Für die einen ist es ein überfälliger Schritt, um auch die Wirtschaft für die Folgen ihres Handelns in die Pflicht zu nehmen, für die anderen ein undurchsichtiges und vor allem teures Bürokratiemonster. Die Rede ist von nachhaltiger Unternehmensführung, bekannt unter dem Kürzel ESG. Tatsache ist: Auch der Mittelstand wird sich den wachsenden Anforderungen bald nicht mehr entziehen können. Alexandra Becker und Carla Dausend liefern einen Überblick, worauf sich Firmen einstellen müssen, welche Fehler sie vermeiden sollten und wie ESG den Unternehmenswert steigern kann.

Unternehmen stehen heute vor der Herausforderung, neben ihrer finanziellen Leistung auch die Auswirkungen ihres Handelns auf Umwelt und Gesellschaft transparent zu machen. Bei ESG, kurz für Environmental, Social und Governance (Umwelt, Soziales, Unternehmensführung), geht es aber nicht nur darum, den CO2-Ausstoß oder Ressourcenverbrauch zu reduzieren, sondern auch darum, entlang der gesamten Wertschöpfungskette für menschenwürdige Arbeitsbedingungen und für eine verantwortungsbewusste Unternehmensführung zu sorgen.

Der Druck auf die Wirtschaft, beim Thema nachhaltige Unternehmensführung Ernst zu machen, wächst bereits seit Jahren – und kommt von immer mehr Seiten. So wird das Netz aus Gesetzen, Vorschriften und Richtlinien, das sich um die Firmen spannt, fast täglich engmaschiger und komplexer. Neben der seit 2022 geltenden EU-Taxonomie zählt unter anderem das Sorgfaltspflichtengesetz, auch Lieferkettengesetz genannt, sowie die Non-Financial Reporting Direktive zu den aktuell geltenden Vorgaben. Der Richtlinienvorschlag CSRD (Corporate Sustainability Reporting Directive) erweitert den Anwendungsbereich der EU-Taxonomie und erfordert von einem größeren Kreis von Unternehmen die Offenlegung von Informationen. Diese Anforderungen gelten für Firmen mit mindestens 250 Mitarbeitenden und einem Umsatz von 40 Mio. Euro oder einer Bilanzsumme von 20 Mio. Euro – und ist damit auch für den Mittelstand relevant. Über ein EU-einheitliches Lieferkettengesetz (CSDDD) wird derzeit noch beraten.

Schätzungen zufolge dürften allein in Europa rund 50.000 Unternehmen von den mit ESG verbundenen Reporting-Vorgaben betroffen sein, in Deutschland sind künftig rund 15.000 Unternehmen zur Umsetzung der Regelungen verpflichtet.

Im täglich aktualisierten Regelungsdickicht verliert man leicht den Überblick

Viele Inhaber und Führungskräfte in der Wirtschaft empfinden die ESG-Anforderungen trotz ihrer zentralen Bedeutung als zusätzliche Belastung in bereits anspruchsvollen Zeiten.

Firmen sind beispielsweise dazu verpflichtet, sich über geltende und neue Bestimmungen ständig auf dem Laufenden zu halten. Auch die Einhaltung der Vorschriften selbst ist insbesondere für multinationale Unternehmen oft alles andere als trivial, weil in verschiedenen Ländern unterschiedliche Gesetze gelten.

Grundsätzlich ist festzustellen, dass der gesamte ESG-Regelungsrahmen derzeit noch in den Anfängen steckt. Dass es für Unternehmen, die jetzt schon ESG-konform berichten müssen, noch keinen allgemeingültigen Standard gibt, macht die Sache nicht einfacher. Zwar ist in den vergangenen Jahren eine Vielzahl an Rahmenwerken, Standards und Metriken entstanden, einheitliche Vorgaben bleiben aber Mangelware. Im Überfluss vorhanden sind dagegen Reportinganforderungen (mehr als 80 verschiedene) und Vorgaben zu Datenpunkten, die künftig zu erheben sind (mehr als 1.100 an der Zahl).

Entsprechende Berichterstattungssysteme können Unternehmen dabei unterstützen, ihre ESG-Maßnahmen zu dokumentieren und verifizieren. Eine unabhängige Überprüfung der ESG-Praktiken kann zusätzlich für mehr Transparenz gegenüber den Stakeholdern sorgen.

Überhaupt ist Transparenz beim Thema ESG ein zentrales Stichwort, denn die Zahl der Berichte über neue Greenwashing-Fälle scheint stetig zu steigen, während gleichzeitig immer mehr Nachhaltigkeitsanforderungen eingeführt werden. Reputationsschädliches Verhalten, bei denen Behauptungen und Realität nicht zusammenpassen, sollte aber unbedingt vermieden werden – auch wenn nicht immer Vorsatz dahintersteckt, wie diverse Beispiele von „Gut gemeint, aber schlecht gemacht“ zeigen.

Bleibt festzuhalten: Die schiere Komplexität von ESG kann vor allem Firmen, die bislang keine dezidierten Abteilungen oder qualifizierten Fachleute an Bord haben, schnell an ihre Grenzen bringen. Für viele ist die Beauftragung externer Experten und Berater deswegen zumindest für den Übergang eine sinnvolle Option.

Wie ESG zum Business Case wird

Das Reporting und die Umsetzung von ESG-Praktiken sind für große Konzerne längst zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Dies ist nicht zuletzt an der wachsenden Zahl von aufwändig erstellter Nachhaltigkeitsberichte abzulesen.

Doch auch für mittelständisch geprägte Unternehmen gibt es mindestens vier gute Gründe, das Thema jetzt auf die Agenda zu setzen:

  • Weniger Risiko: Durch den frühzeitigen Fokus auf ESG können Unternehmen potenzielle – vor allem finanzielle – Risiken besser analysieren, verstehen und entsprechend gegensteuern. So lassen sich nicht nur bei Energie und Ressourcen Kosten sparen. Auch Ausgaben für gerichtliche Verfahren bei Verstößen gegen Umweltauflagen lassen sich mithilfe robuster ESG-Strategien vermeiden.
  • Bessere Performance: Dass nachhaltiges Wirtschaften längst mehr als „nice to have“ ist, zeigt sich auch an „harten Zahlen“. Studien haben gezeigt, dass Unternehmen mit starkem ESG-Fokus tendenziell rentabler sind, niedrigere Kapitalkosten haben (siehe unten), in Krisen resilienter sind und langfristig eine bessere Wertentwicklung aufweisen. Einer Umfrage zufolge profitiert jedes dritte Unternehmen von Kostensenkungen durch verbesserte Effizienz, knapp jedes vierte verzeichnet nach eigenen Angaben höhere Umsätze. Ein Drittel der Firmen gibt außerdem an, durch ESG innovativer geworden zu sein (Quelle: 'Innovating for a Sustainable Future' von Geschäfts- und IT-Dienstleister NTT DATA).
  • Bessere Konditionen bei der Kapitalbeschaffung: Auch bei Investoren stehen Unternehmen, die strenge Nachhaltigkeitsstandards erfüllen, hoch im Kurs. ESG-Kriterien haben außerdem bei Finanzierungen eine immer größere Bedeutung, weil Banken ESG künftig beim Rating sowie beim Kreditentscheidungsprozess berücksichtigen. Darüber hinaus wird Nicht- oder Teilerfüllung der ESG-Vorgaben in die Bepreisung von Krediten eingehen.
  • Bessere Beziehungen zu Kunden, Mitarbeitern und Investoren: Unternehmen mit ausgeprägter ESG-Strategie werden als verantwortungsbewusst wahrgenommen. Kunden und Beschäftigte geben ihnen bei Kaufentscheidungen immer öfter den Vorzug. Eine gute ESG-Performance steigert schließlich auch die Attraktivität des Arbeitgebers. Mitarbeiter werden von Unternehmen angezogen, die nachhaltige Werte und eine positive Unternehmenskultur pflegen. 

Gesucht: Eine ESG-Strategie, die zum Unternehmen passt

Die Entwicklung einer passenden ESG-Strategie ist eine der zentralen Herausforderungen der nächsten Zeit, auch und gerade für Mittelständler. Dieser Prozess erfordert eine sorgfältige Abwägung der unternehmensspezifischen Bedingungen, Risiken und Chancen. Außerdem muss die ESG-Strategie die Kernwerte, das Geschäftsmodell und die langfristigen Ziele des Unternehmens berücksichtigen, um nicht nur Kosten, sondern auch echten Mehrwert zu generieren. Ein Patentrezept, das als allgemeine „Kopiervorlage“ dienen kann, wird man vergeblich suchen. Vaude kann jedoch als inspirierendes und vorbildliches Unternehmen dienen, weil es besonders erfolgreich darin ist, sein ständiges Streben nach noch nachhaltigeren Lösungen zu einem zentralen Bestandteil seiner ESG-Strategie zu machen. Dadurch hat sich das Unternehmen sogar als Vorreiter in der gesamten Branche etabliert.

Wie aber geht man bei der Entwicklung einer authentischen ESG-Strategie am besten vor? Die folgenden vier Punkte können als Leitlinie dienen:

  1. ESG als strategisches Thema positionieren. Zunächst muss im Unternehmen ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass ESG-Praktiken nicht nur eine gesellschaftliche Verantwortung darstellen, sondern auch einen wirtschaftlichen Nutzen bieten können. Nachhaltigkeit ist zwar fraglos mit Aufwand und Kosten verbunden, kann aber auch handfeste Wettbewerbsvorteile schaffen und für eine bessere langfristige Wertentwicklung sorgen.
  2. Verantwortlichkeit festlegen. Die Verantwortung für die Umsetzung von ESG-Praktiken muss klar definiert werden. Dabei sollte die Aufgabe nicht nur in der entsprechenden Abteilung und bei den benannten Fachleuten, sondern ganzheitlich im Unternehmen und insbesondere in der Führungsebene verankert werden.
  3. Reporten und transparent kommunizieren. Umfassendes Reporting und offene Kommunikation sind entscheidend für die Umsetzung von ESG-Zielen und die Gewährleistung hoher Leistungsniveaus. Unternehmen sollten ihre Performance regelmäßig messen, überwachen und darüber berichten. Die Ergebnisse sollten allen Stakeholdern zugänglich gemacht werden, zum Beispiel durch Nachhaltigkeitsberichte oder die Integration von ESG-Informationen in Jahresberichte. Durch ehrliche und regelmäßige Kommunikation ihrer ESG-Performance können Unternehmen das Vertrauen und die Unterstützung der Stakeholder gewinnen und ihr Image als verantwortungsbewusstes Unternehmen stärken.
  4. Mit Partnern zusammenarbeiten. Wie bei vielen anderen Themen gilt auch hier: Das Rad muss nicht jedes Mal neu erfunden werden. Gemeinsam mit anderen Unternehmen, Branchenverbänden, Regierungen, Nichtregierungsorganisationen und anderen Interessengruppen fällt die Erarbeitung einer Strategie oft leichter, außerdem kann man von den Erfahrungen und Fehlern anderer viel lernen. Auch Partnerschaften mit branchenspezifischen Initiativen, NGOs oder Lieferanten kann wertvollen Input liefern, um die eigenen ESG-Ziele schneller zu erreichen. 
Obwohl die Entwicklung einer maßgeschneiderten ESG-Strategie keine einfache Aufgabe ist, lohnt es sich auch für kleinere und mittelständische Unternehmen, sich mit den Chancen und Vorteilen auseinanderzusetzen und die geeigneten Schritte in die Wege zu leiten, um nachhaltiges und verantwortungsbewusstes Handeln fest in die Unternehmenskultur zu integrieren.

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