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Diversifikation: Strategische Chance oder überflüssiges Risiko?
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Neben der eigenen Kernkompetenz diversifizieren und neues Geschäft in neuen Wirtschaftszweigen generieren: Selbst gut aufgestellte Mittelständler scheitern an den Herausforderungen neuer Märkte. Was genau macht Diversifikation problematisch? Ist es das Prinzip an sich? Scheitert Diversifikation in speziellen Branchen oder schlicht an ihrer Umsetzung? Darauf blicken zwei Experten – Dr. Stefan Frings, Partner bei enomyc, und Dr. Jochen Markgraf, Partner bei Seitz Rechtsanwälte – aus leistungswirtschaftlicher und gesellschaftsrechtlicher Sicht.


Sie arbeiten seit zwei Jahren zusammen und haben mehrere Projekte gemeinsam begleitet: Dr. Frings, Sie sind Berater in der Restrukturierung und Performance-Steigerung, Partner und Head of Strategy bei enomyc. Dr. Markgraf, Sie sind spezialisiert auf Gesellschaftsrecht und Insolvenzrecht, Partner bei Seitz Rechtsanwälte und beraten in der insolvenznahen Restrukturierung und Sanierung. Haben Sie immer Konsens?

Dr. Stefan Frings: Wir betrachten Projekte ähnlich, wenn auch aus zwei unterschiedlichen Blickwinkeln. Unsere Häuser arbeiten in den Projekten mit einem ähnlichen Spirit, sodass der “Cultural Fit” sehr gut passt. Das merken auch unsere Kunden. Für mich ist die leistungswirtschaftliche Komponente primär, für Herrn Markgraf die gesellschaftsrechtliche. Wir arbeiten sehr lösungsorientiert und pragmatisch zusammen.

Dr. Jochen Markgraf: Ich bin von Haus aus Rechtsanwalt und Bankkaufmann. Meine Argumente in Richtung Stakeholder, Banken und Unternehmen überschneiden sich mit denen von Herrn Frings. Was wir in jedem Fall gemeinsam haben, sind ein klarer Fokus und eine sehr klare Ansprache. Denn wirtschaftlich wie rechtlich gilt: Alle Karten müssen auf den Tisch. Nur wenn alle Informationen vorliegen, können Lösungen für Unternehmen gestaltet werden, die zuletzt auch rechtlich umsetzbar sind.

Sie verfolgen die Diversifikationsstrategien des deutschen Mittelstands aktiv mit. Welche Tendenzen stellen Sie zurzeit fest?

JM: Wir beobachten aktuell eine deutliche Tendenz in Richtung Verteidigungsindustrie. Sie kommt aus verschiedenen Bereichen – unter anderem aus Automotive, Chemie, Technologie und IT.

SF: Ja, tatsächlich zieht es viele Unternehmen aus dem Maschinenbau, dem Fahrzeug- und Sonderfahrzeugbau in die Rüstungsindustrie. Vor wenigen Jahren haben wir eine solche Tendenz noch in Richtung Biotechnologie beobachtet. Viele Unternehmen strebten damals beispielsweise eine Zusammenarbeit mit BioNTech an.

Dann kann sich Diversifikation also als sehr chancenreich erweisen. Wann ist sie aus Ihrer Sicht aber auch wirklich sinnvoll?

SF: Wenn Unternehmen über gute Produkte, Know-how und Ideen verfügen, ist es grundsätzlich immer sinnvoll, nach Wachstumsopportunitäten zu suchen. Betriebswirtschaftlich wird Diversifizierung allerdings oft als Heilmittel angesehen, um harte oder notwendige Restrukturierungsschritte zu vermeiden, die eher auf die Wiederherstellung einer wettbewerbsfähigen Kostenstruktur hinauslaufen würden. Das finde ich sehr schwierig, wir erleben es oft. Natürlich ist es fürs Management wesentlich angenehmer zu kommunizieren, es werde nun auf Wachstum gesetzt und auf neue Märkte. Bevor aber ein Diversifikationsvorhaben in Betracht gezogen wird, sollten sehr grundsätzliche Fragen gestellt werden.

JM: Diversifikation gehört zum Business Development eines Unternehmens dazu. Es besteht manchmal sogar der Zwang zur Diversifikation – denken wir allein an Produkte wie den Verbrennermotor: Wer ausschließlich Teile dafür herstellt und liefert, während das E-Auto immer größere Marktanteile gewinnt, muss damit rechnen, dass sich der eigene Markt verkleinert. Diversifikation ist also sehr sinnvoll, um eine Unabhängigkeit von einzelnen Kern-/ Bereichen des Unternehmens zu schaffen. Sie darf aber kein Mittel zum Zweck sein. Sinnvoll ist sie nur dann, wenn – etwa bei Erweiterung des Unternehmens um eine zusätzliche Branche – der Start gut geplant, wirtschaftlich durchdacht und rechtlich abgesichert wird.

Dr. Frings, Sie sagen, es sollten grundsätzliche Fragen zur Prüfung einer Diversifizierungsstrategie gestellt werden. Woran sollten sich Unternehmen dabei orientieren und was genau beantworten können?

SF: Mein akademischer Lehrer, Herr Prof. Wildemann, hat immer gesagt: “Schaut Euch an, wie es die Erfolgreichen machen. Was machen sie anders oder besser?” Möchten Unternehmen neue Märkte erschließen – ob mit bestehenden oder neuen Produkten – sollten sie sich auch an der Logik der Ansoff-Matrix orientieren und strategische Fragen stellen:

  1. Haben wir die richtigen Produkte?
  2. Haben wir für die spezifische Anwendung oder Branche die erforderlichen Kompetenzen? Ich rate Unternehmen, eine Kompetenzanalyse zu machen, um festzustellen, was sie brauchen und ob sie alles liefern können. Noch wichtiger ist die Frage:
  3. Haben wir Marktzugang? Es können beispielsweise nicht einfach Vertriebsteams aus der Möbel- in der Medizintechnikbranche eingesetzt werden. Das ist eine völlig andere Branche, eine völlig andere Art des Verkaufs, ein völlig anderer Zugang.
  4. Welche Potenziale bietet der Markt?
  5. Was kostet die Markterschließung? Haben wir die finanziellen Mittel dafür? Das Thema Finanzierung ist nicht zu unterschätzen. Beispielsweise dauert eine Markterschließung in Auslandsmärkten wesentlich länger. Wir haben Unternehmen erlebt, die mit der Kreditlinie der lokalen Bank den amerikanischen Markt erschließen wollten, dort aber auf sehr starke Regulierungen gestoßen sind. Zulassungen können viel Zeit in Anspruch nehmen. Unternehmen müssen Reserven anlegen, damit ihnen währenddessen finanziell nicht die Luft ausgeht. Deswegen auch folgende Frage, bei der Dr. Markgraf als Jurist ins Spiel kommt:
  6. Welche Risiken haben wir? Gerade die Frage nach der Risikoabschätzung wird häufig nicht oder nur unzureichend beantwortet. Nach meinen Erfahrungen sollte auf das Thema “Risikominimierung” besonders Wert gelegt werden. Das beinhaltet Fragen der Haftung, aber auch der Finanzierung.

Dr. Markgraf, wozu raten Sie an dieser Stelle? 

JM: Wir raten Unternehmen, die Erweiterung oder Neuaufstellung ihres Unternehmens – je nach Größe und Umfang – wie eine Unternehmensgründung zu betrachten. Bei jeder Unternehmensgründung wird zunächst ein Business Case aufgestellt und plausibilisiert. Es wird geprüft, wie der Start und die Anlaufphase finanziert werden kann, welche Investitionen erforderlich sind und in welchem – auch rechtlichen – Rahmen dies erfolgen soll. Nichts anderes sollte im Falle einer Diversifizierung gelten, wenn man sich in neue Branchen wagen möchte. Wir raten auch grundsätzlich zu einer möglichst umfassenden Prüfung, wie die Erweiterung gesellschaftsrechtlich umgesetzt werden soll. Oftmals macht es Sinn, den neuen Bereich aus einer eigenen Legal Entity heraus aufzusetzen.

Warum ist das wichtig?

JM: Sollte das Projekt scheitern, ist die Beendigung eines Business im Regelfall einfacher, wenn es in einer eigenen Entity liegt. Darüber hinaus kann durch eine solche Trennung sichergestellt werden, dass in diesem Fall nicht auch das Kernunternehmen in Mitleidenschaft gezogen wird.

Welche Haftungsrisiken entstehen, wenn die rechtliche Trennung dagegen fehlt?

JM: Wenn eine Sparte Verluste produziert, muss die andere Sparte dies wirtschaftlich auffangen. Im Worst Case kann das zu einer wirtschaftlichen Bedrohung des gesamten Kern-/Unternehmens führen. In diesem Fall muss die defizitäre Sparte – sofern dies noch durch das Kernunternehmen finanziert werden kann – außerinsolvenzrechtlich geschlossen werden. Dies ist sowohl arbeitsrechtlich als auch vertragsrechtlich – nicht zuletzt auch im Rahmen der Innenfinanzierung – sehr komplex und mitunter kostenintensiv. Im schlimmsten Fall droht die Insolvenz des gesamten Unternehmens. Vor diesem Hintergrund muss, sofern eine gesellschaftsrechtliche Trennung der Sparten nicht erfolgen soll, geprüft werden, wie die Finanzierung der neuen Einheit gestaltet werden soll. Bei der Konzeptionierung und Umsetzung der finanziellen Ausgestaltung der neuen Einheit muss darauf geachtet werden, dass die Risiken sowohl beherrschbar, aber auch – sofern möglich – begrenzt werden. Dies kann etwa im Wege einer durchdachten Vertragsgestaltung erfolgen.

Welche vertraglichen und strukturellen Weichenstellungen sind dann entscheidend?

JM: Auch im Falle einer gesellschaftsrechtlichen Trennung bedarf es eines finanziell belastbaren Konzepts – das heißt: keine ausufernden Bürgschaften oder Patronate für Tochtergesellschaften. Es braucht auch eine klare Trennung der Geschäftsfelder und damit auch der Arbeitnehmer. Die Strukturen müssen festgezogen werden: Wann sollten beispielsweise welche Zahlungen worauf geleistet und zurückgezahlt werden? Ein Beispiel: Wir hatten einen Case, bei dem die Mutter- die Tochtergesellschaft durch verschiedene Darlehensgewährungen finanziert hat. Die Darlehensgewährungen erfolgten mehrmals im Jahr. Das Problem war, dass die Tochter, wann immer sie über eigene finanzielle Mittel verfügte, Rückzahlungen an die Mutter leistete. Einige Monate später erfolgten indes wieder Darlehensgewährungen an die Tochter. Als die Tochter immer stärker in die wirtschaftliche Schieflage geriet, wurde über eine Insolvenz nachgedacht. Das Problem war, dass aufgrund der Rückzahlungen der Darlehen an die Mutter, erhebliche Insolvenzanfechtungsrisiken bestanden. Das heißt, im Falle einer Insolvenz hätte die Mutter die erhaltenen Gelder an den Insolvenzverwalter auskehren müssen.

Entscheidet sich ein Unternehmen von vornherein, eine eigene juristische Einheit für einen neuen Bereich zu gründen: Welche zusätzlichen Punkte dürfen planerisch nicht fehlen?

JM: Neben den bereits genannten Punkten darf natürlich die steuerliche Prüfung nicht fehlen. Ebenso zwingend ist, wie die Gesellschaft arbeitsrechtlich aufgestellt wird. Zudem muss klar gestaltet und dokumentiert werden, auf welcher Grundlage welche Leistungen zwischen den Gesellschaften ausgetauscht werden. Hier können bereits bestehende Strukturen gebündelt und, wie die Kompetenzen, zwischen den Gesellschaften und Geschäftsfeldern verteilt werden. Das beginnt bei einfachen Themen, beispielsweise wer für die Lohn-/ Buchhaltung der neuen Einheit zuständig ist und welche Stelle die Rechnungsstellung übernimmt. Auch muss geklärt werden, in welcher IT-Landschaft die neue Gesellschaft eingebunden wird. Die Vertragsgestaltung für das Daily Business – dazu gehören unter anderem Lieferverträge und Laufzeiten mit den neuen Kunden – muss eingehend betrachtet und bewertet werden: Ob und in welcher Konstellation sind die Verträge denn wirklich zielführend? Warum dies alles so wichtig ist: Um im Worst-Case die Tochtergesellschaft bestmöglich von der Muttergesellschaft zu entflechten.

Und im Best-Case?

JM: Im Best Case können Unternehmen auch Partner oder Strategen involvieren. So können Kapital, Kontakte und Kompetenzen in die Tochtergesellschaft geschleust werden und man minimiert das eigene Risiko. Über ein Joint Venture kann auch der Markteintritt vereinfacht werden. Das Vorhaben kann so von vornherein stabil aufgebaut werden. Im Best Case könnte aber auch eine Veräußerung der Tochtergesellschaft unkomplizierter realisiert werden.. 

Wenn dem so ist, warum schlagen Unternehmen diesen Weg nach wie vor nicht grundsätzlich ein, wenn sie Neugeschäft in fremden Gefilden generieren? Gibt es Vorteile, wenn keine eigene juristische Einheit im Unternehmen gegründet wird?

JM: Keine eigene Einheit zu gründen, hat den Vorteil geringerer Kosten. Es besteht weniger Gründungs- und Verwaltungsaufwand. So ist auch ein schnellerer Start möglich. Man besetzt für den Anfang wenige Stellen aus dem Stammhaus heraus. Es müssen keine neuen Führungspositionen besetzt werden. Es braucht auch keine Neugründung, keine andere Rechnungslegung, keine andere Finanzierung; die passiert über Budgets aus der Company heraus. Auch die Corporate Governance bleibt gleich und der kommunikative Aufwand ist gering.

Raten Sie in jedem Fall zur Gründung von Tochtergesellschaften? Oder ist es manchmal auch rentabler, einen neuen Geschäftsbereich innerhalb des Unternehmens, direkt aus dem Hauptunternehmen heraus, zu betreiben?

JM: Ab einer bestimmten geplanten Größe raten wir in jedem Fall zu einem Start bzw. einer Ausgliederung in einer eigenen Einheit. Auch wenn das neue Business ernsthaft betrieben und nicht nur wirtschaftlich unwesentlich experimentiert werden soll. Wenn es aber eine ganz enge Verzahnung der neuen mit der alten Sparte gibt, dann kann auch von einer eigenen juristischen Einheit abgesehen werden. Dies muss aber immer im Einzelfall bewertet werden.

Dr. Frings, Sie haben bereits sechs wichtige Leitfragen formuliert, um Diversifikationsstrategien leistungswirtschaftlich zu überprüfen: Welche Punkte sollten Unternehmen zusätzlich aufnehmen?

SF: Nach unserer Projekterfahrung ist Transparenz ein ganz wesentlicher Erfolgsfaktor. Nur wenn ein Unternehmen weiß, mit welchen Kunden und mit welchen Produkten es Geld verdient, kann es sich strategischen Fragen widmen. Wir erleben Unternehmen, denen es an Produktdeckungsbeitragsrechnungen und an kundenbezogenen Erfolgsrechnungen fehlt. Deswegen die Frage:

  1. Kennen wir die Werttreiber und die Wertvernichter unseres Unternehmens? Technische Kompetenzen sind im deutschen Mittelstand in der Regel nicht das Problem. Das Problem ist, dass Unternehmen häufig versuchen, Erfahrungen aus der angestammten Branche auf neue Branchen zu übertragen. Hier vernachlässigt man Spielregeln und Regulatorik. Die nächste Frage lautet daher:
  2. Kennen wir die Gewohnheiten, die Regulatorik, die Spielregeln der neuen Branche? Oftmals werden die Besonderheiten der neuen Branche übersehen, weil sie den Unternehmen, die diversifizieren, einfach nicht bekannt sind. Ein Beispiel aus dem Bereich Automotive: Zulieferer, die große OEMs mit Teilen ausstatten, sollte vorab klar sein, dass die Entwicklung der Produkte im Regelfall vorfinanziert werden muss. Ist das nicht Teil der vertraglichen Situation, können Zulieferer große finanzielle Risiken eingehen. Ein anderes Beispiel: Wenn die im Business Case vorgesehenen Abrufe der Teile nicht durch die neuen Kunden erfolgen, führt dies automatisch zu einer wirtschaftlichen Schieflage. Das sind wichtige Branchen-Insights, die oftmals außer Acht gelassen werden.
  3. Haben wir klare Meilensteine definiert? Unternehmen sollten bestimmte Haltepunkte definieren, anhand derer sie ehrlich hinterfragen, ob das geplante Vorhaben auch gelingt. Das macht man in jedem Entwicklungsprozess. Stellt sich heraus, dass der Plan nicht aufgeht, ist ein Abbruch oft besser, als einen wenig erfolgversprechenden und mit vielen Risiken behafteten Weg weiterzugehen. Wir erleben, dass Unternehmen das Setzen und Hinterfragen von Meilensteinen vernachlässigen. Sich einzugestehen, dass das Vorhaben misslungen ist, ist sehr schwer – keine Frage. Dennoch ist diese Einsicht unerlässlich und ein Abbruch keine Schande: Wenn es nicht funktioniert, sollte das Projekt rechtzeitig beendet werden. Die alles entscheidende Frage ist aber:
  4. Haben wir einen Business Plan? Es sollte eine realistische und eher konservative Business-Planung über mehrere Jahre vorgenommen werden, bei der man, frei von Optimismus, wirklich realistisch einschätzt, was man schaffen kann, was es kosten wird und was es bringt, zu diversifizieren. Hat man diese Frage ehrlich beantwortet, kann nicht mehr so viel schief gehen.

Nehmen wir an, das Kind ist schon in den Brunnen gefallen: Die neu gegründete Sparte wurde direkt aus dem Hauptunternehmen heraus betrieben und rentiert sich nun nicht mehr. Welche Exit-Strategien gibt es für Unternehmen?

SF: Hier gibt es keine allgemeingültige Antwort. Dafür ist die Thematik zu vielschichtig. Zunächst einmal müssen Unternehmen sich eingestehen, dass der eingeschlagene Weg falsch war. Dann müssen Kosten und Nutzen eines Ausstiegs emotionslos in einer Planungsrechnung berechnet werden. Hier ist das Problem, dass häufig negative Produkte noch einen positiven Deckungsbeitrag liefern. Da ist natürlich zu prüfen, dass auch Fix- und Strukturkosten abgebaut werden. Zusätzlich sind Lieferverpflichtungen, -zeiträume und vertragliche Rahmenbedingungen zu analysieren.

Können Unternehmen sauber aussteigen?

SF: Es gibt keinen Königsweg. In der Regel gilt, dass der konsensuale Weg der zielführende ist. Dazu muss verhandelt werden, es müssen Lösungen angeboten und Gelder bereitgestellt werden.

JM: Dem stimme ich voll zu. Letztlich bleibt dann keine Möglichkeit, als zu versuchen, mit allen Stakeholdern eine Schließung der Sparte zu vereinbaren. So ist dann mit den Banken oftmals abzustimmen, welche Beträge für die Schließung verwendet werden können. Mit den Kunden und Arbeitnehmern müssen Aufhebungsverträge abgestimmt werden. Betriebsräte sind einzubinden. Auch kommunikativ muss hier sehr genau gearbeitet werden, denn es ist natürlich darzulegen, dass die übrige Sparte weiterhin erfolgreich fortgeführt wird. Eine solche Schließung geht regelmäßig einher mit einer gewissen Unsicherheit aller Stakeholder. Dies gilt es, entsprechend zu minimieren..

Was ist oft die bittere Lehre?

SF: Dass gut gemeinte Wachstumsstrategien häufig zu bedrohlichen Unternehmenskrisen geführt haben. Die Komplexität führt zu langwierigen Prozessen. In den Unternehmen herrscht ein hohes Stresslevel. Auch ist der kommunikative Aufwand sehr groß. Insgesamt sind die Fehler, die in diesem Zusammenhang passieren, sehr kostspielig.

Welche Beobachtung und Empfehlung möchten Sie abschließend teilen?

JM: Wir können inzwischen nicht mehr belastbar einschätzen, wie sich Banken positionieren. Ich beobachte in vorinsolvenzlichen Beratungen, dass Banken – auch berechtigterweise – wesentlich schneller als sonst nach Gutachten verlangen und generell harte Forderungen aufstellen. Teils müssen Chief Restructuring Officers in Unternehmen eingesetzt werden. Auch meiden Banken zunehmend Branchen und Geschäftsmodelle, die durch zu hohe Risiken gekennzeichnet sind.

SF: Das ist genau der Punkt: Branchen können an Attraktivität verlieren und dadurch auch Finanzierer unter Druck setzen, aus den Geschäften auszusteigen. Das ist ein großes Thema. Das Stichwort lautet "Risikofrüherkennung" und der Appell an Banken, ihren Kunden frühzeitig die auch unangenehmen Fragen zu stellen. Wir haben Fälle, bei denen deutlich wird: Wäre vor fünf Jahren klar eingeschritten worden, wäre Unternehmen viel Ärger erspart geblieben. Prävention ist immer besser als Reaktion. Das gilt überall. Um aber Risikofrüherkennung zu betreiben, braucht es zunächst das Wissen über das eigene Unternehmen. Es braucht Zahlentransparenz. Kaufmännische Führung ist ein Erfolgsmodell. 

Vielen Dank für das Gespräch.


Dr. Jochen Markgraf ist Partner bei Seitz und Standortleiter des Düsseldorfer Büros. Einer seiner Beratungsschwerpunkte liegt in der insolvenznahen Restrukturierung und Sanierung von Unternehmen, insbesondere im Bereich Automotive, Handel und Industrie(-bedarf). Er verfügt über besondere Expertise in der Unternehmensfinanzierung und ein großes Netzwerk an langjährigen Kontakten zu diversen Bankhäusern, Finanzierern sowie Wirtschaftsprüfern und Sanierungsberatern. Seine Erfahrung und Vernetzung machen ihn in Krisensituationen zu einem sehr gefragten Ansprechpartner – für Unternehmen und Banken gleichermaßen.

Dr. Stefan Frings bringt über 25 Jahre Erfahrung in der Top-Management-Beratung mit – insbesondere in den Bereichen Restrukturierung und Performanceverbesserung. Als Partner und Head of Strategy verantwortet er den Standort Köln. Er begleitet Unternehmen nicht nur strategisch, sondern auch operativ – und hat zahlreiche Projekte in Europa und darüber hinaus erfolgreich realisiert. Frings studierte Betriebswirtschaftslehre an der Universität zu Köln und promovierte an der Technischen Universität München zum Doktor der Wirtschaftswissenschaften.

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