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UX im Maschinenbau: 7 Impulse für die Customer Journey im B2B
14:42

Man muss mehr als Maschine und Service anbieten, findet Peter Klein. Es geht um die Customer Journey, um die User Experience. Im Kern: erst um den Austausch mit den Kunden, dann um das passgenaue Angebot. Als Marketing- und Vertriebsexperte prüft und optimiert Peter Klein Marketing- und Vertriebsprozesse in Unternehmen. Ob im B2B oder B2C: Der Experte findet: “Es braucht vernetzte Konzepte. Im besten Fall bietet man seinen Kunden ein ganzes Ökosystem an Produkten und Leistungen an.” Was braucht es, um das zu entwickeln? Und warum reicht eine gute CRM-Datenbank dafür nicht aus?

Wie man aus der “Techie-” in die “Customer Centricity-Denke” findet: Peter Klein liefert sieben elementare Handlungsempfehlungen für die Customer Journey im Maschinenbau.

Herr Klein, wir hatten vor einer Weile über Customer Centricity und Customer Journey im B2C gesprochen – genauer: wie die OTC-Branche ihre Zielgruppen besser erreichen kann. Heute sprechen wir über B2B und die Customer Journey im Maschinenbau. Unterscheidet sich die Customer Journey im B2C stark von der im B2B?

Ja, absolut. Die Customer Journey beschreibt ja die Phase vom ersten Kontakt zu einem Unternehmen bis zum Kauf und Nachkauf. Bei Konsumgütern wie OTC passiert die Customer Journey viel spontaner. Ihre Produkte sind ja nicht so komplex wie diese im Maschinenbau. Und: Konsumgüterprodukte werden auch nicht so langfristig benutzt wie Maschinen, die ja für mehrere Jahrzehnte angeschafft werden. Die Komplexität der Produkte macht also den Unterschied der Customer Journey aus. Was aber keinen Unterschied macht – oder keinen machen sollte – ist das Konzept dahinter: Denn die Customer Journey aus dem B2C lässt sich meines Erachtens in B2B transferieren.

Sie finden, die Branche Maschinenbau habe da insgesamt Nachholbedarf?

Ja.

Woran liegt das? Warum bietet die deutsche Maschinenbaubranche aus Ihrer Sicht noch zu wenig Customer Journey?

Weil sie es schlicht für lange Zeit gar nicht nötig hatte, sich darüber Gedanken zu machen. Jetzt muss sie es aber. Zur Erklärung: Der Maschinen- und Anlagebau ist eine der Kernbranchen Deutschlands. Mit einer sehr langen Tradition und einem sehr guten Ruf. Die Branche ist auch sehr groß. Sie besteht aus extrem guten Unternehmen und hat viele Hidden Champions. Allein 2023 beschäftigte die deutsche Maschinenbaubranche 955.000 Menschen. Und sie hatte viele Jahrzehnte ein Alleinstellungsmerkmal: "Made in Germany" hatte Gewicht. Es ging um technologischen Fortschritt, um Qualität und Langlebigkeit.

Und heute?

Heute, und auch in den vergangenen Jahren, haben weitere dynamische, vor allem fernöstliche Hersteller enorm aufgeholt – denken wir an China. Während sich inzwischen die Qualität chinesischer Produkte gesteigert hat, sind auch die Innovationszyklen kürzer geworden. Das Argument der robusten, langlebigen, deutschen Produkte zieht deswegen nicht mehr so stark wie früher. Hinzu kommt: Die Kunden der Maschinenbauer setzen zusätzlich mehr auf kurzfristige Renditeziele. Und in diese zahlen langlebige, kostspielige Maschinen nicht mehr wirklich ein. Deswegen müssen sich deutsche Maschinenbauunternehmen aus meiner Sicht verstärkt mit ihrer Customer Journey auseinandersetzen. Ihr Ziel sollte sein, ein besseres Verständnis für die Kundenbedürfnisse aufzubauen. Das haben bislang die wenigsten.

Sie werden unter anderem von Unternehmen konsultiert, um Marketing- und Vertriebsprozesse zu prüfen und zu optimieren. Ist die Customer Journey dabei eher im Marketing angedockt?

Nein, das ist ein Trugschluss. Die Customer Journey resultiert aus der vernetzten Arbeit vieler unternehmensinterner Abteilungen: Der Vertrieb bringt beispielsweise ein anderes Verständnis zu Kundenbedarfen mit als es die Serviceabteilung tut. Und die wiederum ein anderes als das Marketing. Die Customer Journey muss als ein ganzheitliches Element betrachtet werden. Als ein Dach, unter dem jede Abteilung die Aufgabe hat, ihren Blick auf die Kundenbedarfe zu schärfen und daran gemessen ihre Arbeit optimiert.

Wie erleben Sie Unternehmen: Sind Sie offen gegenüber der Thematik Customer Journey oder eher skeptisch?

Generell erlebe ich viele Unternehmen unter Druck. Die Bedingungen haben sich verändert. Parallel zum Wettbewerbsdruck hat sich auch das Informationsverhalten der Kunden verändert: 60 Prozent der Kaufentscheidungen fallen nicht erst im persönlichen Kontakt, sondern lange vorher. Vielen Unternehmen ist bewusst, dass sie neue Ansätze finden müssen, dennoch gibt es eine gewisse Skepsis gegenüber der Thematik Customer Journey. Es heißt oft: Die Kunden seien so unterschiedlich, dass es kaum möglich sei, eine Customer Journey zu entwickeln, die alle anspricht. Ich höre auch, dass das Konzept der Customer Journey im B2C besser funktioniere und sich nicht ins B2B transferieren lasse.

Was setzen Sie dem entgegen?

Dass das durchaus geht – sogar 1:1. Natürlich muss eine Customer Journey im Maschinen- und Anlagenbau auf weitaus komplexere Produkte angewendet werden – und das ist zugegebenermaßen auch keine leichte Aufgabe – sie erfordert Recherche und Akribie – aber Kundenkenntnis ist ein enorm wichtiger Schlüssel. Ich rate Unternehmen deswegen dringend, sich intensiver mit ihren Kundengruppen auseinanderzusetzen – welche diese jetzt sind und welche es in Zukunft sein werden.

Das klingt ein wenig so, als würde der Claim "Vorsprung durch Technik" abgelöst. Wird es in Zukunft "Vorsprung durch Kundenkenntnis" heißen?

Genau darum geht es. Denn jahrelang stand das Produkt im Vordergrund – und das ist auch nach wie vor extrem wichtig – aber Fakt ist: Die Produkte, die deutsche Maschinenbauer herstellen, sind inzwischen auch in anderen Ländern und bei anderen Herstellern erhältlich – teils sogar sehr viel günstiger. Viele deutsche Hersteller haben deswegen Kostensenkungsprogramme durchlaufen, aber den Preiswettbewerb werden sie trotzdem nicht gewinnen. Andere Unternehmen haben wiederum viel in Innovationen investiert, aber die Innovationszyklen werden immer kürzer. Für die Zukunft ist es deswegen entscheidend, dass Unternehmen kundenzentriert denken. Sie müssen ihre Denkweise verändern.

Steve Jobs sagte vor vielen Jahren: "You've got to start with the Customer Experience and work backwards to the technology." Die Strategie und Vision von Apple fragte danach, welche immensen Benefits ihren Kunden entstehen würden, wenn sie Apple-Produkte kauften. Nicht: "Was haben unsere Entwickler zu bieten und wie können wir das Produkt vermarkten?", sondern: "Where can we take the customer?". Kurzum: Maschinenbauunternehmen müssen von der reinen “Techie-” hin zur “Customer Centricity-Denke” finden.

Für deutsche Maschinenbauunternehmen bedeutet das?

Dass sie zum einen nicht länger nur die Frage danach stellen werden, wie sie es schaffen, ihre Kosten zu reduzieren. Sie werden auch danach fragen müssen, wie sie die Kosten für ihre Kunden reduzieren können. Es wird sich nicht länger nur um die Maschine, das Produkt an sich, drehen, sondern zunehmend darum gehen, wie Unternehmen die Problemstellung ihrer Kunden lösen – zum einen über ihre Produkte, ganz klar, zum anderen aber auch – und vermehrt – über ihre Services.

Welche kundenseitigen Problemstellungen nehmen Sie denn bei Unternehmen wahr, die Sie beraten?

So viele verschiedene wie es Kundensegmente gibt. Einige Kunden möchten beispielsweise Stillstandzeiten vermeiden, anderen ist eine schnelle Problembehebung das Wichtigste. Auch sind Anschaffungen nicht für alle Kunden ideal: Einige Kunden möchten Maschinen lieber bei Bedarf mieten. Für herstellende Unternehmen bedeutet das: Sie müssen sich auch verstärkt über ergänzende Services Gedanken machen. Es gibt einen bunten Strauß an Dienstleistungen, mit denen herstellende Unternehmen ihren Kunden helfen können, ihre Maschinen optimal zu nutzen.

Bevor wir zu konkreten Impulsen und Maßnahmen kommen: Was ist erfahrungsgemäß der allererste unternehmerische Schritt, um eine Customer Journey zu entwickeln?

Ich nannte ja eingangs, dass die Customer Journey eine abteilungsübergreifende Aufgabe ist. Das zu erkennen, ist aus meiner Sicht der erste unternehmerische Schritt. Unternehmen brauchen funktionale Teams mit unterschiedlichen Disziplinen, die ihre Erkenntnisse zusammentragen – beispielsweise bei einem Customer Journey Mapping. Dabei werden gemeinsam Personas entwickelt, Touchpoints ermittelt, eine Segmentierung der Kundengruppen vorgenommen, Kunden-Needs und Erwartungen erfasst, Social Listening betrieben, um überhaupt die Kunden zu verstehen – und daraus dann klare Aufgabenstellungen fürs Unternehmen abgeleitet. Der Prozess ist deswegen so wichtig, weil Unternehmen lernen, sich vernetzt und intensiv mit ihren Kunden und ihren realistischen Anfragen zu befassen – egal an welchem Berührungspunkt diese eingegangen sind: ob persönlich auf einer Messe, über eine Online-Survey, in einem persönlichen Telefonat oder auch als Kommentar unter Social Media-Posts. Die Bündelung all dieser Informationen geschieht idealerweise über ein CRM-System – ein wichtiges Tool, das aber erst gewinnbringend wird, wenn die Daten daraus auch in Business Actions übersetzt werden.

Was sind einige Leitfragen für weitere Maßnahmen? Welche Impulse, aber auch welche Instrumente helfen im Prüfprozess und später in der Umsetzung?

  1. Pflegen wir eine kundenzentrierte Kultur? Und wenn nicht: Wie könnte das Customer Centric Mindset im Unternehmen etabliert und gefördert werden – vorneweg natürlich durch die Geschäftsführung? Interne Trainings und Weiterbildungen können auf diesem Weg entscheidend sein.

  2. Ist unsere Botschaft auf allen Kanälen konsistent? Sprechen also alle Abteilungen, alle Personen, die mit Kunden im Kontakt stehen, dieselbe Sprache? Sind beispielsweise Manuals zielgruppenorientiert ausgestaltet?

  3. Erhalten unsere Kunden an jedem Touchpoint die für sie relevanten Informationen? Wenn nicht: Welche Lücken müssen konkret geschlossen werden? Und wie muss die Content-Strategie entwickelt sein? 

  4. Wie steht es um die einzelnen Kundensegmente und ihre Zufriedenheit? Unternehmen sollten gezielte Maßnahmen ergreifen, beispielsweise über regelmäßige Kundenbefragungen, um ihre Zielgruppen besser kennenzulernen und Bedarfe zu erfassen. Das gelingt persönlich, direkt bei Kundenbesuchen, telefonisch oder auch online über E-Mail-Surveys. Auch die Beauftragung von Marktforschungsinstituten kann wertvolle Insights bringen. Weitere Maßnahmen können Arbeitsgruppen mit den Kunden sein, Workshops, zu denen Unternehmen einladen.

  5. Die richtige technologische Unterstützung. Um digitale Touchpoints zu überprüfen, können beispielsweise Website-Traffic Analyse Tools helfen: Sie visualisieren das Nutzerverhalten, indem sie unter anderem Absprungraten messen. Diese Erkenntnisse helfen zuletzt, Content zu optimieren und eine bessere User Experience herzustellen. Bei technologischen Lösungen denke ich aber gleichzeitig an die Kunden: Könnte beispielsweise ein digitaler Zwilling, ein digitales Abbild einer Maschine, für sie erstellt werden? So könnten sie ihre Maschine sogar selbst konfigurieren. Oder wie sieht es mit Software-Migration aus? Mit KI-gestützten Produktionsempfehlungen? Oder Cyber Security? Das sind allesamt große und sehr relevante Themen, die Kunden heute und auch in Zukunft sehr beschäftigen werden. Könnten Maschinenbauunternehmen ihnen nicht über ein Partnernetzwerk technologischen Support anbieten?

  6. Was sind unsere KPIs? Es mag überraschen, aber ich erlebe immer noch, dass unternehmerische Ziele nicht in KPIs gegossen, verfolgt und gemessen werden. Ohne Zielvorgaben, ohne KPIs kein Erfolg.

  7. Eine kundenzentrierte, kreative Denke ist der Schlüssel zu neuen Maßnahmen und Angeboten. Anhand all der gestellten Leitfragen und Prüfprozesse wird sich für Unternehmen herauskristallisieren, welche Schwerpunkte ihre jetzigen und auch zukünftigen Kunden bei ihrer Entscheidungsfindung setzen. Dafür braucht es vernetzte Konzepte: Im besten Fall bietet man seinen Kunden ein ganzes Ökosystem an Produkten und Leistungen an. Die konkrete Antwort auf "Wie können wir das Problem unseres Kunden lösen?" kann heute bedeuten: Wir bieten Finanzierungsdienstleistungen. Wir bieten ergänzende Geschäftsmodelle, Miet- und Abo-Services. Wir bieten aber auch Beratungsdienstleistungen, beispielsweise zu Recycling und Einhaltung von ESG-Kriterien. Wir laden zu  Schulungen und Trainings am Produkt ein. Wir erstellen einen digitalen Zwilling ihrer Maschine.” Fühlen sich Kunden abgeholt und verstanden, dann werden sie sich auch für das Unternehmen entscheiden, was ihnen Empathie, Interesse und passgenaue Angebote gibt.

Sicher gibt es Best Practices aus dem Maschinen- und Anlagenbau: Welche Elemente der Customer Journey nutzen erfolgreiche Maschinenbauunternehmen? Wie sehen Maßnahmen aus der gelebten Praxis aus?

Ich denke, alle Maschinenbauunternehmen, die sich erfolgreich auf dem Markt bewegen, sind schon weit fortgeschritten auf dem Weg für gelungene Customer Journey. Ich beobachte, dass einige Unternehmen beispielsweise Vorstände haben, die aus verschiedenen Branchen stammen – unter anderem konsumgüternah. Damit werden viele, sehr unterschiedliche Erfahrungswerte in Maschinenbauunternehmen gebracht. Teils werden auch Abteilungen mit Expertise rund um User Experience (UX) aufgestockt. Was die zielgruppen- und kundenorientierte Denke und die damit verbunden Maßnahmen betrifft: Einige Unternehmen setzen auf kollaborative Tools, mit denen sie zwar eine digitale, aber dennoch direkte Zusammenarbeit mit ihren Kunden erreichen. Auch Co-Creation- und Design Thinking-Workshops gehören mittlerweile zum Weiterbildungsangebot. Aber eben auch zur gegenseitigen Inspiration. Das sind insgesamt Angebote, die klar an die Kunden signalisieren: Ihr seid uns wichtig. Wir interessieren uns für Euch und wir entwickeln mit Euch zusammen passgenaue Produkte und Dienstleistungen. Gemacht, um Eure Arbeit besser und leichter zu gestalten.

Vielen Dank für Ihre Insights, Herr Klein.

Welche Fragen beschäftigen Sie rund um das Thema Customer Journey? Sprechen Sie uns an! Wir freuen uns auf Ihre Kontaktaufnahme.

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