Best Practices Mittelstand II: Von der Hoffnung zur Strategie zur Umsetzung
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Im ersten Teil seines Leitfadens zur Krisenvermeidung hat enomyc-Autor Jan-Ulrik Holsten erläutert, welchem Muster viele Unternehmenskrisen folgen und welche Hürden für eine erfolgreiche Vermeidung zu überwinden sind. Eine wesentliche Barriere besteht darin, aus Daten aussagekräftige Informationen zu generieren. Im zweiten Beitrag erklärt er diesen Vorgang am Beispiel von Risikofrüherkennungssystemen, die eine wichtige Rolle bei der Überwindung dieser Hürde spielen.

Wie wichtig Risikofrüherkennungssysteme sind, hat der Gesetzgeber bereits vor vielen Jahren erkannt. So wurde 1998 das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) verabschiedet. In § 91 Abs. 2 des Aktiengesetzes (AktG) wurde daraufhin geregelt, dass der Vorstand einer Aktiengesellschaft verpflichtet ist, ein Überwachungssystem einzurichten, um bestandsgefährdende Entwicklungen frühzeitig festzustellen.

2021 wurden die Anforderungen nochmals verschärft und der Anwendungsbezug wurde auf kleinere Unternehmen und GmbHs ausgeweitet. § 1 Abs. 1 des Gesetzes über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz – StaRUG) regelt, dass Geschäftsleiter Entwicklungen, die den Fortbestand gefährden können, fortlaufend überwachen müssen. Außerdem werden sie verpflichtet, bei bestandsgefährdenden Risiken geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen.

Bevor wir auf die Erfolgsfaktoren bei der Konzeption von Risikofrüherkennungssystemen zu sprechen kommen, werfen wir einen Blick auf die Systematik der verschiedenen Stadien von Unternehmenskrisen. Diese hat sich in der Praxis als wichtiger Gradmesser bewährt, wenn es darum geht, Risiken und Handlungsspielräume zuverlässig einzuschätzen.

Krisenstadien und ihre Bedeutung für die Krisenabwehr

Unternehmenskrisen treten in der Regel nicht plötzlich auf, sondern folgen einem vorhersehbaren Muster, das sich in verschiedenen Stadien manifestiert. Diese Krisenstadien beginnen oft subtil und können, wenn sie nicht rechtzeitig erkannt und adressiert werden, zu einer existenziellen Bedrohung für Unternehmen führen. Typischerweise werden von der Stakeholderkrise bis hin zur Insolvenzreife die folgenden Krisenstadien unterschieden.

  • Die Stakeholderkrise markiert den Beginn einer Unternehmenskrise. Sie tritt auf, wenn das Vertrauen von wichtigen Interessengruppen wie Kunden, Lieferanten, Investoren oder Mitarbeitern schwindet. Weil etwa vermehrte Reklamationen fälschlicherweise als isolierte Phänomene wahrgenommen werden, werden die Symptome dieser Phase häufig unterschätzt.
  • Die Strategiekrise ist oft der nächste Schritt. In dieser Phase werden strukturelle Schwächen sichtbar. Das Unternehmen hat möglicherweise nicht auf Marktveränderungen reagiert oder hat Wettbewerbsnachteile, weil eine klare strategische Ausrichtung fehlt. Fehlende Innovationskraft, ein unzureichendes Geschäftsmodell oder ein Rückgang der Marktanteile deuten auf tiefergehende Probleme hin.
  • Die Produkt- und Absatzkrise ist eine direkte Folge einer Strategiekrise. Das Unternehmen hat es verpasst, sich rechtzeitig an veränderte Marktbedingungen anzupassen. Maßnahmen wie Produktinnovationen oder aggressive Marketingstrategien können zwar helfen, sind aber zeitaufwändig und teuer.
  • Wenn rückläufige Umsätze und Gewinne auf die Erträge drücken, rutschen Unternehmen in eine Erfolgskrise. Weil der finanzielle Spielraum schwindet und Investitionen zurückgefahren werden, wird die Krise intern zunehmend offensichtlich.
  • In der Liquiditätskrise ist ein Unternehmen bereits existenziell bedroht. Sie tritt auf, wenn kurzfristige Verbindlichkeiten nicht bedient werden können, weil nicht ausreichend liquide Mittel generiert werden. Zahlungsausfälle, verzögerte Lohnzahlungen und drohende Insolvenzanträge machen die Krise nach innen und außen offensichtlich.
  • Am Ende der Abwärtsspirale steht die Insolvenzreife. In diesem Stadium ist das Unternehmen zahlungsunfähig oder überschuldet. Der Weg dorthin ist oft mit vielen verpassten Chancen gepflastert. Trotzdem sind viele Unternehmenslenker überrascht, sich vermeintlich „plötzlich“ in einer Ertrags- oder sogar Liquiditätskrise wiederzufinden.

In den frühen Krisenstadien sind die Krisenmerkmale oft subtil und für das Management schwer zu erkennen. Doch je offensichtlicher die Krise, desto schwieriger ist es, noch wirksame Maßnahmen zu ergreifen. Deswegen ist es so wichtig, Risiken möglichst früh zu erkennen und Gegenmaßnahmen einzuleiten.

Viele Beiträge zum Thema Krisenabwehr orientieren sich an Krisenmerkmalen, die für alle offensichtlich sind. Dabei liegt der Schlüssel zur erfolgreichen Krisenprävention in der frühzeitigen Erkennung und Nutzung der schwachen und zunächst nur subtil erkennbaren Signale. Im nächsten Kapitel werden wir daher praxistaugliche Erfolgsrezepte zur Einführung von Risikofrüherkennungssystemen vorstellen, die sich auf solche „weak early warning signals“ stützen.

Worauf es bei der Konzeption und Nutzung von Risikofrüherkennungssystemen ankommt

Die erfolgreiche Führung eines Unternehmens erfordert nicht nur das Geschick, die aktuellen Herausforderungen zu meistern, sondern auch die Fähigkeit, künftige Risiken zu erkennen und ihnen entgegenzuwirken. Ein Risikofrüherkennungssystem auf Basis schwacher Frühwarnsignale (weak early warning signals) ist dafür unverzichtbar.

Bei der Konzeption eines Risikofrüherkennungssystems müssen zunächst die spezifischen Bedürfnisse und Herausforderungen der Branche und des Geschäftsmodells eines Unternehmens angemessen berücksichtigt werden. Erfolgreiche Unternehmen zeichnen sich dadurch aus, dass sie ein maßgeschneidertes System entwickeln, das nicht nur allgemeine, sondern auch unternehmens- und branchenspezifische Risiken abdeckt. Bei enomyc heißt dieser Ansatz „SAFE“. Die Abkürzung steht für Strategic Analysis for Early-warning. SAFE integriert wesentliche Best Practices aus mehr als eintausend Projekten und bietet einen Leitfaden für die Konzeption und Nutzung von Risikofrüherkennungssystemen.

Bei der Konzeption und Nutzung eines Früherkennungssystems sollten neun Arbeitsschritte durchlaufen und folgende Aspekte besonders beachtet werden:

  1. Geschäftsumfeld analysieren: Identifizieren Sie potenzielle Entwicklungen für den Erfolg und Fortbestand Ihres Unternehmens anhand makroökonomischer Rahmenbedingungen (PESTEL), Branchentrends und den ‚5-Forces‘.
  2. Unternehmensprozesse und -schnittstellen durchleuchten: Hinterfragen Sie Ihr Geschäftsmodell und Ihre Geschäftsprozesse (u. a. Finanzen, Produktion, Lieferketten, IT-Systeme, Personal, rechtlichen Rahmenbedingungen). Das ist die Grundlage, um Risiken frühzeitig identifizieren zu können.
  3. Risikoinventur durchführen: Katalogisieren Sie potenzielle Risiken in verschiedenen Geschäftsbereichen, um ein umfassendes Risikobild zu erhalten.
  4. Schlüsselrisiken priorisieren: Bewerten Sie die identifizierten Risiken nach Wichtigkeit, um sich auf die entscheidenden Faktoren zu konzentrieren. Eine gängige Priorisierung nutzt dafür die Kriterien Wahrscheinlichkeit des Eintritts und Auswirkung auf den Geschäftsbetrieb.
  5. Indikatoren entwickeln: Definieren Sie spezifische, messbare Frühwarnindikatoren, die auf Veränderungen in den wichtigen Risikobereichen hindeuten.
  6. Alarmschwellen festlegen: Legen Sie Schwellwerte (oder Veränderungsraten) fest, deren Überschreiten Reflektionsprozesse anstößt und ggf. auch die Umsetzung vorbereiteter Maßnahmen einleitet.
  7. Maßnahmen vorbereiten: Um bei Erreichen einer Alarmschwelle schnell reagieren zu können, sollten im Vorfeld entsprechende Maßnahmenkonzepte entwickelt werden. Erfolgreiche Unternehmen denken bereits im Planungsstadium Lösungen vor und haben Notfallpläne in der Schublade, um bei Bedarf sofort handeln zu können.
  8. Überwachungsmechanismen einführen: Etablieren Sie Prozesse zur regelmäßigen Überwachung dieser Indikatoren, um rechtzeitig auf Veränderungen reagieren zu können.

Exemplarisch zeigen wir nachstehend Merkmale auf, die sich in etablierten Risikofrüherkennungssystemen als Frühwarnsignale bewährt haben.

Beispiele für Frühwarnsignale in den verschiedenen Krisenstadien

In der Stakeholderkrise zeigen sich erste Anzeichen für schwindendes Vertrauen wichtiger Interessengruppen. Frühwarnsignale sind u. a. folgende Entwicklungen:

  • Anstieg der Kundenbeschwerden.
  • Anstieg der Mitarbeiterfluktuation.
  • Sinkende Wiederkaufsraten (schwindende Kundentreue).

In der Strategiekrise ist das Unternehmen nicht mehr optimal auf die Marktbedingungen eingestellt. Wichtige Frühwarnsignale sind u. a. Entwicklungen:

  • Rückgang des Marktanteils.
  • Abnahme der Innovationsrate.
  • Verlust wichtiger Kunden.
Die Produkt- und Absatzkrise zeigt sich durch sinkende Verkaufszahlen. Wichtige Frühwarnsignale umfassen:

  • Rückgang der Verkaufszahlen.
  • Anstieg der Lagerbestände.
  • Rückgang der Bestellungen.

Für jeden der genannten Frühwarnindikatoren gilt es, klare Alarmschwellen zu definieren. Werden sie überschritten, sollten die im Vorfeld geplanten Maßnahmen ergriffen werden. So können bei einem deutlichen Rückgang der Verkaufszahlen beispielsweise Marketingmaßnahmen intensiviert oder Preisstrategien überarbeitet werden, ohne langwierige Entscheidungsprozesse abwarten zu müssen.

Risikofrüherkennungssysteme machen Unternehmen in der Krise resilienter

Ein Risikofrüherkennungssystem auf Basis schwacher Frühwarnsignale ist ein wertvolles Instrument, um Unternehmen rechtzeitig vor drohenden Krisen zu warnen. Die Kombination aus sorgfältig ausgewählten Frühwarnindikatoren, klar definierten Alarmschwellen und vorgeplanten Maßnahmen kann über Wohl und Wehe – sprich den Fortbestand des Unternehmens – entscheiden. Erfolgreiche Unternehmen zeichnen sich dadurch aus, dass sie diese Systeme nicht nur implementieren, sondern auch kontinuierlich pflegen und anpassen. Diesen Firmen gelingt es, die erste von insgesamt sechs Barrieren für eine erfolgreiche Krisenvermeidung (vgl. Teil 1) zu überwinden, indem sie im Rahmen eines Risikofrüherkennungssystems aus Daten zweckgebundene Informationen generieren. Die zweite Barriere beschreibt die Herausforderung, aus Informationen Wissen zu generieren und auf dieser Grundlage Entscheidungen abzuleiten. Dazu mehr im nächsten Beitrag.

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Über den Autor
Jan Ulrik Holsten verantwortet als Partner bei enomyc den Bereich Sales und Marketing. Er verantwortet ganzheitliche Turnaround- und Wertsteigerungsprojekte als Berater und Interim-Manager. Der aktuelle Beitrag wirft ein Schlaglicht auf einen zentralen Lösungsansatz unseres Beratungsportfolios, welcher sich als wertvoller Stellhebel zur Verbesserung der Profitabilität und Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit erwiesen hat. Weitere Schwerpunkte von Jan Ulrik Holsten sind die Themenfelder Corporate Profit Improvement und Working Capital Management. Mehr über Jan Ulrik Holsten erfahren Sie hier.

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