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Es führt kein Weg daran vorbei: Die Wirtschaft muss nachhaltiger werden. Schluss mit Überproduktionen, Schluss mit kurzlebigen Produkten, Schluss mit Elektro- und anderem Schrott. Her mit Produkten, die recycelt und länger haltbar sind. Her mit dem “Recht auf Reparatur”, her mit der Kreislaufwirtschaft!

Während dringend benötigte Rohstoffe immer knapper werden – darunter Holz, Stahl, Kunststoffe – und ganze Branchen in Slowmotion produzieren, verstärken aktuelle Krisen den Druck weiter. 

Hier kommt “Circular Economy” ins Spiel: Wie kann Kreislaufwirtschaft für den Wandel sorgen, den Wirtschaft und Umwelt jetzt so dringend brauchen? Wo anfangen? Wer macht es schon richtig und wie gelingt der Shift?

Wir werfen mit Dr. Stefan Frings einen Blick auf einige Vorreiter aus der Holz- und metallverarbeitenden Industrie.

 

Dr. Frings, zuletzt sprachen wir im Februar über die Benefits des Local Sourcing gegenüber Global Sourcing. Und darüber, ob "Kirchturmlogistik" zum Trend avancieren wird. Was hat sich seither getan?

Die Tendenz zu Local Sourcing ist seither massiv gestiegen. Denn im Februar gab es ja bereits, was die Rohstoffknappheit betrifft, einen Peak, von dem man glaubte, schlimmer kann es kaum werden. Aber der Russland-Ukraine-Krieg hat uns eines Besseren belehrt:  Deswegen denke ich eher: Inzwischen geht der Trend gezwungenermaßen sogar vom Local Sourcing zum Insourcing.

Welcher Mangel treibt denn das Insourcing in deutschen Unternehmen konkret an? 

Wir erhalten weit mehr Stoffe aus der Ukraine, als wir vermutet haben. Weltweit wird klar, wie stark die Welt von Rohstoffen aus der Ukraine und Russland abhängig ist. Die keramische Industrie bezieht beispielsweise Input-Stoffe wie Feldspat aus der Ukraine. Die fallen nun weg. Oder Kabelbäume für die Automobilindustrie: Sie sind extrem knapp. Auch das Thema Human Ressources führt vor Augen, wie sehr deutsche Unternehmen auf Montagearbeiter:innen aus der Ukraine gesetzt haben. Jetzt müssen sie neue Wo/Manpower finden und alternative Bezugsquellen für Energie und andere Rohstoffe auftun.

Wie ist Deutschland in Sachen Insourcing aufgestellt? Kennen Sie Beispiele aus Ihrer Beraterpraxis? Und wird es jetzt nicht auch richtig teuer, wenn Deutschlands Industrien sich aus eigener Kraft versorgen müssen? 

Es kann teurer werden. Aber die Versorgungssicherheit steht nun an erster Stelle. Einige Entwicklungen, die ich beobachte, sind unter anderem: Fahrzeugkomponenten. Das Schweißen von Stahlrahmen beispielsweise. Früher wurden Vorgänge wie diese bei Lieferanten ausgeführt. Diese Arbeitsumfänge werden nun vermehrt in Deutschland selbst ausgeführt. Und es gibt viele weitere Beispiele.

Wie passen denn alternative Bezugsquellen, die ja zum wesentlichen Thema geworden sind, auch zum Thema Nachhaltigkeit? 

Sie sind eine Facette von einer großen Entwicklung, die aktuell ein hohes Tempo vorgibt. 

Und es auch muss: Die Stichworte lauten “ESG” und “Green Deal”. Ende März hat die EU-Kommission dafür ein Maßnahmenpaket vorgelegt. Der übergeordnete Auftrag an Wirtschaft und Konsument:innen lautet: “Reduce, reuse, recycle.” Es sollen weniger Produkte neu produziert werden, heißt es. Wie reagiert die Wirtschaft Ihres Erachtens darauf?

Noch entschieden zu langsam, aber es tut sich etwas. Ich beobachte, dass Unternehmen sich verstärkt Assessments unterziehen – vorrangig mithilfe dieser drei Leitfragen:
1. 
Wie kann weniger Rohstoff verwendet werden?
2. 
Welche Stoffe können wiederverwendet werden?
3. 
Welche Stoffe können substituiert werden?
Das sind drei Ansätze, die zum Ziel haben, den Rohstoffverbrauch massiv zu senken.

Was bedeutet das konkret? Welche Ansätze verfolgt beispielsweise die Holz- und holzverarbeitende Industrie? Denn der Rohstoff Holz ist sehr knapp. Der Preis steigt schon länger konstant. Laut Prognosen wird er es auch weiterhin tun.

Das stimmt. Holz ist aus vielerlei Gründen eine knappe Ressource. Deswegen sind gerade die Holz- und holzverarbeitende Industrie stark von Innovationen abhängig. Diese hängen wiederum mit Nachhaltigkeitszielen zusammen. Was gut ist. Es gibt Forschungsprojekte, unter anderem eines der TU Wien, die sich genau damit auseinandersetzen. Beispielsweise, inwiefern aus Nebenprodukten der holzverarbeitenden Industrie – wie Sägemehl und Lignin – klimaneutrale Produkte realisiert werden können. Es heißt, sogar Häuser könnten aus diesen Nebenprodukten gebaut werden! Die Erkenntnisse helfen Anbietern, sich zu spezialisieren. So fertigen einige inzwischen im 3D-Druckverfahren nachhaltige Holzteile. 

Verfahren wie diese könnten möglicherweise die Abholzung von jährlich mehreren Millionen Bäumen aussetzen.

Ja, der ökologische Faktor wäre immens! Mittlerweile hat auch die sogenannte "Wood Powder Technology" Fuß gefasst: Sie ermöglicht die Produktion von klimaneutralen Holzböden, Decken- und Wandverkleidungen, die aus Echtholz bestehen, aber zu einem hohen Anteil aus recyceltem Holz oder schlicht aus Holzabfällen bestehen. Auf das Prinzip Circular Economy, also auf Kreislaufwirtschaft, wird aber auch in anderen Industrien vermehrt gesetzt.

Okay, wie sieht es in der metallverarbeitenden Industrie aus? Wir hatten im Februar vor allem über Fahrradhersteller gesprochen, die – stark von Lieferstopps getroffen – eigene Werke in der EU aufbauten. Wie könnte sich hier verstärkt Circular Economy durchsetzen?

Das tut sie bereits. Wenn auch in kleinem Stil: Die Wirtschaftswoche berichtete kürzlich von Startups und anderen Geschäftsmodellen, die sich – aus der Lieferkrise heraus – auf das Upcycling alter, gebrauchter Fahrräder und “urbaner Fahrradleichen" konzentrieren. Sie werten nicht nur alte Fahrräder auf: Sie bauen notfalls auch aus alten komplett neue Zweiräder. 

Damit erfüllen kleine und wendige Unternehmen die Anforderungen, die der erwähnte Maßnahmenplan auch fordert. Aber wie sieht es mit größeren Playern aus? Bleiben wir bei der metallverarbeitenden Industrie: Gibt es auch dort Entwicklungen, die das Prinzip Kreislaufwirtschaft abbilden?

Ja, wenn wir an das knappe Gut Aluminium denken, so haben Nespresso und Velósophy mit ihrem RE:CYCLE Bike schon gut vorgelegt: Der Alurahmen dieses Fahrrads besteht beispielsweise aus den wiederverwerteten Kaffeekapseln von Nespresso. Ein anderes Beispiel für die Weiterverwertung von Aluminium kommt aus der  Automobilindustrie: Volkswagen lässt für seine Marke Audi Aluminium-Verschnitte zurück an die Lieferanten liefern, damit sie daraus andere Teile fertigen können. Für MAN werden auch Bauteile aus alten Nutzfahrzeugen wiederverwertet. Inzwischen werden Aluminiumspäne sogar vor Ort eingeschmolzen, um daraus neues Rohmaterial für die Weiterverwertung herzustellen. "Neustart statt Schrottplatz" lautet die Devise. 

Klingt nach deutlich weniger Ressourcen, nach weniger Logistikaufwand, weniger Autos in der Schrottpresse und – vor dem Hintergrund der “Frühwarnstufe” und des “Ölembargos” – auch nach weniger Energieverbrauch. Der Kostenvorteil scheint auf der Hand zu liegen. Ist das so? Wird sich Circular Economy weiter durchsetzen? 

Ja, unweigerlich. Die Entwicklungen zeigen, dass Circular Economy eine clevere, zeitgemäße, aber auch bitter nötige Lösung abbildet. Nicht nur wegen der Auflagen und der Rohstoffknappheit: Ein ökonomisches Problem ist ja vom Grundsatz her immer ein Anreizproblem. Bedeutet: Wenn gewisse Leistungen oder Produkte gewinnversprechend sind, dann werden sie auch realisiert. Und Kreislaufwirtschaft ist ein solcher Anreizmechanismus. Circular Economy bietet eine Kongruenz von Gewinnerzielungsmöglichkeit und ökologischen Vorteilen. Auch deswegen wird sie Zukunft massiv an Fahrt aufnehmen.

Welche Fragen erreichen Sie dahingehend vorrangig? Und über welche Thematik zerbrechen sich Unternehmer:innen aktuell am meisten den Kopf? 

Sie fragen sich vor allem, wie sie die derartigen Kostensteigerungen, wie wir sie aktuell erleben, kompensieren können. Die Rahmenbedingungen haben sich verändert. Der Markt ist sehr teuer geworden. Unternehmen stehen unter starkem Rationalisierungsdruck und suchen nach Rationalisierungsmöglichkeiten, um Kosten einzusparen. 

Was empfehlen Sie Unternehmen dahingehend: Welche Leitfrage kann hier für eine erste Orientierung sorgen – und zuletzt auch für den nötigen Shift zu mehr Nachhaltigkeit?

"Was kann ich selbst beeinflussen?" – diese Frage gibt tatsächlich in vielerlei Hinsicht Aufschluss. Und es ist erstaunlich, welche Möglichkeiten sich in den Antworten gleichzeitig für die Unternehmen und die Einhaltung der Klimaziele ergeben. Denn es ist ja so: Wollen Unternehmen dem Rationalisierungsdruck begegnen, dann werden sie auch wesentlich energie- und ressourceneffizienter arbeiten müssen. Beispiel “Supply Chain” oder “Local Sourcing”: Können Lieferketten an die neuen Rahmenbedingungen angepasst werden? Können sie smarter gestaltet werden, damit Transport- und Logistikkosten gesenkt werden können? Oder Beispiel “Insourcing”: Welche Möglichkeiten gibt es, um intern oder in unmittelbarer Nähe Rohstoffe aufzubereiten? Sie wiederzuverwerten oder zu substituieren? Welche neuen Kooperationen können hier interessant werden und gleichzeitig einen Mehrwert für Markt, Konsument:innen und Umwelt bedeuten? 

Der Rationalisierungsdruck macht offensichtlich sehr kreativ. 

Krisen sorgen immer für Innovationen. Die Krisen der letzten zwei bis drei Jahre forcieren zusätzlich das ökologische Umdenken. Und bringen uns hoffentlich den Klimazielen näher. 

Vielen Dank für das Interview, Dr. Frings.

 

Welche Fragen beschäftigen Sie mit Blick auf die Zukunft? Wir unterstützen Sie, sich den neuen Anforderungen zu stellen. Sprechen Sie uns gerne an. Wir freuen uns auf Ihre Kontaktaufnahme. 

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