Im Grunde nichts Neues, aber Mentorship scheint aktuell in aller Munde. Und tatsächlich disruptiert ein Mentorship-Modell die klassische Alt-lehrt-Jung-Methode gehörig. Es nennt sich "Reverse Mentoring": Hier lernt die Generation Golf von den Zoomers, die Boomers von den Millennials – vice versa und abteilungsübergreifend. Bei Unternehmen wie Microsoft lernen die CTOs vom Nachwuchs, heißt es.
Wir haben uns in den eigenen Reihen umgehört: Warum wird aktuell so viel über Reverse Mentoring gesprochen? Was sind die Benefits für Mentees, Mentor:innen und Unternehmen? Und was geht Unternehmen durch die Lappen, wenn sie darauf verzichten?
Ein Interview mit Julia Hammer, Mentorin, Mentee und COO bei enomyc.
Die Alten belehren die Jungen und norden sie in Trampelpfade ein, die sie selbst beschritten. Im eigenen Fachbereich. Hat dieses Mentoring-Szenario ausgedient?
Ich finde, die Weitergabe von bewährten Ansätzen, von Erfahrungen und Wissen hat keinesfalls ausgedient. Nur sollte dies nicht ausschließlich aus einer Richtung kommen – sprich: klassisch Top-down. Für mich macht's der Mix: Klassisches Mentoring und Reverse Mentoring ergänzen sich aus meiner Sicht perfekt.
Dennoch wirkt es aktuell so, als wäre vor allem Reverse Mentoring im Trend. So berichtete kürzlich auch Microsoft über die Einführung eines eigenen Programms: “Die CTOs lernen vom Nachwuchs”, heißt es. Was meinen Sie: Warum ist Reverse Mentoring in aller Munde?
Ich denke, es gibt zwei Gründe dafür: Zum einen sind aktuell fünf Generationen auf dem Arbeitsmarkt. Die Boomers stehen kurz vor der Rente, die Generation Z zieht nach. Die einen blicken auf ein langes Arbeitsleben voller Erfahrungen und bewährter Ansätze. Die anderen kommen mit frischem Know-how rein, mit einer innovativen Denke und neuen Werten. On top bringen versierte Quereinsteiger:innen aus anderen Branchen eine zusätzliche Perspektive mit. Das alles trifft auf eine Wirtschaft, die unter einem enormen Transformationsdruck steht. Es wäre verschenktes Potenzial, würden Menschen jetzt nicht aktiv im Reverse Mentoring voneinander lernen. So kann sehr viel Wissen in Unternehmen gebündelt werden.
Was ist der zweite Grund?
Der zweite Grund betrifft uns alle: Wir leben in disruptiven Zeiten. Sie verändern unsere Arbeitsweise teils grundlegend. Das alles lässt weder Leadership- noch Mentoring-Modelle kalt. Unternehmen müssen mit den aktuellen Entwicklungen Schritt halten und den neuen Anspruch erfüllen.
Sofern Unternehmen internes Mentoring anbieten, denn nicht alle tun das. Ist Mentoring zum Must-have avanciert? Und wenn ja: Wie erklären Sie sich diese Entwicklung?
Ich denke, dass Mentoring-Programme vor allem auf jüngere Talente und Jobkandidat:innen attraktiv wirken. Es wird teilweise sogar aktiv angefragt. Warum das so ist: Weiterentwicklung wird immer wichtiger – die Ausbildung der eigenen Persönlichkeit und des professionellen Skills Sets. Reverse Mentoring ist da sehr willkommen, denn gerade junge Talente möchten einerseits ihr frisches Potenzial entfalten, am besten aber mit einer erfahrenen Begleitung, die ihnen auch die eine oder andere Tür für die Zukunft öffnet.
"Die für mich wichtigste Frage im Mentoring: Wie will ich im
beruflichen Kontext wahrgenommen werden?"
— Isabelle Hinsche, Mentee
Worauf kommt es den Mentees von enomyc bislang an? Decken sich ihre Erwartungen? Und nennen sie ihre Ziele explizit?
Ja, das tun sie. Ich frage sie als Mentorin auch aktiv danach. Denn jede:r Mentee überwindet – vor allem zum Einstieg ins Berufsleben – andere Hürden und setzt auch sehr individuelle Schwerpunkte. Eines aber haben sie gemeinsam: Sie möchten praktische Erfahrungen im Business Consulting des gehobenen Mittelstands sammeln. Und das direkt in Zusammenarbeit mit Vorständ:innen – sowohl intern als auch kund:innenseitig. Dieser Anspruch unterscheidet sich stark von den Erfahrungen, die sie im Konzern machen würden. Wir können diesen Anspruch erfüllen.
Inwiefern? Was gewinnen Ihre Mentees konkret?
Fachlich eine 360°-Perspektive und viel Praxiserfahrung. Sie werden am gesamten Projektkreislauf beteiligt – von der Akquise über die Konzepterstellung und Umsetzung bis hin zur nachgelagerten Erfolgsmessung. Unsere Teams sind kleiner – dadurch das Skill Set größer. Auch gewinnen Mentees ein Netzwerk für ihre Zukunft – intern und extern. Und, was man nicht unterschätzen darf: Menschen ziehen Menschen an. Gerade in Zeiten, in denen Distance Leadership, Home- und Hybrid Offices nach wie vor die Themen sind, kann Mentorship ein wahrer Anker für Menschen sein. Einer, der eben Anbindung und menschliche Nähe im Unternehmen schafft.
"Mentoring ist kein Kaffeeplausch – besser ist, mit Stift und Papier,
mit Respekt gegenüber Dir selbst und den Mentor:innen ins
Mentoring zu gehen. Eine wichtige Task: Nacharbeit, ausgiebiges
und systematisches Reflektieren. So ziehe ich enorm viel aus
meinem Mentoring." — Christoph Scholl, Mentee
Wie profitieren Unternehmen von Mentees?
Mentees sind wahre Assets. Sie öffnen den Blick über den Tellerrand und bringen eine frische und relevante Sicht ins Unternehmen. Ich möchte nicht auf ihre ungefilterte Wahrnehmung und auf ihre Impulse verzichten. Mir hat beispielsweise eine meiner Mentees die Möglichkeiten von teil-/automatisierten Prozessen näher gebracht – und auch Diverses davon bei uns im Unternehmen implementiert. Der Wert wirkt nach: Wir entwickeln uns hier konsequent weiter. Und auch über nachhaltige Finanzierungsmodelle habe ich dank einer meiner Mentees mehr erfahren. Sie promoviert in diesem Bereich.
Können sich Unternehmen überhaupt noch leisten, kein Mentoring anzubieten?
Ich würde Unternehmen unbedingt empfehlen, es aktiv zu etablieren. Aus meiner Sicht ist es elementar. Warum? Weil es Unternehmen flexibel und agil macht, offen für Neues, für andere Perspektiven, für Ideen und Innovationen. Für mich persönlich ist der Dialog mit Mentees und Mentor:innen ein Erfolgsgarant. Und wer erfolgreich sein will – und es auch bleiben möchte – sollte auf Neugier und Wissensdurst setzen.
Welche Erkenntnis aus dem Mentoring war für Sie persönlich ein Game Changer?
Dass wir uns oftmals nur lebens- und berufserfahren wähnen, dass wir meinen, unser Erfahrungsschatz sei randvoll mit Weisheiten und dass sie Bestand hätten. Aber so ist es nicht. Es gibt immer ein "Mehr" und ein "Weiter". In der Begegnung mit meinen Mentees lade auch ich meinen Erfahrungsschatz immer wieder neu auf.
"Know your USP. Ob als Praktikant:in, Werkstudent:in,
Junior Consultant: Schaffe Dir Klarheit darüber, wer Du bist,
was Du kannst und dass Du Deiner Linie treu bleibst. Das Mentoring
und die damit einhergehende Reflexion hat mir mein Standing
bewusst gemacht." — Joelina Eppelmann, Mentee
Was empfehlen Sie Mentees und Mentor:innen abschließend fürs Matching und was ist aus Ihrer Sicht ein Wegweiser für gelungenes Mentoring?
In erster Linie muss es menschlich passen: Es braucht echtes beidseitiges Interesse und einen wertschätzenden Austausch. Wer sich wirklich weiterentwickeln möchte, wird außerdem auf klares Feedback setzen. Und es auch äußern. Dafür bilden Offenheit und Vertrauen die Basis. Zuletzt genügt es nicht, nur zuzuhören: Feedback muss aktiv genutzt werden. In der Selbstreflexion und indem es in die Tat umgesetzt wird. So werden wir Reverse Mentoring in seiner Gänze gerecht.
Vielen Dank für Ihre Insights, Frau Hammer.
Welche Fragen beschäftigen Sie rund um die Themen Mentoring und Reverse Mentoring? Sprechen Sie uns gerne an. Wir freuen uns auf Ihre Kontaktaufnahme.