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Wie lassen sich einige unserer 8 Handlungsempfehlungen zur Existenzsicherung konkret in produzierenden Unternehmen umsetzen? Darüber spricht Dr. Stefan Frings, Partner bei enomyc, in unserer aktuellen Podcast-Folge:
Wie können Unternehmen jetzt existenzsichernde Liquidität schaffen? Welche neuen Marktchancen können sich sogar aus unterbrochenen Lieferketten ergeben? Warum gehört Kommunikation in der Corona-Krise zu den „Rapid Actions“ und wie funktioniert eine Task Force jetzt bestenfalls?
Herr Dr. Frings, Sie haben langjährige Erfahrung in den Bereichen Restrukturierung und Wertsteigerung, in der Steuerung von unternehmensweiten Programmen zur strategischen Neuausrichtung und Effizienzverbesserung. Wie hat sich Ihr Beratungsschwerpunkt durch die Corona-Krise verschoben?
Der Schwerpunkt in der Beratungsprojekten hat sich deutlich verschoben. Die momentan wichtigsten Aufgaben in den Projekten bestehen zum einen darin, die Kunden bei der Aufrechterhaltung der Betriebsbereitschaft zu unterstützen und vor allen Dingen auch bei der Sicherstellung der Liquidität.
Was man aber auch in diesen Krisenzeiten nicht vergessen darf – das mag vielleicht für viele noch zu früh sein – aber: Auch in der Krise sollte man nicht die Zeit nach der Krise aus den Augen lassen. Denn das Adjustieren langfristiger Strategien, aber auch das Fortsetzen der Restrukturierungsprozesse ist ganz wichtig, um gewappnet zu sein, wenn die Krise dann hoffentlich in einigen Wochen auch wieder vorbei ist.
Sie sprechen damit schon den Faktor Zeit an. Was spielt er denn für eine Rolle in der gegenwärtigen Situation?
Der Faktor Zeit spielt momentan eine besonders große Rolle. Zum einen ist es die Geschwindigkeit, mit der die Unternehmen von der Krise getroffen wurden – und das ist ja wirklich neu in dem Ausmaß und bis dato in unseren Breiten nicht bekannt. Zum anderen ist es auch die Notwendigkeit, sich immer wieder schnell auf die veränderten Gegebenheiten einstellen zu können. Es passiert ja etwas völlig Neues, auf das man sich wieder neu einstellen muss und was man priorisieren muss.
Es geht ja auch immer wieder um die Vorbereitung darauf, wieder schnell und entsprechend hochfahren zu können, wenn das Schlimmste überwunden ist. Denn eines ist doch immer klar: Der Schnellste wird hier am Ende wieder Vorteile realisieren können. Viele Produkte – das zeigt unsere Beratungspraxis auch immer wieder – sind heute austauschbar. Und wenn dann der angestammte Lieferant nicht liefern kann, dann geht man zum Wettbewerb. Das sollte man sich auch immer wieder vor Augen führen.
Gibt es denn die eine Maßnahme, die Unternehmer jetzt unbedingt angehen sollten?
Nein. Und das ist ja auch das Komplizierte und Komplexe, was es momentan zu realisieren gilt. Es gibt mehrere zentrale Herausforderungen und, wie ich finde, einen Dreiklang aus wichtigen Komponenten: Das eine ist, alles dafür zu tun, damit der Betrieb aufrechterhalten werden kann. Das zweite – und alles Entscheidende – ist die Sicherung der Liquidität. Auch in guten Zeiten sagen wir immer "Cash ist King". Das trifft in der Krise besonders zu. Die dritte Komponente betrifft die Kommunikation mit den Stakeholdern. Damit meine ich die Kommunikation mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, mit den Finanzierern, den Kunden, aber auch mit den Lieferanten und – was jetzt insbesondere hinzukommt – auch die Kommunikation mit den Behörden.
Wir haben in unserem Maßnahmenplan gleich im allerersten Schritt die "Task Force" stehen. Wie sieht denn so eine Task Force aus? Sie beraten ja mehrere Unternehmen. Wurden dort Task Forces einberufen? Wer ist in diesen und worüber wird da gesprochen?
Hier kann ich direkt aus der Praxis berichten: Die Geschwindigkeit, mit der diese Krise die Unternehmen erreicht hat, erfordert auch in der Organisation sehr schnelles Handeln. Im Prinzip braucht es hier einen Krisenstab, eine "Task Force" im Unternehmen. Wir haben in den Unternehmen Task Forces gebildet, die täglich zum Jour fixe zusammenkommen. Manchmal sogar mehrfach am Tag – auch am Wochenende, wenn es Not tut. Wer physisch nicht dabei sein kann, der wählt sich über eine Telko-Hotline ein.
In einer Task Force sind alle wesentlichen Bereiche und Entscheidungsträger integriert, um einfach und schnell handeln zu können. Das ist das Entscheidende: dass die besprochenen und dann auch getroffenen Maßnahmen und Entscheidungen unverzüglich kommuniziert und umgesetzt werden. In einer solchen Task Force ist natürlich die Geschäftsführung, außerdem der Vertrieb, der Einkauf, die Vertreter der Supply Chain, das Controlling – vor allen Dingen aber auch die Bereich HR und IT. Die IT ist eine wirkliche Schlüsselkompetenz – in der aktuellen Sondersituation umso mehr. Es kann auch sinnvoll sein, den Betriebsrat in die Task Force einzubinden.
Je nach Entscheidungslage kann man auch Behördenvertreter einladen. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass auch eine Betriebsärztin dabei war, die noch entsprechende Hinweise gegeben hat oder von der Gesamtlage berichtet hat. Das verbessert die Qualität der daraufhin gefällten Entscheidungen.
Wichtig ist, dass eine Kommunikationsinfrastruktur geschaffen wird. Das kann man mit einfachen Mitteln erreichen: technisch zum Beispiel über eine Telefonspinne. Die meisten Unternehmen haben eine im Konferenzraum. Für eine Telko kann man allen Teilnehmern Einwahlnummern zukommen lassen. Im Kern kristallisiert sich da schnell eine Standard-Agenda heraus, sodass man schnell und effizient zum Punkt kommt. Jeder Bereich berichtet über die relevanten Themen und dann wird gemeinsam entschieden, was zu tun ist.
Wir listen “Kommunikation” in unseren Handlungsempfehlungen aus gutem Grund auch direkt unter den "Rapid Actions". Wie verhält es sich bei der internen Kommunikation: Wie kommunizieren denn jetzt gerade die Geschäftsführer und andere Stakeholder mit der Belegschaft, die sich auch vor einer völlig neuen Situation sieht?
Genau wie in der Politik ist es im Prinzip auch im Unternehmen: Vor allem in Krisenzeiten ist Führung essenziell. Die Mitarbeiter haben Unsicherheiten, Ängste, aber in Teilen auch Überlastung, weil viele einfach sehr viel zu tun haben. Dem begegnet man mit guter und zielgerichteter Kommunikation. Was natürlich an der Corona-Situation neu ist und noch erschwerend hinzukommt, ist, dass die unmittelbare Kommunikation aufgrund des Infektionsrisikos nur eingeschränkt möglich ist. Man kann jetzt nicht mehr einfach die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zusammenrufen und die Botschaften senden, die man gerne senden möchte. Eine direkte Kommunikation ist nur in kleineren Gruppen möglich. Die Geschäftsführung kommuniziert deswegen über E-Mails oder auch Aushänge.
Hier ist es immens wichtig, dass man für die Botschaften auch die entsprechenden Vermittler einsetzt – ich denke hier an die jeweilige Abteilungsleitung. Diese muss sich sich an gewisse Kommunikations-Guidelines halten. So stellen Unternehmen sicher, dass auch der Mindeststandard für die interne Kommunikation eingehalten wird und die Botschaften, die man transportieren will, auch entsprechend rüber gebracht werden.
Existierten denn in den Unternehmen, die Sie beraten, bereits solche Kommunikations-Guidelines oder war das völlig neu?
Das war neu. Um hier eine Richtlinie zu etablieren, lohnt es, sich die Kommunikationsrichtlinien großer Unternehmen zu Rate zu ziehen. Sie sind da sehr professionell aufgestellt und ihre kommunikativen Guidelines lassen sich auch gut in den Mittelstand überführen.
Zu den "Rapid Actions" gehört – außer der Kommunikation – auch, das Infektionsrisiko im Unternehmen so gering wie möglich zu halten. Wie kann man das erreichen und zugleich die Produktion am Laufen halten? Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?
Eine solche Situation, wie wir sie im Moment haben, ist ja im Prinzip für alle neu. Hier gibt es keine Blaupause. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das ein Unternehmen jemals schon so mitgemacht hat. Aber auch hier greifen bewährte Methoden: Wenn der Ingenieur Prozesse definiert, macht er in der Regel eine FMEA – eine Fehlermöglichkeits- und Einflussanalyse. Das heißt, man überprüft praktisch im Vorhinein, was alles schiefgehen kann, wenn man einen Prozess oder ein Produkt designt. Genau von diesen Logiken kann man sich jetzt auch leiten lassen. Das heißt man stellt konkret die Frage danach, wie Anlässe für Infektionen minimiert werden können. Da kommen direkt eine ganze Menge guter Ideen!
Zum Beispiel: Wenn man Schichtwechsel macht, möchte man ja erreichen, dass man überlappende Schichten hat, sodass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entsprechend kommunizieren und eine Übergabe machen. Diese Übergaben macht man jetzt nicht mehr. Man möchte ja verhindern, dass die Mitarbeiter untereinander in Kontakt kommen.
Nehmen wir das Erfassen von Arbeitszeiten: Beim Schichtwechsel bilden sich immer Menschentrauben vor den Geräten. Hier lautet die klare Ansage: Die Arbeitszeiterfassung erfolgt alleine und mit Mindestabstand. Viele Unternehmen bieten Umkleidekabinen und Duschräume – diese dürfen nicht mehr genutzt werden. Die Kantinen sind ebenfalls geschlossen. Es gibt Aufenthaltsräume, in denen man entsprechend weit genug voneinander mitgebrachtes Essen verzehren darf. Ein weiteres Beispiel ist der Infektionsherd "Aufzüge". Die Nutzung dieser ist untersagt. Wir fordern auch die Belegschaft auf, die Geländer in Treppenaufgänge nicht mehr zu benutzen.
In größeren Unternehmen werden ganze Gebäudeteile strikt getrennt. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus unterschiedlichen Gebäudeteilen können sich nicht mehr gegenseitig besuchen, sondern telefonieren stattdessen miteinander. Überall werden Desinfektionsmittel bereitgestellt: Wer das Gebäude betritt, desinfiziert zuerst seine Hände. In größeren Unternehmen gibt es strikte Zufahrtskontrollen, klare Beschilderung und Verbote: Leidet man unter Symptomen, darf man unter keinen Umständen das Gelände betreten.
Was wir auch machen ist, Experten beratend hinzuzuziehen – beispielsweise Betriebsärztinnen und -ärzte, die die Maßnahmen aus medizinischer Sicht auf das Infektionsrisiko hin prüfen.
Nun haben ja viele Unternehmen reagiert und einen großen Teil der Belegschaft ins Homeoffice geschickt. Wie waren denn die Unternehmen, die Sie beraten, auf diese Situation vorbereitet?
Homeoffice ist ja – gerade im Mittelstand – ein nicht allzu gern gesehenes Instrument. Vor diesem Hintergrund hängen auch die Unternehmen teilweise weit hinterher. Die Infrastruktur ist noch nicht eingerichtet, zu wenig Mitarbeiter haben Laptops. Laptops sind zwischenzeitlich richtig knapp geworden. Wir mussten sie schnell anschaffen, sie in hoher Geschwindigkeit aufrüsten und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter damit ausstatten. Stichwort Infektionsrisiko: Auch bei der Ausgabe der Rechner mussten wir auf minimalen Kontakt achten. Zudem wurden Desktop-PCs für Homeoffice-Anwendungen entsprechend aufgerüstet und es kamen natürlich weitere Instrumente dazu: für Videotechnik beispielsweise Zoom oder Microsoft Teams, damit man auch remote zusammenarbeiten kann.
Das alles, in der Summe mit Telefonkonferenzen und dem fokussierten Arbeiten im Homeoffice, ist für viele Unternehmen neu und muss von Grund auf gelernt werden. Auch die IT darf entsprechend nicht überlastet werden. Sie können sich vorstellen: Wenn alle, die im Homeoffice arbeiten, auf einmal aufs SAP zugreifen, bricht es sofort zusammen. Um für Stabilität zu sorgen, haben wir Schichtpläne gemacht, sodass einzelne Abteilungen abwechselnd im SAP arbeiten.
Sicher ist es nicht einfach, plötzlich im Homeoffice zu arbeiten, wenn man es nicht gewohnt ist. Man kann leicht – wie Sie auch sagten – den Fokus verlieren. Gibt es hierzu ein paar unternehmensseitige Guidelines – auch zum Umgang mit neuer Software wie beispielsweise Zoom?
Ja, darauf haben wir auch reagiert, indem wir entsprechende Hotlines eingerichtet haben, an die sich die Belegschaft wenden kann, wenn Fragen auftreten.
Eine weitere Handlungsempfehlung aus unserem Leitfaden lautet "Transparenz sichern". Was bedeutet das genau? Was wurde in den Unternehmen, die Sie beraten, unternommen, um die Transparenz zu erhöhen?
Auch hier gibt es im Prinzip keine Blaupause. Man muss in jedem Einzelfall eine Situation analysieren und Krisenszenarien entwickeln. Die Volatilität der aktuellen Situation ändert die Rahmenbedingungen fast stündlich. Das Denken in Szenarien macht es hier einfach leichter: Auf diese Weise kann man einen Sachverhalt in seiner Komplexität beherrschbar machen und die Bandbreiten sehen. Damit fühlt man sich auch wohler, als wenn man sich auf nur ein einzelnes Ergebnis festlegen muss.
Was wäre denn so ein Worst Case-Szenario?
Umsatzeinbrüche und Produktionsrückgänge beispielsweise. Deswegen sollte man sich in erster Linie fragen: Welche Umsätze trauen wir uns in den nächsten Wochen und Monaten zu? Was bedeutet das für die Produktion? Vielleicht muss man Annahmen machen, bei denen der Umsatz im nächsten Monat um 70 oder 80 Prozent einbricht. Am wichtigsten ist, dass man ein Finanzmodell hat, anhand dessen man diese unterschiedlichen Szenarien durchrechnen kann. Nur, wenn Sie so ein Modell haben, gelingt es auch in vertretbarer Zeit, Krisenszenarien zu entwickeln. Dabei sollte ein Worst Case-Szenario natürlich auch eine gewisse Realität widerspiegeln. Es macht keinen Sinn, ein Szenario zu entwickeln, bei dem man alles auf Null setzt und alles still steht.
Sollte man auch einen abgemilderten Fall durchspielen?
Ja, es sollte ein Szenario sein, das von einer abgemilderte Krise ausgeht, bei dem man weder zu optimistisch noch zu pessimistisch vorgehen sollte. Eine Leitfrage ist: Wie wird das Unternehmen getroffen, wenn die Krise milder ausfällt? Über das permanente Hinterfragen von Annahmen kommt man relativ schnell zu einem Ergebnis. Hat man ein Finanzmodell erstellt, führt dies praktisch in die GuV-Rechnung, dann in die Cash-Flow Planung, die schließlich in die Liquiditätsplanung überführt werden kann.
Stichwort "Liquidität". Was kann man denn aktiv tun, um die Liquidität im Unternehmen zu sichern? Und wie kann man in der aktuellen Situation auch neue Liquidität schöpfen?
Zum einen ist es das, was jetzt in der Presse diskutiert wird und was eigentlich fast die meisten Unternehmen auch machen: das Thema Kurzarbeit. Dann ermöglichen die Finanzämter Steuerstundungen, sodass man die Liquiditätsbelastung sehr kurzfristig reduzieren kann. Außerdem kann man mit Lieferanten über die Verlängerung von Zahlungszielen sprechen. Schließlich kommt man an den Punkt, an dem man sich neue Finanzierungsformen erschließen muss. Das Stichworte hier lautet: Vorbereitung der Anträge für KfW, Darlehen oder Landesbürgschaften.
In unserem Leitfaden zur Existenzsicherung geht es unter Punkt 4 um die "Absicherung des Geschäfts". Auch das ist sicher ein Mehrklang aus mehreren Komponenten. Welche gehören dazu, um das Geschäft abzusichern?
Man sollte zum einen das Risiko vermeiden, dass Schlüsselpersonen ausfallen. Diese sollten aktuell besser nicht überlappend arbeiten. Besser ist, eine Gruppe arbeitet im Homeoffice, die andere im Unternehmen, sodass sie möglichst gar keinen persönlichen Kontakt haben. So kann man in jedem Fall mit einem “doppelten Boden” arbeiten. Dann gehört dazu, die Lieferketten abzusichern: Es nützt natürlich nichts, wenn der Lieferant noch in Italien produzieren kann, es aber es keine Transportmöglichkeiten mehr gibt. Zuletzt geht es operativ darum, mit den Kunden in Kontakt zu bleiben. Hier ist gute Kommunikation der Schlüssel:
Braucht der Kunde Ware? Will er noch die bestellte Ware? Wann braucht er sie? Besteht noch die Möglichkeit, Grenzen zu überqueren? Die Transportkapazitäten müssen entsprechend gesichert werden. Auf der Absatzseite sind natürlich die Handlungsoptionen begrenzt. Trotzdem sollte man immer mit seinen Kunden in Kontakt bleiben. Können sie die Ware noch annehmen? Darf noch versendet werden?
Ich habe Folgendes gelernt: In schwierigen Situationen – sei es auf der Lieferantenseite, sei es auf der Kundenseite – gilt dieser alte Grundsatz: "Industrie hilft Industrie". Darauf kann man, glaube ich, auch in der Krise zählen. Und das sollte man auch aktiv einfordern.
Jetzt gibt es ja mit Sicherheit Stornierungen, es gibt Verspätungen und so weiter. Ergeben sich daraus – wenn man ganz optimistisch denkt – nicht auch neue Marktchancen?
Betrachten wir die Lieferketten aus dem Ausland, so sind diese natürlich extrem anfällig. Aber auch hier gibt es kreative Lösungen. Selbst, wenn es keine Transportkapazitäten mehr gibt: Wenn man wirklich dringliche und kritische Ware benötigt, um die Produktion am Laufen zu halten, dann kann man sie auch mal mit einem eigenen Lkw abholen. Das geht natürlich nicht von überall her. Aber manchmal funktioniert das eben auch. Und klar – das sieht ein Berater zwar nicht so gern, aber: Jemand, der sein Kirchturm-Sourcing hat, ist da natürlich im Vorteil.
Was man auch machen kann, ist, dass man mit dem Lieferanten längere Zahlungsziele vereinbart und sie im Gegenzug dazu weiterhin Sicherheitsbestände liefern. Das hat für beide den Vorteil, dass die Produktion aufrecht erhalten bleibt und die Lieferketten weiterlaufen.
Ich erlebe aber auch, wie die Krise zu einer kleinen Sonderkonjunktur führen kann – beispielsweise wenn Unternehmen Wettbewerber in Italien oder in Spanien haben oder auch in China: Diese Lieferketten sind ja mehr oder weniger tot. Auf den Baustellen wird beispielsweise aber noch gearbeitet und die Ware benötigt. Da erinnert man sich dann an den kleinen lokalen Mittelständler, der nach wie vor liefern kann. Darin liegt eine hohe Chance: Unternehmen gewinnen auf einmal Kunden zurück, die sie natürlich auch nach der Krise binden können. Überlegen Sie, was es normalerweise für ein vertrieblicher Aufwand ist, die – in guten Zeiten – verlorenen Kunden zurückzuholen.
Kommen wir zu den Finanzierern. Gerade jetzt spielen Sie ja eine besondere Rolle für Unternehmen. Wie sieht das genau aus? Wie gestaltet sich dort die Zusammenarbeit oder die Kommunikation?
Für Unternehmen, die jetzt relativ schnell Kapital brauchen, sind die Finanzierer mit der wichtigste Stakeholder. Da bei Bankenhäusern, den Warenkreditversicherern und Factoring-Instituten aktuell Ausnahmezustand herrscht, ist eine zielgerichtete, proaktive, effiziente Kommunikation mit professionellen, nachvollziehbaren – idealerweise selbsterklärenden Unterlagen – erforderlich. Nun zeigt sich auch, wer in der Vergangenheit an einem guten und vertrauensvollen Verhältnis gearbeitet hat.
In der Kommunikation mit den Finanzierern und gerade auch bei der Erstellung von Unterlagen, die für eine neue Finanzierung wichtig sind, können externe Berater unterstützen. Die benötigten Unterlagen können in kürzester Zeit erstellt und aufbereitet werden. In der Regel erwarten Finanzierer hier auch eine relativ schnelle Evaluierung durch neutrale Dritte.
Viele Unternehmen planen natürlich ihr Jahr, machen ihre Finanzplanung, Geschäftsplanung und mehr. Nun haben wir diese veränderte Situation. Was bedeutet die aktuelle Situation für den Unternehmensplan und wie schaffen es Unternehmen mit der Volatilität der Lage umzugehen?
Grundsätzlich sagen wir: Ein gutes Controlling ist auch durch ein hohes Maß an Plantreue gekennzeichnet. Auch wenn es extrem schwierig ist: Man muss im Moment in den Szenarien denken und so schnell wie möglich wieder in eine neue Planungslogik zurückfinden. Irgendwann ist es ja erkennbar, in welche Richtung es geht. Da sind Wahrheit und Klarheit das Thema. Hier muss sich jetzt jeder fragen, ob er seine Hausaufgaben gemacht hat. Hat man entsprechend Transparenz auf der Zahlenseite geschaffen, ist man auch in der Lage, eine neue Planung zu erstellen, die die Situation abbilden kann.
Hier geht es vor allem darum, alle Informationen, die man im Unternehmen oder auch im Umfeld des Unternehmens hat, entsprechend zu nutzen. Also, die Kommunikation mit allen Stakeholdern aufrecht zu erhalten oder zu verbessern. Alles, was man über die Supply Chain und über den Markt an Informationen hat, muss man in diese Planung einfließen lassen kann – am besten in einem iterativen Prozess, im Prinzip wie in jeder Jahresplanung, die ab dem Herbst in den Unternehmen passiert. Die Ergebnisse daraus überführt man dann auf die Zahlenseite.
Welche Rolle spielt auch Flexibilität? Sie sagten, die Situation ändere sich manchmal stundenweise.
Flexibilität spielt eine ganz wichtige Rolle. Man muss seine ganzen Instrumente auch so anpassen, dass man auch schnell neue Entwicklungen abbilden kann. Das ist essentiell.
Nun lässt sich die aktuelle Krise nicht unbedingt mit der Finanzkrise 2008/2009 vergleichen. Haben wir dennoch Erfahrungswerte aus der Zeit, die wir nun anwenden können?
Ich glaube, in der Finanzkrise hat man seinerzeit gelernt, schnell und auch beherzt runterzufahren. Das ging ja wirklich zügig. In der jetzigen Krise hat genau das in den meisten Fällen wirklich hervorragend und schnell funktioniert. Die Politik war schnell in der Lage, die entsprechenden Instrumente bereitzustellen, beispielsweise durch schnelle Lösungen wie Kurzarbeit. Die Geschwindigkeit ist also eine wesentliche Kompetenz.
Das zweite Learning aus der Finanzkrise ist – auch wenn man das jetzt noch nicht hören will – das Hochfahren nach der Krise. Das war in den Jahren teilweise extrem holprig. Viele Unternehmen haben aber im Nachgang an ihrem S&OP-Prozess gearbeitet – an der Verzahnung von Vertriebs- und Operationsplanung. Gute Unternehmen können flexibel auf Marktveränderungen reagieren, indem sie in der Lage sind, ihre Lieferketten schnell zu drosseln und sie auch entsprechend wieder hochzufahren.
Was sind dafür die Voraussetzungen?
Schnelle, reibungslose Kommunikation genauso wie ein Planungsprozess, der auch von einer entsprechenden IT-Infrastruktur abgebildet wird. Und natürlich Planungsdisziplin – da spannt sich wieder der Bogen zur eben angesprochenen Budget-Treue. Das sind Punkte, die man schon jetzt im Auge behalten sollte.
Wie steht es um die guten Beziehungen?
Die helfen immer. Und das ist auch das Stichwort, was man an dieser Stelle aufgreifen sollte: Auch in der Krise sollte man ein gewisses Maß an Business-Ethik walten lassen. Das heißt, einen Lieferanten, den ich jetzt nicht bezahle, der wird auch beim Hochfahren nicht am Start sein. Der wird sein Material zukünftig an den Wettbewerb liefern. Hier fällt mir das Zitat von Helmut Schmidt ein: "Charakter zeigt sich in der Krise". Das ist heute immer noch gültig.
Vielen Dank für das Gespräch, Dr. Frings.
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