und Entwicklung. Finanzinstitute, die auch in naher Zukunft relevant sein wollen, nehmen die Bedeutung und Auswirkungen, die Kryptowährungen auf die Finanzmärkte haben, sehr ernst.
Ich empfehle Unternehmen auch deswegen, mal durchzuspielen, wie “Metaverse-fähig” sie wären: Welche Bereiche und Prozesse ließen sich beispielsweise im Metaverse abbilden? Diese Überlegung wirkt schon wie ein Assessment. Übrigens: Viele größere Unternehmen haben die Rolle der CMOs – Chief Metaverse Officers – eingeführt. Schließlich ist etwas Neues im Gange und es ist gut, wenn Unternehmen von vornherein im Metaverse präsent sind. Das zahlt in die Wahrnehmung, Sichtbarkeit und in ein modernes Markenimage ein.
Neben "Blockchain" und "NFTs" fiel eben auch "DAOs" als Stichwort – dezentralisierte autonome Organisationen, die ohne hierarchisches Management auskommen. Was können Unternehmen schon jetzt von DAOs lernen?
DAOs werden in der Krypto-Szene als der nächste große Trend gehandelt. Ich finde auch hier: Es lohnt, Szenarien durchzuspielen, die an ihr Konzept anlehnen. Könnte das eigene Unternehmen dezentralisiert und autonom durch die eigene Community bzw. Mitglieder geführt werden? Was würde es dazu brauchen? Könnten Prozesse der Entscheidungsfindung wie in DAOs völlig transparent gemacht werden? Würden Smart Contracts einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil bieten? Oder wäre auch – statt des klassischen Gehalts – die Teilhabe am Erfolg des Unternehmens ein denkbares Lohnmodel? Das ist nur ein kleiner Ausschnitt an Möglichkeiten, die DAOs und Smart Contracts bieten.
Haben DAOs denn das Zeug, herkömmliche Geschäftsmodelle und Unternehmensstrukturen komplett abzulösen?
Das könnte interessant werden, wird aber aus meiner Sicht noch eine ganze Weile dauern. Dennoch: Das Konstrukt zu beleuchten und die “Metaversability” des eigenen Unternehmens durchzuspielen, kann viel innovatives Potenzial freisetzen und letztendlich zukunftsweisend sein. Apropos: Eine Komponente von DAOs haben wir in den vergangenen zwei Jahren schon hinzugewonnen: selbstbestimmtes Arbeiten, flexible Arbeitsmodelle, Unabhängigkeit von Raum, Zeit und Arbeitgeber:innen. Die Art und Weise wie wir arbeiten, ist zum Thema unserer Zeit avanciert.
Das sind hochinteressante Entwicklungen, die die Grenzen unserer Vorstellungskraft noch weiter verschieben werden. Welche Entwicklungen verfolgst Du denn aktuell mit viel Spannung mit?
Die Entwicklungen renommierter Player, Start-Ups und Hidden Champions – generell von Unternehmen, die technologisch neue Maßstäbe setzen, sie besser und zugänglicher machen. Kürzlich habe ich mitverfolgt, dass Meta – trotz des jüngsten Aktienabsturzes – das Commitment für seine Vision verdoppelt hat. Das Unternehmen kündigte auch an, Remote Work auf die Spitze zu treiben: Ihr Top-Management-Team soll aus dem Silicon Valley in alle möglichen Ecken der Welt verlegt werden. Ich bin gespannt.
Was hast Du aus der Auseinandersetzung mit Metaverse gewonnen?
Die Erkenntnis, dass es unmöglich ist vorherzusagen, welche Auswirkungen das Metaverse als ausgereifte Version haben wird. Aber wenn die Geschichte unsere Wegweiserin ist, dann können wir schon jetzt sicher sein, dass das Metaverse einen direkten und auch erheblichen Einfluss auf unser aller Leben haben wird. Letztendlich wird er ebenso wenig aus unserem Alltag wegzudenken sein, wie das Smartphone oder das Tablet, auf dem wir jetzt gerade dieses Interview lesen.
Welchen abschließenden Gedanken möchtest Du gerne teilen?
Wie wichtig es ist, im Herzen und im Geiste jung zu bleiben, sich immer wieder aufs Neue zu begeistern. Denn, ob im Business oder persönlich: In der Regel erleben wir keine Aha-Momente, wenn wir nur das tun, was wir kennen oder schon immer getan haben.
Vielen Dank für Deine spannenden Insights, Franz.
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