Der große OEM muss es genauso wie der Mittelständler, dessen Werk in einer Region schlecht ausgelastet ist, während der Kunde in einem anderen Markt nicht schnell genug beliefert werden kann. Ob groß oder klein: Praktisch alle Unternehmen müssen ihre Produktionskapazitäten laufend den veränderten Anforderungen anpassen. In einer Welt, in der oft schon morgen nicht mehr gilt, was gestern noch eiserne Regel schien, ist das nicht ganz einfach. In ihrem Beitrag erklären die enomyc-Experten Max Stehr und Christian Zeller, worauf Unternehmen achten sollten und warum die frühzeitige Einbeziehung eines erfahrenen Partners viel Unruhe, Reibungsverluste und häufig auch Kosten vermeiden kann.
Eine immer volatilere Nachfrage, Lieferkettenrisiken, steigender Wettbewerbsdruck und nicht zuletzt geopolitische Handelsbarrieren verlangen zunehmend flexible Kapazitätsmodelle. So schwankt die Auslastung einzelner Werke in vielen Branchen inzwischen um 20 bis 30 Prozentpunkte innerhalb eines Jahres – ein Wert, der noch vor zehn Jahren deutlich niedriger lag. Auch immer mehr mittelständische Unternehmen stehen daher vor der Herausforderung, ihre Produktionskapazitäten möglichst flexibel anzupassen – etwa, weil vor Jahren zugekaufte Kapazitäten nicht systematisch integriert wurden und seitdem mit niedriger Auslastung und Produktivität vor sich hindümpeln. Oder weil – wie kürzlich im Fall eines Turbolader-Herstellers, den wir beraten haben – hohe Faktorkosten und volatile politische Rahmenbedingungen den Ausschlag zugunsten einer Verlagerung an andere Standorte gegeben haben.
Was sich manches Unternehmen in guten Zeiten noch leisten konnte, ist heute schnell der Anfang vom Ende. Deswegen steht auch der Mittelstand vor der Frage, wie er seine Kapazitäten strategisch planen und aussteuern muss, um einerseits schnell auf veränderte Bedingungen reagieren zu können und andererseits eine gewisse Resilienz gegenüber externen Schwankungen zu entwickeln. Dabei gilt: Je komplexer der Footprint, desto schwieriger ist er zu steuern – und desto herausfordernder die Aufgabe, entsprechende Anpassungen vorzunehmen. Sobald mehrere Produktionsstandorte, ggf. in unterschiedlichen Ländern, im Spiel sind, steigt die Steuerungskomplexität aufgrund von Faktoren wie unterschiedlichen Lohnkosten, logistischen Aspekten und Zollbarrieren exponenziell und macht Anpassungen schwerer kalkulierbar.
Veränderungsbedarf bleibt oft lange unerkannt
Besonders tückisch wirkt sich dabei aus, dass der erforderliche und oft überfällige Anpassungsbedarf häufig gar nicht offensichtlich ist. Einem Blick in den Jahresabschluss ist er beispielsweise allenfalls auf höchster Ebene zu entnehmen. Relevante Zahlen aus dem Controlling fehlen oft oder sind nicht ausreichend belastbar, um die Leistungsfähigkeit auf Werksebene fundiert zu beurteilen. Während in großen Konzernen interdisziplinäre Teams an der Definition von Produktivitätskennzahlen feilen, entspringt die Erkenntnis mangelnder Performance im Mittelstand häufig eher dem Bauchgefühl und der Erfahrung erfahrener Mitarbeiter.
Bei der Beurteilung der Frage, welchen industriellen Reifegrad und welches Potenzial ein Standort hat, tun sich viele mittelständischen Unternehmen mit Bordmitteln allein schwer. Bei der Bewertung ist ein 360-Grad-Blick gefragt. Er beginnt bei den Dimensionen des Produktionssystems (z. B. Mitarbeiter, technische Prozesse und Qualität/Standardisierung), deckt aber auch und insbesondere Aspekte wie Ausbaureserven des Standortes, den Zustand vorhandener Assets und die logistische Einbindung in die bestehende oder erwartete Bedarfsstruktur ab. Fachleute, die mit der Branche vertraut sind, sind mit den entsprechenden Kennzahlen vertraut und kennen Schwellen- und Vergleichswerte, die im Rahmen eines internen Benchmarkings relevant sind.
Für die Planung eines Verlagerungsprojekts ist vor allem eine Frage entscheidend: Wie stark ist der Handlungsdruck? Ist das Unternehmen ein Sanierungsfall, duldet die Kapazitätsanpassung keinen weiteren Aufschub. Sind die Kennzahlen dagegen noch zufriedenstellend, kann mit etwas mehr Zeit eine neue Produktions(standort)-Strategie entwickelt und umgesetzt werden. Unsere langjährige Erfahrung aus vielen Verlagerungsprojekten zeigt allerdings: Gerade in der Not, wenn die Zeit knapp und der Druck groß ist, führen entsprechende Projekte ohne fachkundige Unterstützung selten zum Ziel. Der worst case: Mitarbeiter sind bereits gekündigt, Kunden informiert, die Verlagerung kommt aber nicht wie geplant voran und beeinträchtigen die Lieferfähigkeit. Der damit verbundene Reputationsschaden ist dann nur eines der vielen Probleme.
Bei der Suche nach einer mittel- bis langfristig tragfähigen Lösung für einen neuen Produktionsfootprint sollten Unternehmen den Markt und die Kunden aus strategischer Perspektive im Blick haben. Wo liegt der spezielle Nutzen oder Mehrwert der Produkte? Verfügt das Unternehmen über Innovationen, für die auch ein höherer Preis durchsetzbar wäre, oder handelt es sich um einen mehr oder weniger austauschbaren Lieferanten, der seinen Marktanteil maßgeblich nur dank besonders wettbewerbsfähiger Preise halten kann? Im zweiten Fall ist dringendes Handeln geboten.
Routiniert, strukturiert, fokussiert: Externe Beratung erhöht die Erfolgswahrscheinlichkeit
Ein möglicher – und der im Moment wohl relevanteste – Lösungsansatz zur Kapazitätsanpassung ist die Produktionsverlagerung. Sie muss genau wie eine Teilbetriebsschließung oder andere Anpassungsoptionen als Business Case detailliert durchgerechnet werden. Auch hier kommt es häufig zu Fehlern – etwa, weil bei der Vergleichsrechnung zwischen abgebenden und aufnehmenden Werken unterschlagen wird, dass viele Kosten auch anfallen, wenn nicht verlagert wird, beispielsweise Investitionen in Produktionsstätten oder Maschinen.
Auch hier zeigt sich: Ohne umfassende Branchen- und praktische Verlagerungserfahrung haben Simulationen von Verlagerungsszenarien oft nicht ausreichend Substanz für grundlegende Weichenstellungen. Nicht nur, weil den vorhandenen Mitarbeitern die entsprechende Expertise fehlt. Das größte Problem ist vielmehr, dass Verlagerungen nicht Teil ihres Alltags sind – schlimmer noch: Die Verlagerung muss zusätzlich zum Tagesgeschäft gestemmt werden. Und schon dafür reichen die personellen Kapazitäten häufig kaum aus.
Es gibt also viele gute Gründe, sich bei der Planung und Umsetzung eines komplexen Verlagerungsprojektes fachkundig begleiten zu lassen. Im Gegensatz zu Mitarbeitern des Unternehmens kann der Berater seine gesamte Kapazität und Kompetenz der Verlagerung widmen. Dazu gehört auch eine durchdachte, strukturierte Vorgehensweise. Externe Experten sind frei von den Anforderungen des Tagesgeschäfts, sie kennen den Markt und das Wettbewerbsumfeld. Sie können den Status quo des Unternehmens auf der Grundlage belastbarer Daten unabhängig analysieren und Vorschläge machen, die sich in vielen anderen Fällen bewährt haben. Und sie sind aufgrund ihrer Erfahrung in der Lage, Besonderheiten und Fallstricke frühzeitig zu antizipieren und gekonnt zu umschiffen.
Ein weiterer Vorteil externer Unterstützung: Ein entsprechend qualifizierter Berater kann auch den Business Plan erstellen, auf dessen Grundlage Banken und andere Finanzierer die erforderlichen Mittel für eine anstehende Verlagerung bereitstellen – denn auch ohne die geht es im Mittelstand in der Regel nicht.
Nach der Anpassung ist vor der Anpassung
Auch wer – im besten Fall mit externer Hilfe – alles richtig macht, sollte bei Verlagerungsprojekten nicht auf schnelle Erfolge hoffen. Einsparungen sind kein Selbstläufer, sondern stets hart erarbeitet. Amortisationszeiten von zwei bis fünf Jahren sind für sauber konzipierte und professionell umgesetzte Projekte in der Praxis ein realistischer Zeitraum.
Aktuelle und aussagekräftige Daten sind die Grundlage, um ein Projekt erfolgreich planen und durchführen zu können. Auf die Dauer gilt es, den schwierigen Spagat zwischen einem hohen Maß an Flexibilität, etwa bei Prozessen und Personal, und der nötigen Resilienz, etwa in Bezug auf Lieferketten, zu meistern. Produktionsstandorte sollten nicht in ein zu enges Korsett gezwängt werden, sie müssen „atmen“ können. Das heißt aber auch: Kapazitätsanpassung ist kein einmaliges Projekt, sondern ein fortlaufender Prozess.
Fazit: Kapazitätsanpassung auf den Punkt gebracht
Auch wenn jede Situation individuell ist, lassen sich einige zentrale Lehren ableiten:
Was sind die wichtigsten Alarmsignale für Kapazitätsanpassungen?
- Dauerhafte Unterauslastung <70 % oder Überauslastung >90 %.
- Stückkosten >15 % über dem Branchendurchschnitt.
- Liefertermintreue <90 %. OEE-Werte <65 %.
Was sind die häufigsten Fehler in Verlagerungsprojekten?
- Start in Eigenregie ohne belastbare Business Case Kalkulation.
- Fehleinschätzung der Kosten und "hidden costs" (z. B. Fehleinschätzung Abfindungen, Doppelkosten in Übergangsphasen, Anlaufkurven).
- Zu optimistische Zeitpläne (häufig +20-30 % Verzögerung).
- Fehlendes Change Management / Kommunikation mit Mitarbeitern & Kunden.
Worin liegt der Mehrwert erfahrener Beratung?
- Zugriff auf Benchmark-Kennzahlen (z. B. branchenspezifische Lohnkosten, OEE-Benchmarks).
- Strukturierte Szenario-Simulationen → Reduktion von Fehlentscheidungen.
- Höhere Erfolgswahrscheinlichkeit bei Finanzierung & Umsetzung (80 % vs. 40 %).
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