Wenn irgendwie immer Krise ist, wie geht man damit um? Welche Fähigkeiten brauchen Führungskräfte, um die Krise abzuwenden und wie gelingt es, eine Organisation als perpetuum mobile auszurichten? Darüber sprachen wir mit Prof. Dr. Henning Werner, Professor für Transformation, Restrukturierung und Sanierung an der SRH Hochschule Heidelberg.
Herr Prof. Werner, andere Menschen scheuen die Krise, Sie haben sie zu Ihrem Lebensthema gemacht. Was fasziniert Sie daran so?
Im Lebenszyklus eines Unternehmens ist die Krise für mich die spannendste Phase. Alle Beteiligten stehen unter hohem Druck, gleichzeitig kann man unglaublich viel bewirken, weil sich die Dinge ja verändern müssen. Außerdem ist es wichtig, schnell die wesentlichen Hebel zu identifizieren. Alle Beteiligten in ein Boot zu holen, dazu braucht man außerdem einiges an psychologischem Geschick. Und nicht zuletzt muss in der Krise interdisziplinär zusammengearbeitet werden, also etwa in den Bereichen Betriebswirtschaft und Recht. Auch das ist für mich spannend.
Wie sind Sie zum Thema Restrukturierung gekommen?
Ich habe zum Thema Finanzierung promoviert und dann zunächst im Startup-Umfeld gearbeitet. Gründung und Krise liegen da bekanntermaßen eng beieinander. Später bin ich zu einem mittelständischen Automobilzulieferer gewechselt und dort in der operativen Restrukturierung tätig gewesen. Seit 2005 habe ich eine Professur an der betriebswirtschaftlichen Fakultät der SRH Hochschule in Heidelberg und beschäftige mich in diesem Umfeld mit den Themen Transformation, Restrukturierung und Sanierung.
Wie haben sich die Krisen in den vergangenen Jahren verändert und welche Auswirkungen hat das auf das Restrukturierungsgeschehen?
Das Thema Geschäftsmodell ist stärker in den Fokus gerückt. Als ich in Heidelberg anfing, war die Restrukturierung noch sehr finanzwirtschaftlich orientiert. Dann hat man sich stärker mit leistungswirtschaftlichen Themen beschäftigt, weil man gesehen hat, dass es nicht nachhaltig ist, rein finanzwirtschaftlich zu restrukturieren. Dadurch, dass wir jetzt in so vielen Branchen so fundamentale strukturelle Veränderungen sehen, ist es wichtig geworden, sich auch intensiv mit der strategischen Ausrichtung des Unternehmens und dem Geschäftsmodell zu befassen. Gleichzeitig müssen Megatrends wie Digitalisierung und Nachhaltigkeit bearbeitet und in die Unternehmensstrategie integriert werden. Das hat auch Konsequenzen für die Erstellung von Sanierungskonzepten: Im neuen IDW 6-Standard, der demnächst verabschiedet wird, steht, dass Unternehmen beispielsweise zu ESG-Kriterien und zum Thema Digitalisierung Stellung nehmen und diese in ihrem Leitbild reflektieren müssen, sofern das Geschäftsmodell dies erforderlich macht. Im Sanierungsrecht sind mit dem STARUG zusätzliche Instrumente geschaffen worden. Insgesamt wird Restrukturierung immer ganzheitlicher, aber auch immer komplexer.
Was heißt das für das Profil der Beteiligten, speziell auch von Beratungsseite?
Es wird auf jeden Fall nicht einfacher. Ich denke, wer seine Mandanten ganzheitlich beraten will, muss sich ständig weiterbilden. Gleichzeitig ist eine Sanierung ja ein arbeitsteiliger Prozess. Man muss also nicht nur große Expertise, sondern auch ein gutes Netzwerk haben, weil niemand kann alle Themen in der Tiefe allein beherrschen kann.
Welche Fähigkeiten braucht eine Führungskraft, um ein Unternehmen in einer so fordernden Zeit gut durch die raue See zu navigieren?
Wenn Sie sich die vergangenen Jahre anschauen, jagt eine Krise die andere. Dazu kommt, wie erwähnt, der strukturelle Wandel in vielen Märkten. Veränderung wird also immer intensiver, das zeigen auch zahlreiche empirische Studien. Veränderungskompetenz wird damit zu einer Schüsselkompetenz, die Führungskräfte brauchen, um ihre Organisation anpassungsfähig auszurichten. Außerdem brauchen Sie auf der Leitungsebene im Unternehmen Menschen, die dazu in der Lage sind, sich systematisch mit den Themen Strategie und Geschäftsmodell auseinanderzusetzen – einfach, weil es nicht mehr so sein wird, dass es die nächsten 30 Jahre so läuft wie die letzten 30. Ferner ist ein hohes Maß an Change-Management-Kompetenz gefragt, damit Sie eine Unternehmenskultur entwickeln, die die Mitarbeiter in diesem Veränderungsprozess mitnimmt. Dieser Aspekt ist auch vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels von großer Bedeutung. Wenn Sie Mitarbeiter finden und halten wollen, müssen Sie eine klare Vision vermitteln und Orientierung geben. Das alles gilt übrigens nicht nur für die Führungskräfte in den Unternehmen, sondern auch für die Berater.
Wo bekommt man diese Kompetenzen?
Bei den Schlüsselkompetenzen sind wir am IfUS-Institut mit verschiedenen Ausbildungsformaten unterwegs. Im vergangenen Jahr haben wir dafür zusätzlich zu Klassikern wie unserem Lehrgang „Restrukturierungs- und Sanierungsberater“ den Zertifikatslehrgang „Transformations- von Turnaround Manager“ entwickelt und schon in drei Durchgängen mit Praktikern absolviert. Da geht es genau darum: Wie setze ich systematisch ein Transformationsprojekt auf? Inhaltliche Schwerpunkte des Lehrgangs sind strategische Neuausrichtung, Anpassung des Geschäftsmodells, kultureller Wandel und die Ausrichtung der Aufbau- und Ablauforganisation auf eine höhere Anpassungsfähigkeit. In diesen Bereichen vermitteln wir praxiserprobte Instrumente, die die Teilnehmenden in Ihren Unternehmen einsetzen können. Vor allem aber profitieren wir alle stark von der Interaktion untereinander. Im letzten Lehrgang hatten wir Geschäftsführer und Führungskräfte, die zusammengerechnet über 300 Jahre Top-Management-Erfahrung hatten. Sich in diesem Kreis auszutauschen, das hat schon für sich einen großen Mehrwert.
Wie sehen Sie die weitere Entwicklung im Restrukturierungsmarkt?
Ich gehe davon aus, dass wir in den nächsten Jahren ein deutlich höheres Niveau an Aktivitäten in der Restrukturierung und Sanierung sehen werden. In der Corona-Zeit haben wir alle den Restrukturierungs-Tsunami erwartet, der vor allem deshalb nicht kam, weil der Markt mit Liquidität geflutet wurde. Jetzt müssen die KfW-Darlehen langsam zurückgezahlt werden, die tilgungsfreien Zeiträume laufen aus. Ich will nicht die nächste Insolvenzwelle ankündigen, aber ich denke, dass Anbieter mit belegter Expertise in der Restrukturierung in den nächsten Jahren gut ausgelastet sein werden. Das sage ich auch immer meinen Studenten, wenn es um die Wahl ihres Studienschwerpunkts geht.