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Elektrisiert und voll gefedert: Die deutsche Fahrradbranche und der Case Rose Bikes
19:23

Leasing-Bike statt Dienstwagen, E-Bike-Tour statt Kreuzfahrt, SUB statt SUV: Fahrradfahren ist Lifestyle und der liegt ungebrochen im Trend. Ein Blick in die Booths der EUROBIKE 2024 zeigt: Die Fahrräder der Zukunft sind noch leichter, noch smarter, noch stylischer – vor allem aber elektrifizierter und reichweitenstärker. Zum ersten Mal wurden 2023 mehr E-Bikes als mechanische Fahrräder verkauft. Und auch die Finanzierungsmöglichkeiten haben sich erweitert: Bike-Leasing und Bike-Sharing sind längst etabliert. Dennoch: Seit vielen Jahren folgen in der Branche Berg- auf Talfahrten – und das oft dicht an dicht. Während es aktuell im High End- und Lifestyle-Segment richtig gut läuft, kämpft der Handel insgesamt mit massiven Preisschlachten, Personalabbau, sogar Schließungen. Warum? Wie geht Innovation in unsicheren Zeiten? Und was lehrt uns der Case ROSE Bikes – wirtschaftlich und auch persönlich? Ein Experteninterview mit Dr. Stefan Frings.


Dr. Frings, Sie sind Partner und Head of Strategy bei enomyc in Köln, blicken auf mehr als 25 Jahre Beratungspraxis zurück – vorrangig im B2B: Automobil- und Zulieferindustrie, Maschinen- und Anlagenbau, Transport und Logistik. Wir sprechen heute aber über eine Branche, die im Gegensatz zu den vielen anderen, die sie beraten, B2C-Produkte herstellt: Fahrräder. Welchen Stellenwert haben sie?

Fahrräder sind heute ein Lifestyle-Produkt. Ein Sportinstrument – denken wir an Rennräder, Mountain- und Gravelbikes. Sie sind aber ebenso Hightech: Wir beobachten hier einen Trend, den die Automobilisten “Demokratisierung” nennen. Innovative Features sind anfangs immer der Oberklasse vorbehalten, halten dann aber mit der Zeit auch Einzug in die Mittel- und Kompaktklasse.

Welche beispielsweise?

Räder mit Riemenantrieb. Sie sind komplett wartungsfrei und verschleißarm. Oder Räder mit Automatikschaltungen, die eine vorgegebene Trittfrequenz beibehalten. Auch das Thema Sicherheit ist verstärkt worden: von Scheibenbremsen über weit bessere Belichtung bis hin zu Equipment wie Helmen, die teils mit Bluetooth-Schnittstellen zum Smartphone ausgestattet werden.

Was glauben Sie: Warum wächst die Beliebtheit von Fahrrädern stetig an?

Ich glaube, das Health Movement ist ein starker Treiber. Der Trend zu mehr Bewegung, zu einem gesünderen Leben: Er führt auch dazu, dass Menschen tendenziell mehr Fahrrad fahren. Hinzu kommen ein gesteigertes Umweltbewusstsein und Anreize durch die Mobilitätswende, beispielsweise Infrastrukturprojekte, die den Bau von Radwegen steigern.

Auch die Pandemie war ein Treiber.

Ja, genau. Auch sie hat zu einer verstärkten Fahrradnutzung geführt. Menschen haben sich auf dem Fahrrad sicherer gefühlt als in öffentlichen Verkehrsmitteln. Und heute beobachte ich auch mehr denn je, dass Menschen, die sonst Auto fahren, davon genervt sind – ob vom quälenden Verkehr, der schlechten Parksituation in Innenstädten oder hohen Spritpreisen.

Nun beraten Sie ja mit ROSE Bikes einen Kunden im Lifestyle-Segment. Was für einen Effekt hat das auf Ihre Beraterpraxis? Es geht um ein B2C-Produkt, dass Sie sogar selbst nutzen.

Das hat mehrere Effekte: Hat man eine Affinität zu einem Produkt, ist man natürlich viel näher dran. Als Nutzer hat man dafür noch eine ganz andere Beurteilungskompetenz. Man kann sich gut in die Zielgruppen hineinversetzen. Natürlich ist die Technik eines Elektronenschweißgeräts auch sehr faszinierend. Aber für mich als Endkunde, der in der Vergangenheit selbst viel Rennrad gefahren ist, besteht noch eine andere Vertrautheit, ein anderer Zugang zu den Produkten und dem Unternehmen.

Sie haben viele Projekte in der Automobil- und Zuliefererindustrie begleitet. Erkennen Sie Parallelen zur Fahrradbranche oder sind es eher Besonderheiten?

Was die Teile und ihre Beschaffung betrifft, gibt es sicher viele Parallelen. Was die Branchen aber sicher unterscheidet, ist, dass man in der Fahrradbranche sehr stark auf Lieferanten aus Asien angewiesen ist. Man arbeitet mit wenigen, aber sehr großen Lieferanten mit wiederum sehr großer Marktmacht. Letztlich hat es die Lieferantenseite mit einem sehr engen Oligopol zu tun. Hersteller können sich deswegen nicht unbedingt aussuchen, mit wem sie zusammenarbeiten. So gibt es in der Branche traditionell große Firmen, die beispielsweise ihren Schwerpunkt im Rahmenbau oder für Komponenten haben. Rahmen sind eine sehr große Komponente. Und die wurden schon immer und viel in Taiwan gebaut. Shimano als Lieferant für die wesentlichen Komponenten ist beispielsweise gesetzt. Das ist eine Besonderheit der Branche.

Was hat sich in den letzten Jahren in der deutschen Fahrradbranche getan? Wie hat sie sich verändert?

Komplett. Denkt man zurück bis in die 1990er-Jahre, dann wurden damals die höherwertigen Rennräder noch wunschgemäß konfiguriert und beim Händler zusammengestellt. Das italienische Rennrad war in der Szene das Statussymbol schlechthin. Mit dem anschließenden Mountainbike-Boom setzte eine gewisse Amerikanisierung ein. Die Geometrie der Fahrräder wandelte sich extrem – ebenso das Zubehör. Neue Player eroberten den Markt – was auch den Vertrieb ein Stück weit verändert hat. Weg vom konfigurierten zum Komplettrad: Heute werden fast ausschließlich Kompletträder verkauft – selbst in den höherwertigen und hochpreisigen Bereichen. Ich habe zuletzt Fahrrad-Boutiquen in Girona, dem Rennrad-Mekka in Spanien, besucht: Dort wurden im Schaufenster Komplett-Rennräder ausgestellt mit einem Wert von 10.000 € aufwärts. Das wird zuletzt angeboten und das zieht sich auch durch alle Preissegmente.

Zuletzt zeichnet sich in der Branche ein diffuses Bild: Ihr geht es insgesamt sehr gut, parallel aber sind Rabattschlachten in vollem Gange Wie passt das zusammen?

Die Branche hatte ja lange Zeit Rückenwind. Sie war Corona-Gewinnerin. Der große Abriss kam danach, 2021 und 2022: Die Supply Chain-Krise hat die Branche extrem ausgebremst. Der Bedarf an Ware war groß, es gab aber Lieferausfälle, Verzögerungen und extrem teure Frachtraten.

Eine Zwischenfrage dazu: Haben diese Vorkommnisse ein Umdenken in der Branche angestoßen? Wir sprachen ja vor einer Weile über Local versus Global Sourcing. Macht beispielsweise das "Bike Value" in Portugal einen entscheidenden Unterschied?

Es wird versucht, mehr Near- und Reshoring zu betreiben, das stimmt schon. Aber praktisch ist es unmöglich, komplett auf das Sourcing und auf die Produktion von Komponenten aus Asien zu verzichten – Stichwort Shimano. Was aber die Fahrradmontage betrifft: Da sieht es schon anders aus. Zwar gehören nach wie vor Länder wie Taiwan, Japan und die USA zu den größten Fahrradexporteuren, aber in Europa mausert sich Portugal definitiv zu einem ernstzunehmenden Player in Montage und Innovation. Auch osteuropäische Länder kommen aufgrund ihrer Kostenvorteile als Montagestandorte in Frage.

Weil Sie die Supply Chain-Krise ansprachen: Heute sind die Lieferkettenprobleme ja weitgehend behoben. Wogegen kämpfen einige Hersteller und Händler aber weiterhin?

Gegen viel zu volle Lager. Eine fehlende Teileverfügbarkeit hat in der Branche vielfach zu hohem Bestandsaufbau und damit zu hoher Liquiditätsbelastung geführt. Auch wenn sich die Teileverfügbarkeit wieder normalisiert hat, leidet die Branche immer noch unter der Supply Chain-Krise von vor drei Jahren. Die Teilelager der Hersteller schmelzen ab. Mittlerweile werden die Händler teilweise regelrecht mit Fahrrädern geflutet. Die Folge sind Preisverfall und regelrechte Rabattschlachten. Das erleben wir gerade in Segmenten, die zurzeit aber auch weniger nachgefragt werden. Denn während teure Rennräder und höherwertige E-Bikes trenden, herrscht in den mittleren und in unteren Preissegmenten, bei den klassischen, mechanischen Fahrrädern, Kaufzurückhaltung. Sportbegeisterte und Freizeit-Mountainbiker interessieren sich mittlerweile für sehr attraktive E-Mountainbikes und E-Trailbikes. Im Bereich „Sport“ punktet auch das Gravelbike. Hier beobachten wir mittlerweile eine Spezialisierung für verschiedene Anwendungsbereiche innerhalb des Segments. Ein Trend, der Absatz und Umsatz beim Marktführer ROSE Bikes in diesem Segment positiv beeinflussen kann.

Lassen Sie uns über zwei Trends sprechen: 1. die Elektrifizierung des Fahrrads – 2023 wurden erstmals mehr E-Bikes als mechanische Fahrräder verkauft – und 2. die Finanzierungsmöglichkeit Dienstrad-Leasing. Die Branchenstudie 2024 der Zukunft Fahrrad e.V. bezeichnet beide als "Gamechanger" für Nutzung und Markt. Wie sehen Sie das? Welche Effekte haben Sie beobachtet?

“Gamechanger” trifft es, denn für viele Menschen wurde Fahrradfahren ja – wieder oder überhaupt erst – durch E-Bikes attraktiv. Das E-Bike hat einen großen Effekt auf die Lebensqualität vieler Menschen. Ich fahre selbst viel mehr Rad, seit ich ein E-Bike besitze. Es ist sehr praktisch – für den Arbeitsweg, für Besorgungen und im Urlaub. Für Familien hat sicher das E-Lastenrad einen bedeutenden Unterschied gemacht. E-Bikes sind im Vergleich zum mechanischen Fahrrad, dem “Bio-Bike”, einfach sehr entlastend und auch eine gute Alternative zum Auto. Denken wir an Senioren, so können die meisten mit einem E-Bike viel mehr am Leben teilnehmen. Sie können schonend und ohne Anstrengung mobil sein – und auch mit den jüngeren Menschen in ihrem Leben mithalten. Es ist unschwer zu erkennen, dass die produzierende E-Bike-Branche dadurch einen riesigen Boom erlebt. Aber nicht nur sie: Auch die Branchen darum herum profitieren stark: So ist beispielsweise das Angebot von E-Bike-Touren oder -Reisen vielfältiger geworden.

Okay, kommen wir zu “Gamechanger No. 2”: das Dienstrad-Leasing. Welchen Effekt hat es auf die Fahrradbranche?

Für die Hersteller ist es ein sehr lukratives Geschäft. Gute Konditionen führen bekanntlich zu größerer Nachfrage, zu neuen Zielgruppen und zu höherem Verkaufsvolumen. Die Kunden profitieren auf der anderen Seite von Steuervorteilen und leasen deswegen auch gern eher teurere Modelle. Das wiederum bringt den Herstellern bessere Margen. Mit einem kontinuierlichen Absatz können sie auch die Nachfrage wesentlich besser planen. Es trifft sie auch kein Risiko, denn es sind ja Leasing-Anbieter zwischengeschaltet. Hinzu kommt, dass Hersteller von einer Kundenbindung profitieren, die über mehrere Jahre hinweg hält, mindestens 36 Monate, und dass auch der Service und Zubehörverkauf zusätzliche Gewinne für sie generiert. Im Grunde ist es genauso wie beim Leasing eines Wagens.

Mit dem Case ROSE Bikes haben Sie Introspektive in ein herstellendes Unternehmen gewonnen: Wie haben Sie diese beiden Trends dort erlebt?

Ich habe bei ROSE Bikes beobachtet, dass beide Trends – sowohl das E-Bike- als auch das Leasing-Geschäft – als starke Innovationstreiber genutzt wurden. Rose hat beispielsweise mehrere neue E-Modelle gelauncht, die auch als Dienstrad infrage kommen. Damit hat das Unternehmen einen Nerv getroffen und konnte sich wichtige neue Zielgruppen erschließen.

Gestartet ist das Unternehmen bereits 1907 als Fahrradladen in Bocholt. Es hat dann einen Versandhandel aufgebaut und gab teils 1000-seitige Bestellkataloge heraus. Haben Sie so einen Katalog schon mal in den Händen gehalten?

Natürlich. Das Unternehmen hatte schon in den 1970er-Jahren ein sehr gutes Standing in Deutschland. Sein Versandhandel war in der damaligen Branche herausragend und die Kataloge waren sehr begehrt. Später hat das Unternehmen seine eigene Fahrradmarke produziert. Und damit hat Rose es geschafft, ähnlich wie Canyon, zwar als traditionsreiches Fahrradunternehmen zu starten, sich aber dann, mit der eigenen Marke, zum Marktführer im eigenen Segment zu entwickeln. Eine Erfolgsstory.

Heute bezeichnet sich das Unternehmen als “Omnichannel-Händler im Wachstum”. Rose vertreibt seine Produkte über seine Website und eigene Stores in Deutschland und der Schweiz. Was ist das Reizvolle an diesem Konzept?

Ich denke, es ist die Customer Journey. Und die beherrschen die erfolgreichen Player der Branche auch sehr gut. Im besten Fall wird die Customer Journey über verschiedene Kanäle und Medien so abgebildet, dass sie für die Zielgruppen präsent wird, nahbar und sympathisch – ob offline oder online, Hauptsache in der Lebensrealität von Menschen. Sie beginnt mit der Idee, ein Fahrrad zu benötigen, führt dann über die Recherche zum Kauf und idealerweise zu vielen weiteren Besuchen im Store für neues Zubehör.

Um so eine Customer Journey aufzubauen, gehört eine extrem gute Zielgruppenkenntnis dazu, im Grunde Profiling.

Genau. Das ist sehr aufwändig. Es setzt ein hohes kundenzentriertes Arbeiten voraus und ein ausgeklügeltes Online Marketing, das Informationen online sammelt und auswertet. Wir sprachen ja eingangs über den Wandel in der Branche: Was sich auch massiv geändert hat – und das ist eine sehr wichtige Entwicklung – ist das Thema E-Commerce, der Online-Verkauf: Rose präsentiert sein Sortiment online und versendet es auch. Parallel aber hat das Unternehmen mehrere eigene Verkaufstützpunkte und Stores. Dort können Räder erlebt werden, Probe gefahren, im Anschluss auch online bestellt und empfangen werden.

Oder man holt sie direkt aus “BIKETOWN in Bocholt” ab.

Oder das und genau damit schafft das Unternehmen ein sehr besonderes Kundenerlebnis. Wird das neue Fahrrad reingerollt, ist es vergleichbar mit der Werksabholung eines Neuwagens. Das setzt der Customer Journey dann die Krone auf.

enomyc hat uns bei der strategischen und operativen Weiterentwicklung unterstützt. Unsere gemeinsame Projektarbeit hat dazu beigetragen, unsere Wettbewerbsposition nachhaltig zu verbessern.“

Torsten Heckrath-Rose, Geschäftsführender Gesellschafter, ROSE Bikes


Schaut man sich die Entwicklung von ROSE Bikes an, dann wirkt sie tatsächlich wie eine Erfolgsstory. Bis auf die anstrengenden Höhenmeter im Jahr 2022 hat es kürzlich wieder Rekordzahlen gemeldet: Acht neue Bike-Plattformen kamen 2023 auf den Markt. Allein im Bike-Segment erreichte es ein Umsatzplus von 30 % im Vergleich zum Vorjahr.

Das ist so. Seit es das Unternehmen gibt, steht ROSE Bikes für Pionierleistung. Die E-Modelle, aber auch Gravel- und Road Bikes haben in eine Kerbe geschlagen. Das setzt Investitionen in Forschung und Entwicklung voraus und eine starke Kundenfokussierung, vor allem aber ein wahres Innovations-Mindset.

Kundenzentrierung, Tüfteln, Inspiration: Das sind die tragenden Säulen eines Innovators – oder sogar Agenda-Setters. Aber was bleibt dabei auch oft auf der Strecke? Was übersehen Unternehmen laut Ihrer Erfahrung?

Was Sie aufzählen betrifft die Bereiche Forschung und Entwicklung, Marketing und Sales – teils in sehr schönen Stores – alles Geschäftsbereiche, die sehr viel Spaß bringen. Was ich beobachte ist, dass dieser intensive Fokus auf Innovation manchmal dazu führt, dass andere Bereiche vernachlässigt werden: logistische und Montageprozesse beispielsweise. Deswegen rate ich auch Unternehmen, die per se erfolgreich und gut im Markt positioniert sind, aufmerksam zu bleiben. Erst die unternehmerische Weitsicht, also erst das Erkennen von Bedarfen und eine starke Umsetzungsfähigkeit helfen dann auch, gegebenenfalls nachzujustieren. Ein Beispiel aus der Automobilindustrie: In den frühen 1990er-Jahren wurde in der Branche versucht, Lean Management-Prinzipien anzuwenden. Es galt, die Produktion bestandsärmer aufzubauen, die Montageorganisation zu optimieren, sie flüssiger zu gestalten. Die Ziele waren, eine höhere Produktivität und dazu eine noch bessere Qualität zu erreichen. Genau das ist heutzutage auch Phase bei vielen Fahrradherstellern.

Innovation ist sicher eine Erfolgsformel für Hersteller. Aber wie gelingt sie in unsicheren Zeiten wie jetzt? Denn auch die Fahrradbranche verliert Planungssicherheit. Was macht Unternehmen dann innovativ und erfinderisch – außer die Not?

Es mag abgedroschen klingen, aber um innovativ zu sein, selbst in unsicheren Zeiten, sollte jedes Unternehmen eine klare Vorstellung haben, einen klaren Fokus und einen klaren Plan. Eine Strategie. Was können wir richtig gut? Wofür wollen wir im Markt stehen? Was können wir dafür tun? Und worauf sollten wir uns dann fokussieren? Haben Unternehmen das für sich definiert, wissen sie auch sehr genau, welche Produkte für das spezifische Marktsegment erforderlich sind. Das ist das eine.

Und das andere?

Das andere ist, Risiken einzugehen. Ohne Risiken keine Innovation. Und die jetzigen Zeiten fordern Innovation. Ich kenne Unternehmer, die ihre unternehmerische Vorstellung trotz Widerstand, beispielsweise von Banken, weiter verfolgt haben und heute extrem erfolgreiche, weltweit operierende Unternehmen geschaffen haben. Schumpeter, der österreichische Ökonom, sagte "Innovationen sind immer Meinungen von Minderheiten". Das ist etwas, was man lernen kann. Man sollte sich nicht von der eigenen unternehmerischen Linie abbringen lassen. Und dahin sollten wir in Deutschland auch ein Stück weit wieder zurückfinden – ungeachtet der wirtschaftlichen Situation und ungeachtet der strukturellen Themen.

Wenn Sie generell eine Prognosen für die nächsten Jahre der deutschen Fahrradbranche wagen würden: Welche Entwicklungen halten Sie für realistisch?

Ich denke, es wird weiterhin eine Marktbereinigung geben. Einige Unternehmen wird das leider ihre Existenz kosten. Dagegen werden die wirklich guten Hersteller sich weiter durchsetzen und einer blühenden Zukunft entgegensehen.

Und was die Produkte betrifft?

Ich schätze, es wird leichtere Modelle geben. Auch E-Bikes werden noch stärker kommen, aber es wird erschwinglichere geben – Urban E-Bikes mit Carbonrahmen beispielsweise.

Woran machen Sie das fest?

An der eingangs erwähnten Demokratisierung von Produkten. Eine Analogie aus dem Automobilbereich: ABS, Zentralverriegelung und Klimaanlage sind längst serienmäßig in jedem Kleinwagen vorhanden. Ich denke nicht, dass man heute noch Autos ohne AC kaufen kann. Dasselbe wird in der Fahrradbranche passieren: Teile und Funktionen aus dem hochwertigen werden ins mittlere und untere Preissegment verbaut werden.

Bedeutet das, das mechanische Fahrrad wird bald der Vergangenheit angehören?

Ich denke, dass die Nutzung von mechanischen Fahrräder weiter zurückgehen wird, ja. Es wird darum gehen, dass Fahrräder noch reichweitenstärker, noch smarter und – ganz wichtig – noch sicherer werden. Zukünftig wird auch ABS in Fahrrädern selbstverständlich werden. Zudem werden smarte Schnittstellen, Connectivity, eine tragende Rolle spielen. Und ich vermute auch stark, dass selbst Fahrrad-Nerds zukünftig auf Kompletträder setzen werden.

Vielen Dank für das Gespräch, Dr. Frings.

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