Best Practices Mittelstand: From Leads to Cash – Was sich im Vertrieb ändern muss
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Nicht nur Verbraucher, auch mittelständische Unternehmen informieren sich vor einem Kauf längst online über Produktfeatures, Preise und Bewertungen von Kunden. Das frühere Informationsmonopol der Verkäufer ist digitaler Transparenz gewichen. Das hat für Einkäufer viele Vorteile – zwingt Anbieter, die wachsen wollen, aber dazu, ihre Vertriebsprozesse neu aufzustellen. enomyc-Autor Jan-Ulrik erläutert, wie sich die Rolle des Vertriebs ändern muss und welchen Beitrag er für eine erfolgreiche Kundengewinnung leisten muss.

Es ist noch nicht lange her, da war der Einkauf im B2B-Geschäft im Zuge seines Beschaffungsprozesses auf Informationen von und den Austausch mit Verkäufern angewiesen, sei es zur Anbieteridentifikation und -bewertung, für Produktdemonstrationen oder konkrete Einkaufs- sowie Preisverhandlungen. Das ist einer der Gründe, warum die Funktion des Außendienstverkäufers in vielen Mittelstandsunternehmen innerhalb der Vertriebsorganisation häufig eine herausragende Stellung hatte – oder bis heute hat.

Doch die Zeit ist nicht stehen geblieben. Einkäufer wollen ihre Informationssuche und Vorauswahl möglicher Lieferanten möglichst unabhängig von Verkäuferorganisation gestalten. Dazu informieren sie sich in Foren und auf Plattformen im Internet. Traditionelle Marketingziele wie Markenbekanntheit und die Vermittlung von Produktvorteilen bleiben essenziell. Allerdings verändern sich die Erwartungen der B2B-Einkäufer hinsichtlich der Formate, Kanäle und Tiefe der Information.

Für Marketing und Vertrieb gilt es daher umzudenken. Erfolgte die Übergabe von Leads durch das Marketing an den Vertrieb in der analogen Welt bislang relativ früh im Prozess, bleibt das Marketing heute deutlich länger im Driver Seat. Beide Funktionen stehen vor der Herausforderung, diese „Phasenverschiebung“ optimal zu gestalten. Die Rolle des Vertriebs und die Aufgabenschwerpunkte des Verkäufers müssen sich teilweise fundamental verändern.

Mit hochwertigen Inhalten Interesse wecken


Für das Marketing ist die inhaltliche Refokussierung seiner Funktion mit einer Umkehr vom Push-basierten (Outbound-) Marketing zum Pull-basierten (Inbound-) Marketing verbunden. Denn je häufiger und umfassender Einkäufer Informationen online suchen und finden, desto wichtiger ist es für das Marketing, entlang der gesamten Customer Journey relevanten Content anzubieten, der potenzielle Kunden „en passant“ auf die Unternehmenswebsite führt – etwa in Form von Blogbeiträgen, kostenlosen E-Books, informativen Webinaren und Posts in sozialen Netzwerken.

Neben der multimedialen Aufbereitung werthaltiger Inhalte (z. B. White Paper, Service Tipps) spielen auch Instrumente wie SEO/SEA, Native Advertising und Landingpage-Optimierung eine wichtige Rolle. Unternehmen, die auf Inbound- Marketing setzen, verfolgen dabei das Ziel, als fachkundige und verlässliche Experten ihres Fachs wahrgenommen zu werden. Mit der Bereitstellung nutzwertiger Inhalte trägt das Marketing wesentlich dazu bei, Bekanntheit, Vertrauen und Glaubwürdigkeit bei potenziellen Kunden aufzubauen. Gleichzeitig spielt es im gesamten Prozess deutlich länger als früher eine zentrale Rolle und übernimmt dabei auch Funktionen, die bislang zum angestammten Revier des Vertriebs zählten.

Der Verkauf als Experte und Content-Lieferant

Damit entsteht auch für den vom Außendienst geprägten B2B-Vertrieb dringender Handlungsbedarf. Durch den Bedeutungsverlust der Informationsfunktion von Außendienstverkäufern und der tendenziell späteren Einbindung im Entscheidungsprozess durch einen Einkäufer ändern sich die Erwartungen an Vertriebsmitarbeiter.

Der Verkäufer wird weiter wichtig bleiben – allerdings in einer neuen Rolle. Denn von ihm wird erwartet, den fundierten Content bereitzustellen, der für ein professionelles Marketing erforderlich ist. Die damit verbundene Veränderung – vor allem auch, was den Status der Beteiligten innerhalb der Organisation angeht – könnte tiefgreifender kaum sein. Denn genossen erfolgreiche Verkäufer bislang in vielen Unternehmen unangefochtenen Star-Status, finden sie sich nun in der Rolle des Content-Lieferanten wieder. Das wird nicht jeder Verkäufer können – und wollen.

Um potenzielle Kunden an der richtigen Stelle im Kaufentscheidungsprozess zu erreichen, müssen Unternehmen in allen Phasen der Customer Journey relevanten Content präsentieren. Der Prozess von der ersten Markterkundung bis zum Kauf lässt sich modellhaft am besten anhand des sogenannten Sales Funnels darstellen. Dieser unterteilt den Marketing- und Vertriebsprozess in Phasen, die sich idealerweise an den Anforderungen der unterschiedlichen Phasen des Einkaufprozesses orientieren und denen jeweils eine Wahrscheinlichkeit für die spätere Auftragserteilung zugeordnet werden kann.

Korrespondierend zu den einzelnen Phasen des Einkaufsprozesses (Markterkundung, Anbieteridentifikation, Anbieterbewertung, Produkt-/Servicebewertung, Konditionenverhandlung, Vertragsverhandlung), die in der Regel branchenspezifisch sehr unterschiedlich sind, lassen sich folgende typische Phasen des Marketing- und Vertriebsprozesses anhand nachstehender Meilensteine differenzieren:

  • Marketing Qualified Lead (MQL): Die Marketing-Maßnahme hat sich beim potenziellen Kunden (Prospect) so festgesetzt, dass dieser Kontakt zur verkaufenden B2B-Organisation aufnimmt.
  • Sales Qualified Lead (SQL): Eine Anfrage eines potenziellen Kunden drückt einen Bedarf aus, der durch Produkte oder Services der Verkaufsorganisation bedient werden könnte.
  • Opportunity generiert: Ein potenzieller Kunde hat signalisiert, dass er zur Bedarfsdeckung grundsätzlich bereit ist, die Verkäuferorganisation zu berücksichtigen.
  • Opportunity spezifiziert: Die technischen und inhaltlichen Zielsetzungen des potenziellen Kunden sowie seine Lösungs- und Anbieterbewertungslogik sind verstanden und aus Verkäuferorganisation leistbar.
  • Angebot wurde erstellt und versendet.
  • Potenzieller Kunde hat die Bereitschaft bekundet, das Angebot inhaltlich und kommerziell zu besprechen (short-listed).
  • Potenzieller Kunde führt abschließende Vertragsverhandlungen mit der Verkaufsorganisation.

Der schematische Ablauf macht deutlich: Aus Anbietersicht wird es künftig deutlich mehr als bisher darum gehen, einen durchgängigen, strukturierten Prozess der Markt- und Kundenbearbeitung zu etablieren, in dem die Schnittstellen zwischen Marketing und Vertrieb einerseits durch Content-Bereitstellung und andererseits durch die Bereitstellung sogenannter Marketing Qualified Leads optimiert werden.

Im Sales Funnel gilt es, möglichst früh die Spreu vom Weizen zu trennen

Zur Steuerung des Sales Funnels müssen Unternehmen Marketing- und Vertriebsaktivitäten in den Funnel-Phasen strukturiert erfassen und optimieren. Besonders geeignete Messgrößen sind Lead Velocity und Lead Conversion.

Die Lead Velocity Rate misst den Zuwachs oder Rückgang von Leads über einen Zeitraum und ist ein Mengenindikator. Idealerweise sollen mehr Leads generiert als verloren werden. Für 85 Prozent der B2B-Unternehmen ist Lead-Generierung das wichtigste Marketingziel.

Die Conversion Rate ist dagegen ein qualitativer Indikator für Leads. Er zeigt, wie wahrscheinlich es ist, dass eine Vertriebsphase erfolgreich verläuft und Leads in die nächste Funnel-Phase gelangen. Kombinierte Einzelwahrscheinlichkeiten ermöglichen Aussagen über Auftragswahrscheinlichkeit und erwarteten Auftragseingang.

Wichtig ist darüber hinaus der Faktor Sales Accepted Leads als Gradmesser für die Lead-Qualität, die das Marketing liefert. Regelmäßiger Austausch zwischen Marketing und Vertrieb, in dessen Rahmen auch die Ursachen nicht akzeptierter Leads analysiert werden, fördern das Ineinandergreifen beider Prozesse.

Außendienst und Vertriebsprozesse müssen sich anpassen und laufend weiterentwickeln

Für traditionell aufgestellte Außendienstmitarbeiter sind die geschilderten Entwicklungen mit tiefgreifenden Veränderungen verbunden. Sie müssen sich von ihrem bisherigen Status als „Rain maker“ verabschieden, innerhalb der Organisation neu positionieren, auf hybride Arbeitsformen einstellen und neue Fähigkeiten erlernen, etwa im Bereich datengetriebener Vertrieb. Entscheidend ist, Marketing- und Vertriebsprozesse aus Kundensicht weiterzuentwickeln und Aufbauorganisation, Schnittstellen sowie Rollenerwartungen anzupassen. Dafür muss die Unternehmensführung moderne organisatorische Strukturen schaffen sowie in Know-how und IT investieren. Der Aufwand lohnt sich, denn durch die skizzierten Veränderungen lassen sich Kundenbedürfnisse deutlich früher erkennen und effektiver erfüllen. Damit legen sie die Grundlage für ein erfolgreiches Wachstum.

 

Über den Autor
Jan Ulrik Holsten verantwortet als Partner bei enomyc den Bereich Sales und Marketing. Er verantwortet ganzheitliche Turnaround- und Wertsteigerungsprojekte als Berater und Interim-Manager. Der aktuelle Beitrag wirft ein Schlaglicht auf einen zentralen Lösungsansatz unseres Beratungsportfolios, welcher sich als wertvoller Stellhebel zur Verbesserung der Profitabilität und Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit erwiesen hat. Weitere Schwerpunkte von Jan Ulrik Holsten sind die Themenfelder Corporate Profit Improvement und Working Capital Management. Mehr über Jan Ulrik Holsten erfahren Sie hier.

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