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Martin Hammer, geschäftsführender Gesellschafter von enomyc, stammt aus einer Unternehmerfamilie und ist selbst Vater und Gründer. Was hat ihn seine Erfahrung aus über 300 Projekten mit Familienunternehmen im Übergabeprozess gelehrt? Wann sollten sich Unternehmer Gedanken um die Nachfolge machen und aktiv werden? Woran scheitern Nachfolgeprozesse meistens und welche Faktoren ermöglichen überhaupt eine gelungene Unternehmensübergabe? Erfahren Sie mehr im Interview.

 

Herr Hammer, zum G20 -Auftritt von Ivanka Trump twitterte kürzlich die US-amerikanische Politikerin Alexandria Ocasio-Cortez “Es mag einige überraschen, aber die Tochter von jemandem zu sein, ist noch keine Qualifikation“. Wie sehen Sie das: Ist es eine Qualifikation, Sohn oder Tochter zu sein?
Es ist eine Chance, die man ergreifen und nutzen kann. Eine Qualifikation ist es nicht.


Nehmen wir an, die Söhne und Töchter ergreifen die Chance: Was qualifiziert sie Ihres Erachtens, Nachfolger von unternehmerischen Eltern zu werden?
Ich mache das nicht an irgendwelchen Ausbildungsstandards fest – diese sind sicher notwendig. Meines Erachtens ist das Wichtigste die Leidenschaft für unternehmerisches Handeln. Es braucht echtes Commitment gegenüber dem Unternehmen. Auch braucht es Akzeptanz und Verständnis dafür, dass die Selbständigkeit auch ein hohes Maß an Verzicht bedeutet – beispielsweise an Freizeit und Privatleben. Hinzu kommen Toleranz und die Gabe, Menschen für sich gewinnen zu können, außerdem ein Vorbild zu sein in Fleiß und Arbeitseinsatz. Ich glaube, dass in jedem Fall ein gewisser Intellekt vorhanden sein muss, der komplexe betriebswirtschaftliche und technische Einzelheiten in der jeweiligen Industrie erfassen kann.


Sie beraten nun schon seit 17 Jahren mittelständische Unternehmen: Wie oft kommt es vor, dass Sie bei familieninternen Unternehmensübergaben konsultiert werden?
Sehr oft. Von den bislang über 500 ausgeführten Projekten sind über 300 Projekte dieser Art: Familienunternehmen, die entweder im Generationswechsel waren oder aber von der zweiten oder dritten Generation geführt werden.


In wie vielen Fällen von den 300 läuft die Übergabe fließend?
In maximal einem Drittel.


Warum nur in einem Drittel?
Das hat verschiedene Ursachen: Zum einen haben Firmen unterschiedliche Voraussetzungen. Es gibt da Unternehmen mit sehr viel Substanz, die durch die Gründer, die zweite oder dritte Generation geschaffen wurde. Das sind Unternehmen, die faktisch – ich will nicht sagen "von alleine laufen", denn keine Firma tut das – aber, bei denen die Nachfolger den Erfolg der Firma gut verwalten können. Firmen, bei denen die globale Marktposition so ist, dass man weder mit Finanzinstituten noch mit anderen Stakeholdern ein Problem bekommen könnte. Und weil es genügend Ausschüttung gibt oder das Unternehmen genügend große Rendite abwirft, existieren noch nicht einmal innerfamiliäre Streitigkeiten. Solche Voraussetzungen machen es auch auf beratender Seite einfacher, einen erfolgreichen Generationenübergang zu begleiten.


Und dann gibt es die anderen zwei Drittel, bei denen die Übergabe schlechter verläuft oder sogar scheitert. Warum ist das so?
Richtig, das sind Firmen, bei denen zum einen die Anforderungen an die Nachfolger deutlich höher sind als bei den eben genannten Unternehmen. Sei es, weil das Wettbewerbsumfeld extrem hart ist und sehr kompetitiv, weil es eine Vielzahl an Insolvenzen gibt und die Belegschaft mit harten Kennzahlen im Tages-, Wochen- und Monatskampf geführt werden muss. Zum anderen kommt es oft vor, dass ein Unternehmen vielleicht schon in der 5. Generation geführt wird und es einfach unterschiedliche familiäre Interessen gibt. Und das sind nur einige Gründe. Es gibt weit mehr. 


Ist diese Ausgangslage manchmal auch ein Stück weit branchenabhängig?
Nein. Das hängt von vielen Zyklen in unterschiedlichen Bereichen ab. Nehmen wir beispielsweise die Bauindustrie. Sie boomt! Sie hat überhaupt gar kein Problem. Es wird dringend qualifiziertes Fachpersonal gesucht, Bauingenieure, gewerbliche Mitarbeiter und viele mehr. Werden heute Bauunternehmen in der fünften Generation übernommen, sind die Voraussetzungen sehr viel besser als sie es vor 12 Jahren waren. Diese Erfahrung habe ich selbst gemacht. Das liegt nicht an der Branche.

 

enomyc-032Suchen sich denn Unternehmen generell – egal in welcher Ausgangsposition sie sich befinden – aktiv externe Beratung für den Generationenwechsel?
Das ist das Kernproblem. Viele der Unternehmensmanager erkennen das Problem für sich gar nicht – oft, weil sie in ihrem eigenen Umfeld aufwachsen und nie etwas anderes kennengelernt haben. Es kommt auch vor, dass Unternehmen den Prozess selbst regeln wollen – was sehr oft an den Senior-Chefs liegt, die dann doch weiterhin auch über diese Dinge bestimmen wollen. Und so lange die wirtschaftlichen Ergebnisse die wirklichen internen Probleme einigermaßen kaschieren, sehen viele Unternehmer die Notwendigkeit und den Mehrwert externer Berater nicht.


Wann suchen sich solche Unternehmen dann doch externen Rat?
Oftmals, wenn schon viele unternehmerische Fehlentscheidungen getroffen wurden. Nicht selten landen dann solche Unternehmen bei uns als Restrukturierungsfall.


Was ist ein Typikum dieser Restrukturierungsfälle?
Wir finden sehr oft vor, dass die betriebswirtschaftliche Bescheidenheit in der Erbengeneration nicht so oft eingehalten wird. Das heißt, man lebt teilweise als Unternehmer in der Nachfolgegeneration über seine Verhältnisse und finanziert zu viel über Fremdkapital. Diese Dinge schlagen irgendwann bei uns als Berater auf – dann aber unter dem Zwang, dass etwas gemacht werden muss, weil andere Stakeholder nicht mehr von der operativen Führung überzeugt sind – beispielsweise Banken, die da sagen: "Das können wir uns nicht länger mitansehen".


Was sagt Ihre Erfahrung: Welche Fehler machen Senior-Chefs besonders oft in der Übergabe an die Nachfolgegeneration?
Sie setzen kein klares Signal: "Ab jetzt führt maßgeblich meine Tochter, mein Sohn, mein Neffe" – oder wer auch immer. Viele Seniors sind mit 70, 80, sogar knapp 90 Jahren noch im Unternehmen präsent. So ist der Übergabeprozess nicht professionell geregelt. Wenn jemand in hohem Alter meint, sich noch in das Tagesgeschäft einmischen zu müssen, dann ist die Unternehmensnachfolge per se gescheitert.


Nun sind einige Gründerinnen noch sehr aktiv und können das eigene Unternehmen nur schwer loslassen. Was kann hier eine Lösung für alle Beteiligten sein?
Für mich gehört zu einer gelungenen Unternehmensübergabe, dass man nicht nur im Operativen sondern auch räumlich eine Trennung vornimmt. Eine Lösung dafür ist, einen Beirat oder Aufsichtsrat zu gründen, an dem dann der oder die Senior-Chefin eine beratende und begleitende Funktion übernimmt. Das Tagesgeschäft aber muss klar von den Nachfolgern geleitet werden, sodass auch die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen erkennen, wer jetzt das Unternehmen führt. Lassen Seniors an diesem Punkt nicht los, trüben sie die Akzeptanz der Nachfolger – auch bei der ersten, zweiten und dritten Führungsebene. Natürlich muss sich vor allem der Nachwuchs diese Akzeptanz und auch den Respekt aller erarbeiten: Für die Wahrnehmung der Nachfolger tragen aber auch die Eltern als Unternehmensgründer eine sehr große Verantwortung. Ein Beispiel: Werden die Söhne, selbst um die 50 Jahre alt, von der Senior-Chefin mit Kosenamen angesprochen, setzt auch das zuletzt ein Zeichen bei der gesamten Belegschaft. 

enomyc-090In einigen Fällen klappt der Übergang auch mit der Präsenz des Seniors. Wie ist ein:e solche:r Unternehmer:in im besten Fall beschaffen?
Im besten Fall haben die Seniors Weisheit und Gelassenheit – nicht zuletzt, weil die Juniors aber auch bewiesen haben, dass sie es können – vielleicht sogar etwas besser als der oder die Gründerin des Unternehmens – beispielsweise indem sie strukturierter sind. Dann fällt es den Senior-Chefs auch leichter, loszulassen. Vertrauen und Kommunikation sind hier für mich ganz entscheidende Komponenten für eine gelungene Unternehmensübergabe. Und ich meine damit auch das Vertrauen in Geschäftsentscheidungen, die die übernehmende Generation trifft, die aber nicht – oder noch nicht – für die Seniors nachvollziehbar sind. 


Was für Geschäftsentscheidungen könnten das sein? 
Nehmen wir die Digitalisierung. Sie übt großen Einfluss auf die zukünftige Geschäftsfähigkeit von Unternehmen und verändert Geschäftsmodelle teilweise radikal. Viele Nachfolger haben die enormen Chancen erkannt und formen ältere, tradierte Unternehmen in eine ganz neue Richtung. Dieses Vorhaben kann für die ältere Generation sehr befremdlich sein und es kommt oft genug vor, dass sie versucht, die Nachfolger auszubremsen und ihnen diese "fixe Idee" wieder auszureden. Schließlich, so lautet oft das Argument, sei der bisherige Erfolg nicht der Digitalisierung zuzuschreiben. Hier sei der älteren Generation klar und deutlich mitgeteilt, dass sie den Nachfolgern umfangreiche Freiheiten im Digitalisierungsprozess einräumen sollte. Sich vom etablierten Geschäftsmodell mit ganz neuen Ideen und Ansätzen eigenständig im Unternehmen zu etablieren oder sich eine eigene Position im Unternehmen aufzubauen ist zuletzt nicht nur für die Nachfolge elementar, sondern auch für den zukünftigen Erfolg des Unternehmens. 


Sie haben sicher auch aufreibende familieninterne Streitigkeiten miterlebt: Was ist der häufigste Streitpunkt bei der Unternehmensnachfolge und wie erfüllen hier externe Berater ihre Rolle am besten? 
Nun, es geht um Macht, um Geld, um Eitelkeit, um Liebesentzug beim Nachwuchs, der vielleicht nicht berücksichtigt wurde und viele andere Streitpunkte mehr. Unternehmensübergaben sind ein sehr komplexes und sensibles Thema. Diese Vielschichtigkeit ist es auch, die in meinen Augen nach externer Beratung verlangt. Meine Erfahrung zeigt: Es bringt überhaupt nichts, so zu beraten, dass man es dem Kunden recht macht. Wir müssen als Berater auch den Mut haben, in eine konfliktäre Situation zu gehen, wenn wir überzeugt sind, dass sonst das Unternehmen einen Schaden erleiden könnte. Zum Schluss geht es ja immer nur ums Unternehmen – nicht um die Gründer oder die Gesellschafter. 


Wann sollten Unternehmer:innen erfahrungsgemäß damit beginnen, sich über die Nachfolge Gedanken zu machen und aktiv werden?
Es sind mit Sicherheit 5 Jahre nötig, um in die Fußstapfen eines – sagen wir, Unternehmensgründers – hineinzuwachsen. In gut geführten Unternehmen fängt man deswegen schon früh an, sich über die Nachfolge Gedanken zu machen und auch darüber, wie das Unternehmen strukturiert werden soll. Das ist ein Transformationsprozess, der ein oder zwei Jahre Vorlauf beinhaltet, um vielleicht auch festzustellen, welches der Kinder am besten als Nachfolger oder Nachfolgerin geeignet ist.


Wie ist es bei Ihnen? Sie kommen selbst aus einer Unternehmerfamilie und haben Ihre eigene Firma gegründet. Machen Sie sich Gedanken um Ihre Nachfolge?
Selbstverständlich. Ich bin 57 und wir schaffen schon jetzt die Strukturen, um dafür Sorge zu tragen, dass wir in spätestens 5 Jahren ein funktionierendes, regionales Partner-Strukturnetz haben. Ziel ist, dass enomyc dann völlig losgelöst von den Gründern und Geschäftsführern funktionieren kann.


Welche Konstellationen begegnen Ihnen eigentlich am häufigsten beim Generationenübergang: Sind es klassisch Väter, die an ihre Söhne übergeben?
In der letzten Zeit sind es öfter Väter und Töchter. Das ist ein Novum. Es war früher immer anders. Mittlerweile übernehmen aber sehr viele Töchter.


Wie erklären Sie sich dieses Novum?
Frauen konnten schon immer genauso viel wie Männer. Ich denke aber, immer mehr Frauen sind gern unternehmerisch tätig und wünschen sich ein selbstbestimmtes Arbeiten. Und das funktioniert nun mal am besten in der Selbständigkeit.

enomyc-079-1Wann macht es in Ihren Augen überhaupt gar keinen Sinn – auch, wenn Unternehmer:innen sich das wünschen – die Firma an die eigenen Kinder zu übergeben?
Wenn die Kinder per se kein fundamentales Interesse an der Fortführung des Unternehmens haben. Wenn sie nicht bereit sind, sich für das Unternehmen "aufzuopfern". Da haben wir eine sehr klare Position: Wird die Unternehmensführung nicht als eine Lebensaufgabe betrachtet, ist es besser, das Unternehmen entweder zu verkaufen – dann kann man Geld vererben und Arbeitsplätze sichern – oder man setzt ein externes Management ein und lässt das Unternehmen professionell führen. Unerlässlich bei dieser Lösung ist eine Änderung der Satzung. So kann die strategische Ausrichtung mit dem externen Management nicht gleich beim ersten Konflikt wieder aufgehoben werden.


Was ist denn der Schlüssel zu einer guten Übergabe?
Es helfen aus meiner Sicht nur Wahrheit und Klarheit. Dazu gehört auch die Selbstreflexion aller Beteiligten. Sowohl die der abgebenden als auch die der übernehmenden Generation. Zum Schluss geht es um klare Spielregeln und klar definierte Rahmenbedingungen.


Können Sie resümierend vier Eckpfeiler einer geglückten Unternehmensübergabe benennen?
Ja. Zum einen die Qualifikation des oder der Übernehmenden. Zum anderen ein detailliert ausgearbeitetes Nachfolgekonzept mit einem definierten Stichtag, an dem das Geplante auch eintritt. Der darin entsprechende zeitliche Rahmen sollte so gewählt werden, dass alle Beteiligten wirklich genügend Zeit haben, sich – gegebenenfalls auch im Auslandseinsatz – in unterschiedliche Positionen und Bereiche einarbeiten zu können. Zum Übergabezeitpunkt selbst ist eine offene und ehrliche Kommunikation unerlässlich und zwar zum einen intern, gegenüber allen am Prozess beteiligten Führungskräften, aber auch gegenüber den Externen, zum Beispiel den Finanzierungspartnern und Kunden. Zuletzt ist da noch das wirkliche Loslassen der übergebenden Generation, die fortan in beratender Funktion im Beirat oder Aufsichtsrat tätig ist.


Welche besondere Thematik hat sich in den letzten Jahren im Bereich der familieninternen Übergabe entwickelt, über die wir in einem weiteren Interview sprechen sollten?
Ich denke, das Thema Erbschaftssteuer und die gesetzliche Regelung bei der erbschaftssteuerfreien Übernahme von Unternehmen. Der Markt verändert sich und es passieren branchenbezogen – nehmen wir die Automobilindustrie – doch einschneidende Veränderungen, die Unternehmen und ihre Erben vor sehr große Herausforderungen stellen. Zum Thema Verschonungsbedarfsprüfung laut §§ 13a, 13b und 28a ErbStG lohnt definitiv ein weiteres Gespräch.

Vielen Dank für das Interview, Herr Hammer.

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