Die aktuelle Krise hat nicht nur große Auswirkungen auf die Liquidität von Unternehmen: Sie wirkt sich auch auf ihre Zahlungsmoral aus. Der Blick auf bestehende Verträge ist geschärft – ebenso auf zukünftige Geschäftsbeziehungen. Welche Möglichkeiten haben Unternehmer bei etwaigen Pleiten ihrer Geschäftspartner? Auf welche vertraglichen Klauseln kommt es bei bestehenden und zukünftigen Geschäftsbeziehungen an?
Wir haben Reiner Winkelbauer gefragt, Wirtschaftsmathematiker, erfahrener Geschäftsführer und CFO in der Luft- und Raumfahrt sowie der Pharmazeutischen Industrie. Seit etwa fünf Jahren berät er Unternehmen als Partner bei enomyc. Welche Handlungsempfehlungen hat er für Unternehmer? Wie können sie ihr Unternehmen in der jetzigen Situation schützen?
Herr Winkelbauer, Sie haben die operative Schiene verlassenen und wechselten auf Beraterseite. Welche Ziele verfolgen Sie dabei?
Ich habe als Geschäftsführer und CFO viele Erfahrungen in 25 Jahren sammeln dürfen. Meine Intention ist es, sie zu teilen – mit Unternehmen und Unternehmerpersönlichkeiten. Mich reizt es, Problemlösung zu betreiben und meine Kunden zum Erfolg zu bringen. Deswegen agiere ich als Berater auch mit Herz und Verstand.
Können Sie schon gleich zu Beginn des Interviews einen fundamentalen Rat aussprechen, damit Unternehmen sich gegen Liquiditätsengpässe schützen?
Ja, „Cash is King”: Unternehmer müssen in erster Linie erkennen, dass Liquidität in Krisenzeiten eine wesentlich höhere Priorität hat, als vielleicht die Profitabilität des Unternehmens. Sie müssen auch in Krisenzeiten in der Lage sein, ihren Verpflichtungen – wie vertraglich vereinbart – nachzukommen: Die Angestellten erwarten ihre Gehaltszahlungen, Geschäftspartner und Lieferanten die Begleichung von Rechnungen, Banken die Zins- und Tilgungszahlungen. Und oftmals liegen die Möglichkeiten für Finanzpolster im eigenen Unternehmen – Stichwort „Working Capital” – werden aber nicht optimal genutzt.
„Working Capital” – können Sie das näher erläutern?
Wo binden Unternehmer extrem viel Kapital? Im Working Capital. In Vorräten. Vorräte sind dazu da, die eigenen Produkte zu fertigen – und dann auch zu verkaufen. Es gibt hierbei einen wichtigen Unterschied zwischen Vorräten, die im Unternehmen selbst liegen und den Jahresbedarf der Produktion abdecken und denen, die das Unternehmen gerade mal für wenige Monate vorfinanziert. Genau an dieser Stelle sind häufig Optimierungsmöglichkeiten vorhanden. Das gleiche gilt für das Forderungsmanagement selbst: Hier sollten Unternehmen akzeptable Zahlungskonditionen und Zahlungsfristen mit ihren Kunden vereinbaren. Und das ebenso auf der Lieferantenseite ausführen. Das Thema „Working Capital Management" führt diese Komponenten zusammen.
Setzen sich Unternehmen damit bewusst auseinander, können sie Liquidität sichern und auch dazugewinnen. Unternehmen, die dies bereits im Vorfeld getan haben, zehren von einem Finanzpolster, das sie selbst in Zeiten einer Krise retten kann. Dennoch können selbst solche Unternehmen einen Schaden durch die Pleite ihrer Geschäftspartner nehmen.
Können sich Unternehmen überhaupt gegen die veränderte Zahlungsmoral oder sogar Pleite ihrer Geschäftspartner wappnen?
Ja, es gibt Möglichkeiten. Ich denke dabei grob an drei Kategorien: 1. Transparenz und Information, 2. Vertrag, 3. Risikoverlagerung. Zunächst aber muss sich jedes Unternehmen vergegenwärtigen, dass es auch eine Phase nach der Krise geben wird. Das bedeutet: Auch wenn manche Vorschläge, die wir jetzt besprechen, zum aktuellen Zeitpunkt nicht mehr umsetzbar sind – schon gar nicht kurzfristig – so gilt dennoch: Wir sollten aus einer Krise lernen. Ich hoffe, dass es genügend Unternehmen geben wird, die gestärkt aus der Krise hervorgehen.
Gut, beginnen wir mit Punkt 1: Sie nennen „Transparenz und Information” als schützenden Faktor. Woher können Unternehmer die für sie relevanten Informationen gewinnen?
Es gibt eine Vielzahl an Quellen, die ein Bild von einem Geschäftspartner zeichnen können. Eine Quelle sind Anbieter, die darauf spezialisiert sind, genau diese relevanten Zahlen, Daten und Fakten über einen eventuellen Geschäftspartner zur Verfügung zu stellen. Dazu gehören auch Bonitätsauskünfte und Informationen zu Ratings. Gleichzeitig können interessierte Unternehmen über den elektronischen Bundesanzeiger Daten ziehen und die Bilanzen oder Ergebnisrechnungen des potenziellen Geschäftspartners analysieren.
Kann auch Fluktuation ein Indikator sein?
Absolut. Hierzu gibt die Presse viele Informationen. Herrscht bei einem möglichen Geschäftspartner eine hohe Fluktuation in der Belegschaft? Wie sieht es mit der Fluktuation im Management aus? Gibt es auf der Gesellschafterseite häufige Wechsel? Hier gibt der logische Menschenverstand schon wichtige Antworten. Es lohnt auf jeden Fall, einen genauen Blick darauf zu werfen, sich mit dem Geschäftspartner zu beschäftigen, ihn kennenzulernen, zu wissen, wie der Markt funktioniert, in dem er sich bewegt. Das gleiche gilt auch auf der Lieferantenseite: Unternehmen sollten ihren Lieferanten besser kennen, als er sich selbst. Informationen zur bisherigen Zahlungsmoral, ob es dort Veränderungen gab oder sich aktuell welche anbahnen – das sind sehr wichtige Indikatoren. Hier rate ich dazu, unbedingt das Gespräch zu suchen, um vor Überraschungen gewappnet zu sein.
An dieser Stelle sollte auch der Vertrag greifen und damit die zweite Möglichkeit, um sich als Unternehmer zu schützen. Worauf ist bei der Vertragslegung zu achten?
Verträge sind so zu gestalten, dass Vereinbarungen darin unmissverständlich ausformuliert sind. Für einen selbst sollte ein Vertrag einen maximalen Schutz bieten. Beispielsweise sollten darin Fälligkeitszeitpunkte definiert sein. Das erspart im Nachgang die Überlegung, ab wann ein Geschäftspartner in Zahlungsverzug gekommen ist. Lösungsklauseln sollten auch Teil des Vertrags sein. Unternehmen ist die Möglichkeit einzuräumen, ein Geschäftsverhältnis frühzeitig zu beenden, beispielsweise bei einer drohenden Insolvenz – nicht erst, wenn sie eingetreten ist. Vertraglich sollte festgehalten werden, dass eine geschäftliche Trennung bereits bei einem Zahlungsverzug, bei einer Vermögensverschlechterung oder bei einer Verletzung wesentlicher Vertragspflichten möglich ist. Absichern können sich Unternehmer auch über Themen wie Eigentumsvorbehalt oder Pfandrechte. Es gibt eine Vielzahl an Möglichkeiten und dafür auch Expert:innen, die hierbei unterstützen.
Kommen wir zur dritten Komponente: Inwiefern kann eine Risikoverlagerung Unternehmen vor der Pleite der Geschäftspartner schützen?
Vorab: Risikoverlagerung ist mit Kosten verbunden. Man kann sich durchaus darüber Gedanken machen, die Forderungen, die gegenüber einem Geschäftspartner bestehen, zu verkaufen. Das ist das Prinzip des „Factoring”. Umgekehrt gilt lieferantenseitig: Sollten Zahlungen an den Lieferanten ausgelöst worden sein und wird noch auf die Lieferung gewartet, können sich Unternehmen über Warenkreditversicherer absichern. Auch in diesem Fall gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, die Unternehmen entsprechend mit externen Partnern für sich ausloten sollten.
Wozu raten Sie Unternehmen, die durch die Corona-Krise schon extrem gebeutelt sind?
Ich rate dringend dazu, jede liquiditätswirksame Ausgabe zum aktuellen Zeitpunkt zu überdenken. Ist das jetzt zwingend notwendig? Oder kann diese eventuell aufgeschoben werden? Nutzen Sie die staatlich angebotenen Hilfen, wie beispielsweise die Stundung der Umsatzsteuer und der Sozialversicherungsbeiträge. Zu guter Letzt möchte ich erwähnen: Eine drohende Zahlungsunfähigkeit ist kein Kavaliersdelikt. Hier ist professionelle Beratung unabdingbar. Ich empfehle die Kontaktaufnahme mit einem Fachanwalt für Insolvenzrecht. Bedenken Sie in jedem Fall, dass es auch eine Phase nach der Krise geben wird und bereiten Sie sich auch auf diese vor!
Welche Leitfrage hilft Unternehmen Ihres Erachtens bei der Selbstüberprüfung?
Unternehmen müssen sich intensiv mit dem Thema der Liquidität beschäftigen. Ich möchte hier sehr gerne einen Aspekt anführen, den ich eingangs schon erwähnte: Transparenz und Information. Für mich ist unabdingbar, dass ein Unternehmer jederzeit – aktuell und auf längere Sicht – in der Lage sein muss, über die eigene Liquidität auskunftsfähig zu sein. Unternehmer sollten sich also fragen: „Bin ich in der Lage, meinen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen oder nicht?”. Das ist eine Management-Aufgabe. Manager müssen sich um ihre Forderungen kümmern und überlegen, ob sie die Zahlungen ihrer Kunden beschleunigen können, wenn sie sich einbringen. Oder, ob die Situation schon so weit fortgeschritten ist, dass sie mit ihren Lieferanten eventuell Zahlungspläne aufstellen sollten, um ihre eigene Liquidität strecken zu können.
Welche Rolle spielen an dieser Stelle die Banken und Finanzierer, mit denen Unternehmen zusammenarbeiten?
Das sind extrem wichtige Partner, die – genau wie die Unternehmen selbst – vor Überraschungen gefeit sein möchten. Ich empfehle hier dringend, frühzeitig, konstruktiv und vertrauensvoll mit den Banken zusammenzuarbeiten und zu kommunizieren, um hier Unterstützung erwarten kann, wenn es schwierig wird. Sei es durch die Gewährung von kurzfristigen Krediten, durch eine Erweiterung einer Kontokorrentlinie oder anderen Maßnahmen.
Wie schätzen Sie die weiteren Entwicklungen ein und welche Tipps haben Sie abschließend?
Man müsste Prophet sein, um einschätzen zu können, was noch auf uns zukommt. Die Corona-Krise ist nicht beendet. Wir müssen uns folglich damit auseinandersetzen, dass wir uns noch etwas länger in der derzeitigen Lage befinden werden. Daher möchte ich Unternehmern abschließend folgende Ratschläge mitgeben:
- Sichern Sie bitte kurzfristig Ihre Liquidität.
- Pflegen Sie eine vertrauensvolle Kommunikation mit Ihren Banken und Finanzpartnern.
- Sehen Sie die aktuelle Krise tatsächlich auch als Chance, um Ihr Unternehmen neu zu positionieren. Dann können Sie gestärkt aus dieser Phase hervorgehen.
Vielen Dank für das Interview, Herr Winkelbauer.