Wie kaum eine andere Branche kannte die Entwicklung in der Fahrradbranche in den vergangenen Jahren nur eine Richtung: nach oben. So hat sich der Umsatz mit Fahrrädern, Fahrradteilen und -zubehör zwischen 2014 und 2020 mehr als verdoppelt. Das gleiche gilt für den Durchschnittspreis der verkauften Räder. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich allerdings, dass es durchaus Gewinner und Verlierer gibt. Wer zu welcher Gruppe gehört und welche Maßnahmen jetzt die richtigen sind, darüber sprachen wir mit enomyc-Partner Stefan Frings.

Herr Frings, spätestens seit Corona hat sich der Anteil der Fahrräder im Straßenbild gefühlt vervielfacht. Trotzdem haben offenbar viele Hersteller wirtschaftlich zu kämpfen. Wie passt das zusammen?

Das Fahrradbusiness boomt ja schon seit ein paar Jahren. So haben sich die Umsätze zwischen 2014 und 2020 mehr als verdoppelt. Auch die Durchschnittspreise sind gestiegen, von 1.400 Euro 2021 auf jetzt 1.800 Euro. Corona, attraktive Leasing-Modelle wie Jobrad, aber auch technische Innovation haben der Branche einen zusätzlichen Nachfrageschub beschert. Der war – aus heutiger Perspektive – Fluch und Segen zugleich. Denn wegen fehlender Teile konnten während der Pandemie viele Räder nicht gebaut und nicht verkauft werden. Zum anderen haben die meisten Hersteller als Reaktion auf die Probleme bei der Teileversorgung große Bestände aufgebaut und ihre Liquiditätsreserven erschöpft. Genau das fällt ihnen jetzt vor die Füße.

Wie wird es für diese Firmen jetzt weitergehen? Die ersten Hersteller haben die Preise gesenkt…

Da muss man differenzieren. Preisreduzierungen gibt es vor allem im günstigen Segment, also bei den Rädern bis 1.000 Euro, wo die Nachfrage stark zurückgegangen ist. Im oberen Bereich gibt es die eine oder andere Aktion zur Absatzförderung, das sind dann aber in der Regel handelsübliche Verkaufsaktionen.

Das heißt, die Krise trifft vor allem das günstige Segment?

Genau. Das sind meistens Hersteller ohne eigenen Vertriebskanal, die ihre Produkte über den Handel oder Online-Plattformen verkaufen, oder Hersteller, die Aktionsware für Discounter oder Handelsmarken produzieren, überwiegend im mittleren und unteren Preissegment. Diese Unternehmen sind aktuell in einer sehr schwierigen Situation, weil sie die Kaufzurückhaltung am stärksten zu spüren bekommen.

Wie steht es um die Anbieter im Luxusbereich?

Die haben meist eigene Vertriebskanäle, sei es stationär oder online, und gut positionierte Marken, so wie Canyon und Rose im sportlichen bzw. höherwertigen City-Bereich oder Riese + Müller bei E-Bikes. Diese Unternehmen sind dank ihrer Innovationen oft Meinungsführer oder Schrittmacher in der Branche und geben die Trends vor. Obwohl die Einstiegspreise hier nicht selten bei 3.000 Euro liegen, laufen die Geschäfte auch jetzt immer noch gut.

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Wie ist die Lage im Handel?

Der stationäre Handel und Fachhändler oder Händlerketten sind ebenfalls stark unter Druck. Schuld sind vor allem die hohen Bestände und die Zurückhaltung der Verbraucher. Gleichzeitig muss man feststellen, dass viele Anbieter große Sortimentsschwächen haben, etwa bei Zubehör oder Bekleidung. Da ist der Onlinehandel einfach überlegen.

Was müsste getan werden, um die Situation zu verbessern?

Die Hersteller im oberen Preissegment haben in der Regel noch Wirtschaftlichkeitsreserven. Hier geht es also darum, Produktionsprozesse oder die Logistik zu optimieren, aber auch generell darum, die Kosten auf den Prüfstand zu stellen. Gleichzeitig muss die Supply Chain optimiert und geschaut werden, was sich besser in Europa als in Asien sourcen lässt – auch wenn dies in dieser Branche aufgrund der gegebenen Zulieferstruktur besonders herausfordernd ist. Eines ist klar: Fehlt am Ende die Sattelstütze, kann das Fahrrad nicht fertig gebaut werden.

Im unteren Segment ist dagegen nach meiner Einschätzung häufig nicht mehr viel zu retten. Hier wird es definitiv zu einer Konsolidierungswelle kommen. Die Unternehmen sollten sich jetzt in erster Linie um den Abverkauf ihrer Ware kümmern, um Liquidität zu generieren. Da gilt das Sanierer-Mantra „Liquidität schlägt Ergebnis“, also „Cash is king“.

Vielen Dank für Ihre Einschätzungen, Herr Dr. Frings.

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