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So bringt unser Head of Team Finance Zahlen zum Sprechen
17:25

Vom Controlling einer renommierten Landesbank in ein international operierendes Mittelstandsunternehmen zur Unternehmensberatung: Jonas Keppler hat schon auf vielen Stühlen gesessen. Was alle Stationen eint: seine Leidenschaft für Zahlen. Welcher Sanierungsfall ist aus seiner Sicht der spannendste aller Zeiten? Wie können Kaufmännische Leitung und Controlling zum Einsatz von KI überzeugt werden? Und mit welchen Leitfragen inspiriert er mittelständische Unternehmen, groß zu denken? Ein Gespräch mit Jonas Keppler – über Zahlen, Wirkung und Perspektive.

Herr Keppler, Sie haben im Rahmen Ihres dualen Studiums in einer Landesbank gearbeitet, drei Jahre innerhalb von Konzernstrukturen, haben alle wesentlichen Bereiche in der Bank durchlaufen. Warum sind Sie anschließend in die Realwirtschaft gewechselt?

Ich bin gewechselt, weil mich vor allem die Kunden der Bank, die Unternehmen interessierten. Zunächst zu einer großen Konzerntochter, die inhaltlich etwas ganz anderes machte: B2C Inkasso mit internationaler Ausrichtung. Ich wurde dort Referent der Geschäftsführung, kam das erste Mal mit dem Thema Restrukturierung in Berührung und begleitete den operativen Restrukturierungsprozess eines Unternehmens im Ausland.

War das der Auslöser für Ihre fachliche Ausrichtung? Sie sind heute Partner und Head of Team Finance bei enomyc in Stuttgart.

Ja, ich habe damals erlebt, wie vielseitig und anspruchsvoll Restrukturierungsprojekte sind. Das war definitiv eine Zündung für das Restrukturierungsgeschäft, aber eben auch eine Erfahrung, die mir zwei Dinge sehr deutlich gemacht hat: Erstens, für die erfolgreiche Umsetzung ist es enorm wichtig, alle Beteiligten mitzunehmen. Und zweitens: Nicht jede Sanierungsmaßnahme aus dem Lehrbuch funktioniert, nur weil sie drinsteht.

Haben Sie ein Beispiel?

Ja, plant man, Unternehmensbereiche auszulagern – wie etwa ein Callcenter von Schottland nach Ägypten – stellt sich das zunächst als wirtschaftlich sinnvolle Maßnahme zur Kostensenkung dar. In der Praxis kann sie jedoch scheitern: In unserem Fall bereits in der Test-Phase aufgrund von Sprachbarrieren und technische Latenzen. Das Beispiel zeigt: Was ökonomisch plausibel erscheint, ist nicht automatisch praxistauglich.

Welche sind weitere Learnings aus diesem Case? Sie nannten beispielsweise, wie enorm wichtig es sei, alle Beteiligten im Transformationsprozess mitzunehmen. Wie kann das gelingen?

Am besten durch aktives Zuhören. Meist haben Mitarbeitende – unabhängig von Seniorität und Qualifikation – zahlreiche gute Ideen und warten nur darauf, gefragt zu werden und sich einzubringen. Anschließend ist es entscheidend, die Beteiligten zu überzeugen und aktiv einzubinden.

In der Regel besteht unsere Rolle als Berater auch darin, die Umsetzung von Sanierungsmaßnahmen zu begleiten. Wir sind daher darauf angewiesen, dass die Verantwortlichen mindestens genauso überzeugt von unseren Verbesserungsmaßnahmen sind wie wir. Sonst funktioniert es nicht. Kurzum: Ich habe gelernt, dass Zahlen nicht alles sind. Es kommt auf die Einbindung der Menschen an. Erst dann macht eine Rechnung – selbst eine Transformation – auch Freude: wenn alle hinter dem gemeinsamen Ziel stehen, es als gemeinsames Projekt begreifen, statt es als reine Management-Vorgabe zu sehen.

Nach diesem Case haben Sie Feuer fürs Transformationsgeschäft gefangen.

Ja, daraufhin wollte ich mich dauerhaft auf Transformations- und Restrukturierungsberatung konzentrieren. So kam es im April 2020 zu meinem Start bei enomyc, zunächst als Senior Consultant.

Für welche Themen brennen Sie noch?

Zahlen sind definitiv meine Welt. Meine Begeisterung ist nicht nur fachlich, sondern Teil meiner Persönlichkeit. Was ein auf Zahlen fokussiertes Team wirklich erfolgreich macht, ist jedoch etwas anderes: Zahlen zum Sprechen zu bringen.

Wie bringen Sie Zahlen zum Sprechen?

Ein ambitioniertes Umsatzziel in zwei Jahren oder eine bis ins Detail ausgearbeitete integrierte Unternehmensplanung begeistert niemanden – weder Mitarbeitende noch Gesellschafter oder Banken. Erst wenn Menschen ihren Platz in einem Zahlengerüst erkennen, entsteht echte Wirkung. Deshalb müssen wir Stakeholdern immer drei zentrale Fragen beantworten: Warum braucht es jeden Einzelnen von ihnen? Was ist ihr Beitrag? Und was haben sie davon? Wenn diese Fragen beantwortet sind, wird aus einer Zahl ein gemeinsames Ziel. Dann erst beginnen Zahlen eine Geschichte zu erzählen, die nicht nur verstanden, sondern auch mitgetragen wird. Als Berater muss man beides beherrschen: sauber rechnen und Menschen mitnehmen.

Wo haben Sie gelernt, Menschen für ein gemeinsames Ziel zu begeistern?

Ich vermute, schon in meiner Schul- und Studienzeit. Damals spielte ich sehr viel Feldhockey. Ich wurde später Trainer, dann Schiedsrichter. Wenn man sich für ein Gebiet besonders interessiert, will man es irgendwann vollständig ausfüllen. Im Finanzbereich geht es mir auch so.

In welcher Rolle sehen Sie sich heute: Spieler, Trainer oder Schiedsrichter?

Es ist eine Mischung aus Spieler und Trainer. Als Partner bin ich heute weniger in das alltägliche Projektgeschäft involviert als das früher der Fall war. Das gehört dazu, auch wenn es mir extrem schwerfällt. Die Leidenschaft fürs Geschäft, das man jahrelang betreut hat, reißt ja nicht ab. Gleichzeitig führt kein Weg daran vorbei, loszulassen, Projekte vertrauensvoll ans Team zu übergeben und sich ein Stück zurückzunehmen. Glücklicherweise – das ist die Trainerphilosophie – stelle ich oft fest, dass Kollegen Aufgaben auf ihre ganz eigene Weise hervorragend lösen.

Mit Blick auf Ihren Lebenslauf fällt eine ungewöhnliche Station auf: Sie haben auch ein Jahr Philosophie studiert. Warum? Welchen Einfluss hat Philosophie auf Ihre Beratertätigkeit?

Ich habe mir dafür bewusst die Zeit genommen, weil mich Philosophie schon immer sehr interessiert hat und das klassische BWL-Studium, welches ich später absolviert habe, das Thema leider völlig außen vorließ. Die Philosophie lehrt vor allem, strukturiert über Probleme, in egal welchem Kontext, nachzudenken. Ich finde es faszinierend, dass viele philosophischen Schriften, die zum Teil vor tausenden von Jahren entstanden sind, heute noch immer eine so hohe Relevanz haben. Wir leben in einer sehr spannenden und schnelllebigen Zeit. Da erdet es, mit dem zeitlichen Abstand alter Philosophen auf die Dinge zu blicken.

Sie sprechen die spannenden Zeiten an: Was genau verfolgen Sie aktuell mit Spannung?

Im Finanzbereich sehe ich aktuell einige spannende Entwicklungen. Eine zentrale Frage für mich ist: Wie wirkt sich künstliche Intelligenz tatsächlich auf den Finanzbereich und auf Unternehmen aus? In welcher Geschwindigkeit? Welche Tätigkeiten lassen sich durch KI ersetzen, welche nicht? Die Versprechungen, die KI macht, sind groß und sicherlich auch nicht unbegründet. Doch je tiefer man ins Detail geht und untersucht, was wirklich optimiert werden kann, desto stiller wird es in der Wettbewerbslandschaft.

Warum?

Der deutsche Mittelstand ist kaum auf die Möglichkeiten durch den Einsatz von KI vorbereitet. Es gibt Vorbehalte. Studien zeigen: Nur jedes vierte oder fünfte Unternehmen nutzt bislang KI, und selbst dann oft nur in geringem Umfang. Parallel sind die Chancen enorm – gerade mit Blick auf den demografischen Wandel. Viele CFOs, Controller und Buchhalter scheiden in den nächsten Jahren altersbedingt aus.  Der Finanzbereich ist in vielen Unternehmen bereits heute unterbesetzt. KI kann hier eine zentrale Rolle spielen, um Kompetenzen aufzufangen und Prozesse effizienter zu gestalten.

Nun ist KI aktuell die Endstufe auf der Optimierungsskala. Gibt es nicht auch andere Tools, die bereits Wirkung zeigen?

Ja – etwa klassische Automatisierungslösungen wie Robotic Process Automation (RPA). Sie können bereits zu hoher Effizienz führen, indem sie Prozesse automatisiert abbilden, die aktuell noch manuell ausgeführt werden. Der erste Schritt – noch vor dem Einsatz von KI – wäre eine Bestandsaufnahme zu machen und daraufhin eine Vision zu entwickeln. Von “Was wird aktuell gemacht?” zu “Was ist denn theoretisch alles möglich?” Das Wissen über die Möglichkeiten von KI, beobachten wir, ist noch viel zu wenig vorhanden. Da stellt sich direkt die Frage: Wenn sich so wenige aktiv mit KI beschäftigen, was für einen immensen Wettbewerbsvorteil hätten dann die, die genau jetzt damit beginnen?

Was für Anwendungsbeispiele gibt es von KI im Bereich Finance?

Extrem viele. Eines ist die Buchhaltung: Sie ist überwiegend regelbasiert. KI kann darauf trainiert werden, Anomalien zu identifizieren und theoretisch überprüfen, ob durchgeführte Buchungen korrekt sind – natürlich immer mit einem Cross-Check. Perspektivisch kann KI auch Buchungsvorschläge erzeugen, die man anschließend nur noch abbilden muss. KI eignet sich außerdem für Sonderthemen wie Fraud Detection. Im Bereich Reporting kann sie inzwischen sogar Zahlen erklären: Um die Ursache dafür zu finden, warum eine Zahl so aussieht, wie sie aussieht, werden sonst aufwändige Recherchen betrieben, Datenbanken durchforstet und Mitarbeitende befragt. Diese Fragen können aber auch direkt der KI gestellt werden. Ein Beispiel: Ein Unternehmen erzielt in einem Monat eine besonders gute Marge. Mit KI kann im Zeitverlauf nach verschiedenen Dimensionen – Geografie, Produkt und mehr – nach den Gründen dafür gesucht werden. KI beschleunigt die Analyse enorm. Sie generierte Vorschläge und vereinfacht die Arbeit immens. Unternehmen können das sehr leicht ausprobieren, in einer sicheren Umgebung natürlich – also nicht in öffentlichen GPTs.

Das einfachste Anwendungsbeispiel für Finanzer ist also, einen Datensatz hochzuladen und der KI Fragen über ihn zu stellen?

Richtig, und sich dann ehrlich zu fragen, wie lange sie selbst bräuchten, bis sie sich all diese Fragen durch Analyse eines Datensatzes selbst beantwortet hätten.

Und die ehrliche Antwort wäre?

Mindestens Faktor zehn, vielleicht sogar hundert. Es ist einfach: Stellt man sich die Frage, wer schneller oder effizienter ist, dann gewinnt immer öfter die KI. Das ist ein Wettbewerbsvorteil, der in der Regel jeden Geschäftsführer, CFO und Controller überzeugt. Das ist vor allem eine gute Übung, um auch Skeptiker zu überzeugen und ein schönes Beispiel, wie KI als Unterstützung, nicht als Ersatz funktioniert.

Sie raten dazu, vorausschauend zu agieren, sich die Frage zu beantworten, wohin die Reise geht und wie. Was sind vielleicht drei Schritte, um den Weg dorthin erstmal zu ebnen?

Aus meiner Erfahrung tendieren Unternehmen oft dazu – auch bei ihren Planungen in der nahen Zukunft – sich darauf zu fokussieren, was (vermeintlich) nicht geht: welche Ressourcen ihnen fehlen beispielsweise. Oder sie wagen den Schritt in einen entsprechenden Markt nicht, weil der schon einen Branchenprimus hat. Ich sehe allerdings einige gute Konstrukte, wie sich Unternehmen von diesem Denken lösen können. Schritt eins ist, die erste und wohl einfachste Frage zu beantworten: Was kann mein Unternehmen besonders gut? Daran schließt die nächste Frage an: Wie kann dieses herausragende Element weiter gestärkt werden? Wo findet es noch mehr Absatzmöglichkeiten? Kann es – wenn es beispielsweise eine Technologie ist – in einem weiteren Produkt verbaut und verkauft werden? Mit dieser Sichtweise können sich Unternehmen eine Denkweise antrainieren, die Optionen statt Mängel in den Fokus rückt.

Damit aber nicht genug. Was ist der nächste Schritt?

Keine Angst vor Fehlern zu haben. Eine gewisse Wagniskultur gehört zum Unternehmertum dazu. Der Finanzbereich rechnet typischerweise aus, was Investitionen wert sind. Dadurch kann leicht ausgerechnet werden, was passiert, wenn ein Vorhaben misslingt. Was passiert beispielsweise, wenn ein Standort eröffnet wird, der sich nicht rentiert? Der zweite Schritt hilft enorm, wenn sich Unternehmen zunächst hypothetisch überlegen, was für Möglichkeiten sie haben, ihr Vorhaben zu testen, ohne große Risiken einzugehen. Sich also bewusst zu sagen: Das hier ist keine Entscheidung. Wie kann ich eine Hypothese oder eine Meinung, die ich habe, günstig testen?

Darauf folgt?

Darauf folgen die Fragen: Was sind Wachstumsfelder – und wo liegen sie? In welchen Märkten und in welchen Produktsegmenten kann das Unternehmen mitwachsen? Diese Fragen sollten perspektivisch auf die nächsten fünf bis zehn Jahre gestellt werden – bewusst losgelöst von etwaigen Hindernissen. Erfolgreiche Unternehmen leben vom Wachstum, von mehr Umsatz. Ein großer Teil des Finanzbereichs basiert auf dem Prinzip der Budgetierung, also der Einhaltung von Kosten – ein extrem wichtiger Bereich. Natürlich müssen Budgets eingehalten werden, natürlich braucht es ein Reporting, den Blick in den Rückspiegel, um zu überprüfen, was richtig und was schiefläuft. Man sollte dabei aber nicht vergessen, die Chancen und die Zukunft aus dem Blick zu verlieren. Es gibt keinen langfristigen Erfolg, ohne dass man auch kalkuliert Risiken eingeht.

Von allen Sanierungs-Cases, die Sie kennen: Welcher ist aktuell der spannendste?

Global gesehen halte ich Deutschland für den aktuell spannendsten Sanierungsfall. Europa sicherlich auch. Aber bei Lichte betrachtet ist Deutschland ein extrem komplexer Fall mit vielen Stakeholdern. Er wirkt fast unlösbar. Ich finde es spannend zu beobachten, wie die verschiedenen Akteure in den kommenden ein bis zwei Jahren damit umgehen werden – denn wir alle sind Teil dieses Falls. Und es gibt noch keine klare Zielvorstellung, wo es hingehen soll. Das ist sicherlich eine Problematik bei diesem Sanierungsfall. Gleichzeitig sind die Rahmenbedingungen schwierig: Es braucht viele verschiedene Lösungsansätze.  Aus Unternehmerperspektive gibt es parallel sehr viele Hürden, die es erschweren, überhaupt in den Modus zu gelangen, Risiken einzugehen.

Welcher Lösungsvorschlag würde Ihnen vorschweben? Wenn Sie Bundeskanzler wären, was würden Sie alles ändern?

Es gibt im Grunde politisch betrachtet zwei Ansätze und viele Ausprägungen dazwischen: Durch Vorgabe und Subventionen oder durch die Freisetzung der Kräfte der freien Märkte. Ich halte es für einen Irrtum, zu glauben, einzelne Personen könnten wissen, welche Branchen oder Maßnahmen wirtschaftspolitisch „richtig“ oder „falsch“ sind. Die schwierigen Rahmenbedingungen, in welchen wir heute stecken, resultieren meines Erachtens aus vielen gut gemeinten Intentionen, aus denen eine Vielzahl an Gesetzen und Regularien entstanden ist, die uns heute eher lähmen als beflügeln. Wenn ich daher einen Lösungsvorschlag machen dürfte, dann doch diesen, dass für jedes zusätzliche neu beschlossene Gesetz zwei alte abgeschafft werden sollten. Denn die Liebe zur Lösung beinhaltet auch, dass alles, was auf dem Weg dorthin stört, beiseitegeschafft werden muss. Ein einfacher, aber wirkungsvoller Mechanismus.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Keppler.

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