Montagmorgen, 5:45 Uhr: In der Produktion hat die Steuerung einer Engpassmaschine einen altersbedingten Totalausfall. Sie muss kurzfristig ausgewechselt werden. Erste Recherchen ergeben allerdings, dass die Steuerung als Ersatzteil nicht mehr erhältlich ist – weder beim Lieferanten noch auf dem Markt. Sie wird in dieser Form und Spezifikation einfach nicht mehr hergestellt. Ein Nachbau würde fast einem Neukauf der Engpassmaschine gleichkommen. Was tun?
Director Wolfram W. Hackbarth und Senior Consultant Peter Kink haben sich dieser Thematik angenommen: Welche Faktoren begünstigen Obsoleszenz? Wie kann der Totalausfall einer Engpassmaschine vermieden werden – vor allem aber: Wie kann er schnellstmöglich behoben werden?
WAS IST OBSOLESZENZ?
Das beschriebene Szenario ist keine Seltenheit. In der Praxis kommt es sogar sehr häufig vor – sowohl bei Bearbeitungszentren, Press- und Stanzanlagen als auch bei Maschinensystemen und Fertigungsverfahren wie bei großen Wasch- und Reinigungsprozessen in der Textilindustrie, auch bei Testständen im Automotive-Bereich, bei Öfen und Glasurstraßen in der Keramikindustrie sowie im Schwermaschinenbau.
Tritt der eingangs geschilderte Fall ein, ist die Rede von natürlicher Obsoleszenz: Sie betrifft verschlissene Maschinen, die nicht länger eingesetzt werden können, weil es unter anderem an Ersatzteilen, Service-, Prozess- und Instandhaltungs-Know-how mangelt. Im Schwermaschinenbau gibt es weder Ersatzteile für Steuerungen noch Service-Support von erfahrenen Technikern. Gründe hierfür sind unter anderem, dass die Anlagenhersteller im Laufe der Zeit vom Markt verschwunden sind oder die Maschinen, die in den 1980er-Jahren angeschafft wurden, Einzelstücke oder Spezialapplikationen nach Kundenwunsch sind.
Während es vor ein paar Jahren noch in erster Linie um Elektrokomponenten wie Steuerungen, Platinen, Software und SPS-Einheiten mit regelmäßigen Abkündigungen ging, rücken aktuell verstärkt mechanische Komponenten und der Service-Support der Anlagenhersteller als Engpässe in den Fokus. Diese Engpässe treten immer wieder im Industriealltag auf. Auch Anlagen der erneuerbaren Energieerzeugung sind betroffen: Windkraftanlagen, semi-automatische Elektrowandler im Bereich der Solarenergie und mobile Antennentechnologien.
WELCHE FAKTOREN BEGÜNSTIGEN OBSOLESZENZ?
Non stop-Arbeit unter Hochdruck
Derzeit stehen die Produktionen vieler kleiner und mittelständischer Unternehmen (KMU) nicht still: Sie arbeiten unter Hochdruck, um den Produktionsausfall aus dem Lockdown aufzufangen und die immensen Umsatzverluste zu kompensieren. Der Dauereinsatz von Maschinen kann allerdings schwere Ausfälle provozieren. Vor allem Unternehmen, die den Lockdown nicht für Wartungszwecke genutzt, die Maschinen gestoppt, dann hochgefahren haben und seither pausenlos einsetzen, riskieren den Totalausfall.
Verzicht auf Wartung und Instandhaltung
In einer Vielzahl von Branchen scheinen robuste Maschinen für bestimmte Fertigungsverfahren äußerlich wie neu – im Inneren dagegen schlummern teilweise hohe Ausfallrisiken. Die Lebenszyklen der einzelnen Baugruppen sind eventuell längst überschritten. Ohne regelmäßige Wartung bleiben Leckagen, bedrohliche Öldruckstände und genereller Verschleiß unentdeckt. Für viele Unternehmen kommt eine Wartung aber aktuell gar nicht in Frage. Wo normale Wartungszyklen noch möglich waren, fallen sie nun gänzlich weg. Es fehlt schlichtweg die Zeit. Hinzu kommen die knappen Budgets für Wartung und Instandhaltung.
Fehlendes Know-how und ausbleibender Wissenstransfer
Ein weiterer Faktor betrifft das Know-how der Belegschaft: Oftmals findet kein interner Wissenstransfer von erfahrenen, möglicherweise ausgeschiedenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auf die junge, noch unerfahrene Belegschaft statt. Wurden die Maschinen im Ausland produziert und befinden sich Außenwerk und Service-Support ebenfalls dort, so wird in der aktuellen Situation die Einreise von externen Service-Monteuren aus dem Ausland nach Deutschland erschwert.
Wie können Engpässe vermieden und der Totalausfall in der Produktion schnellstmöglich behoben werden?
HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN FÜR DEN NOTFALL
Ein zielführendes Instrument, das in der betrieblichen Praxis zwingend notwendig ist und bei drohender Obsoleszenz greift, ist proaktives Obsoleszenz-Management. Bei einem Totalausfall ist ein reaktives Obsoleszenz-Management nach Plan gefragt. Was gilt es hier zu beachten?
Keine Panik
Wen kontaktiere ich zuerst? Woher bekommen wir das Ersatzteil? Was, wenn es nicht mehr erhältlich ist?” Bei Produktionsausfällen nicht in Panik zu geraten, ist kein Leichtes. Unsere Erfahrung zeigt, dass sich die Produktionsleitung in zahlreichen Fällen zunächst an die falschen Ansprechpartner wendet und so kostbare Zeit verliert.
Es wird beispielsweise Zeit darauf verwendet, Hersteller zu kontaktieren, die gar nicht mehr auf dem Markt sind. Andere Maschinenhersteller recherchieren wiederum erfolglos Teile und Servicepersonal oder informieren schlicht darüber, dass die Abkündigungen für Baugruppen und Komponenten des Maschinensystems schon lange vorliegen. Damit fällt der Service-Support gleich gänzlich aus. Diese unnötigen Vorgänge kosten Zeit und hemmen den Prozess.
Personelle und funktionale Sicherheit
Bei Eingriffen in Steuerungen oder sicherheitsrelevante Schutzeinrichtungen von Maschinensystemen gilt, dass nur qualifiziertes, autorisiertes Fachpersonal Reparaturen oder Modifikationen vornehmen darf. In der Panik werden allerdings häufig Sicherheitsaspekte außer Acht gelassen: Statt fachlich autorisiertes Personal zu konsultieren, beauftragen einige Unternehmen die eigene Belegschaft mit der Reparatur der Maschinen. Damit riskieren sie nicht nur die Sicherheit ihres Personals, sondern auch die funktionale Sicherheit ihrer Anlagen oder Maschinensysteme sowie deren CE-Konformität. Vor einem Neustart der Produktionsmaschine gilt: Eine zwingend verbindliche Freigabe von und eine einvernehmliche Abstimmung mit entsprechenden Institutionen ist Vorschrift. In erster Linie sind dies die zuständigen Berufsgenossenschaften (BG), der TÜV, die DEKRA oder andere autorisierte fachunternehmerische Dienstleister.
Rat von erfahrenen Obsoleszenz-Experten
Wir raten Unternehmen, sich an erfahrene Berater zu wenden mit einem Netzwerk aus verlässlichen Kontakten, die sich in der jeweiligen Industrie und über Branchen hinweg auskennen – im besten Fall Obsoleszenz- und Produktionsexperten mit langjähriger Erfahrung im Operationsmanagement, in der Werks- und Produktionsleitung.
Netzwerk innerhalb der Branchen: Refurbisher und Second Hand-Verwerter
In vielen Branchen haben sich mittlerweile Refurbisher auf die Aufarbeitung von Altmaschinen und Anlagen fokussiert, um diese wieder serientauglich aufzubereiten, sie zu reparieren und wichtige Baugruppen und Komponenten zu erneuern. Häufig bevorraten und verkaufen sie Ersatzteile und beschäftigen darüber hinaus ehemalige, versierte Monteure der Maschinenhersteller. Parallel zum Netzwerk der Refurbisher existieren Netzwerke, die den Gebrauchtwarenmarkt betreffen: Hier haben sich einige kleine europäische Nischenanbieter auf schnelle Lieferungen spezialisiert, die Spezialmodule, Maschinenteile, Platinen und weitere Ersatzteile betreffen.
Welche Fragen beschäftigen Sie rund um das Thema Obsoleszenz? Sprechen Sie uns an. Ob Neuanschaffungen, Investitionen in einen Nachbau oder in Ersatzteile: Als unabhängige Berater erstellen wir exakte Liquiditätspläne, prüfen die Auswirkungen von Investitionen auf die Liquidität des Unternehmens und bringen Unternehmen, Anbieter und Finanzierer zusammen.