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3 KI-Mythen aus dem Mittelstand
14:38

Skepsis und Vorbehalte, Faszination und Vorfreude: Egal, wie Sie zu KI stehen – Sie sind sicher nicht allein. Kein Wunder, findet Mario Trapp. Schließlich ist KI eine richtungsweisende Technologie. Sie stößt spürbare Veränderungen an. Und sie provoziert. Auch Mythen: „Wir sind hier im Mittelstand. KI ist zu weit weg von dem, was wir im Kern tun", lautet eine Annahme. Eine falsche, sagt Trapp. Als Partner im Bereich Restructuring & Transformation und Head of Digital Strategy beobachtet er die technologischen Entwicklungen von KI schon eine ganze Weile. Seine Welt? Big Data und Datenanalyse. Seine Branchen? Viele – vorrangig inhabergeführte Unternehmen. Wie wendet er selbst KI im Business an? Sollten Unternehmen schon Chief AI Officers einstellen? Und welche Entwicklungen von KI machen selbst ihn unruhig? Lernen Sie unseren neuen Partner kennen. Und besser prompten.

 

Erinnern Sie sich noch an Ihren ersten Prompt, Herr Trapp?

Ja. „Wie nutze ich sinnvoll acht Stunden in Singapur?” Ich hatte dort Layover. Statt einen Travel Blog zu lesen, fragte ich ChatGPT. Erstaunlicherweise lieferte es schon in der ersten Runde wirklich gute Tipps. Also feilte ich weiter: „Ich interessiere mich für Kulinarik und lebendige Stadtviertel. Ich möchte möglichst einige Sehenswürdigkeiten besuchen. Das alles bitte zeit- und routenoptimiert und mit öffentlichen Verkehrsmitteln.”

E voilà?

Es hat wunderbar funktioniert. Selbst konkrete Timeslots fürs Immigrieren wurden mir empfohlen. Sicherheitshalber validierte ich die Ergebnisse: Es war alles plausibel. Seither mache ich keine Reiseplanung ohne KI. Ein spannender Use-Case.

In der Tat. Dazu muss man aber auch gut prompten können. Was sind denn wesentliche Merkmale eines guten Prompts?

Ein guter Prompt ist klar, präzise und kontextuell. Er enthält eine spezifische Handlungsaufforderung ohne Umschweife, ohne Schachtelsätze. Die Aufgabenstellung ist klar formuliert, beispielsweise: „Ich habe Problem X im Bereich Y. Es existiert seit Zeitraum Z und zeichnet sich durch folgende Symptome aus. Bitte erläutern Sie mögliche Lösungsansätze für Problem X unter Berücksichtigung von Faktor Y.“ Das leitet den Empfänger dazu an, gezielt und effektiv zu antworten. Man kann auch eine Hypothese mitgeben. Ein guter Prompt trägt zur besseren Einordnung bei und liefert zuletzt auch die genaueren Antworten.

War’s das schon?

Noch lange nicht. Es gibt sehr viele unterschiedliche Strategien. Manchmal ist es hilfreich, Prompts auch so zu gestalten, dass die generierten Antworten nachvollziehbare Lösungswege skizzieren. Das nennt sich „Chain of Thought Prompting". Ziel ist, zu verstehen, warum die KI ausgerechnet diesen Lösungsweg oder jenes Ergebnis ausgibt. Hochinteressant im Kontext von Formeln und Codes. Generell ist das Feld „Prompt Engineering” eine ganze Wissenschaft. Und sie nimmt aktuell an Fahrt auf.

Wenn das alles so gut funktioniert: Wenden Sie KI auch in Ihrer beruflichen Praxis an?

Ja. Wenn auch die Herausforderung im Business darin besteht, dass wir in Hinblick auf Datenschutz sehr vorsichtig sein müssen, welchem KI-Modell wir welche Daten zur Verfügung stellen. Dennoch: Es gibt eine Menge Cases, bei denen KI eingesetzt werden kann. Und ich meine dabei weniger Texte – das hat jede:r von uns schon probiert und festgestellt: Die Ergebnisse fallen zwar gut, gleichzeitig aber auch recht generisch aus. Was ich viel spannender finde – aus der Sicht eines Beraters und Datenanalysten – ist: Bestimmte Problemstellungen, beispielsweise die Erstellung komplizierter Formeln oder Codes zur Analyse eines Datensatzes, kann man problemlos über KI lösen lassen. Statt also in die Untiefen des Webs abzutauchen, mir die Inhalte aus Dokumentationen, Repositories und Foren zu suchen – was sehr lange dauern kann – schildere ich der KI das Problem, frage nach einer Lösung, nach einer Formel, einem Code-Schnipsel und stelle fest: Ich erhalte verblüffend gute Antworten. Das ist Punkt 1.

Punkt 2?

Punkt 2 ist genau andersherum und genauso spannend: Ich schaue mir den Code-Schnipsel oder eine Formel an, verstehe aber vielleicht den Gedanken des Urhebers nicht oder nicht vollständig. Hier lautet mein Prompt: „Erkläre mir den Aufbau und die Logik dieses Codes oder dieser Formel: Wie funktioniert das Konstrukt im Detail? Warum ist dies ein guter Weg? Gibt es einen besseren? Und ich erhalte im „Reverse Engineering” – so lautet der umgekehrte Prozess – eine Erklärung der KI, die mich zu finden sonst viel Zeit gekostet hätte. Plus: Teilweise liefert die KI eine Meldung zu Performance-Themen. Darauf aufbauend kann ich dann die Formel oder den Code optimieren.

Klingt faszinierend. Sie haben BWL und Wirtschaftsinformatik mit Schwerpunkt Big Data und Datenanalyse studiert. Ihr Steckenpferd ist fortgeschrittene Datenanalyse.

Richtig. Daten spielen eine wichtige Rolle in meinem Werdegang. Da wo Excel aufhört, wird es für mich interessant.

Was finden Sie so spannend daran? Warum setzen Sie Ihren Fokus ausgerechnet auf Daten?

Für mich ist die Frage nach dem Warum schon immer sehr essentiell gewesen. Die Dinge in ihrer Tiefe zu durchdringen und ein Verständnis für ihre Zusammenhänge zu entwickeln. Das hat sicher dazu beigetragen, diesen Berufsweg zu wählen. In der Beratung geht es letzten Endes immer darum, problemlösend und präventiv zu arbeiten. Dazu braucht es aber als erstes eine Sachverhaltsaufklärung. Hier helfen alle relevanten Informationen, die häufig auch qualitativer Natur sein können. Sie ermöglichen aber nicht immer eine tiefgreifende Analyse des Problems.

Daten aber schon?

Meistens. Denn Daten entstehen überall dort, wo Systeme Bewegungen und Status erfassen. Das ist mittlerweile fast überall der Fall. Daten lassen auf einer sehr granularen Ebene nachvollziehen, was eigentlich passiert ist und wohin das geführt hat. Aus Daten lassen sich Muster erkennen. Plus, das finde ich auch sehr faszinierend: Auf Datenebene begegnen sich alle Expert:innen – egal mit welchen Schwerpunkten und Erfahrungen, egal aus welcher Branche – rein faktuell.

Wenn die Beratung Ihr erstes Zuhause ist: Welches wäre das zweite? 

Ich denke, die Medizin. Ich wäre Arzt geworden.

Welche konkreten Fragen leiten Sie noch bei Ihrer Arbeit – außer das Warum?

Wie fließen Werte durch ein Unternehmen? Wo und wodurch wird Wert erzeugt – wo aber auch vernichtet? Worauf kann ich positiven Einfluss nehmen? Und was ist am Ende das bestmögliche Ergebnis?

Sie sind jetzt zehn Jahre bei enomyc, Partner im Bereich Restructuring & Transformation und Head of Digital Strategy. Seit wann haben Sie KI auf dem Schirm? Und war Ihnen direkt klar, dass sie auch im Consulting eine wichtige Rolle spielen wird?

Ich verfolge die Entwicklungen schon seit Langem mit, teils über Trendmonitore, beispielsweise den Gartner Hype Cycle. Es war schon länger zu erkennen, dass diverse KI-Technologien in der Pipeline lagen. Und ja, ich sah das Beratungspotenzial dahingehend auch. Dennoch stellte ich mir lange Zeit die Frage: Was ist der konkrete Use-Case für diese oder jene KI? Und wo kann man diese Formen genau verwenden? Teils lag das noch sehr weit weg. Bis in den letzten zwei bis drei Jahren – das haben, denke ich, alle mitbekommen – der große Umschwung kam: KI ist jetzt da. Es wird nicht mehr ohne sie gehen. Und sie bringt, über Business Consulting hinaus, sehr konkrete Benefits.

Was ist der meistgestellte Prompt rund um KI von Unternehmen an Sie?

Die Analogie finde ich sehr gut, denn Aufträge sind Prompts. Ein klassischer Prompt ist: „Wie weit sollten wir KI in Prozesse unseres Geschäftsmodells hineinlassen?" oder „Welche Entscheidungskompetenz sollten wir in KI ansiedeln?".

Raten Sie einigen Unternehmen schon zur Schaffung von Stellen wie „Chief AI Officer"?

Bedingt. Ich finde es nicht zwingend notwendig, KI-Jobs direkt auf C-Level zu installieren. Viel wichtiger finde ich, dass die Kompetenzen generell Einzug in Unternehmen finden. Und dass Unternehmen das Themenfeld KI besetzen – auch in Querschnittsfunktionen. Die Technologien müssen zunächst durchdrungen, dann sinnvoll im Geschäftsmodell und in den Prozessen etabliert werden, aber eben auch in der Organisation und in der Firmenkultur.

Künstliche Intelligenz darf also nicht nur aus technischer Sicht gedacht werden?

Nein, sie geht alle Menschen in einem Unternehmen an und beeinflusst deren Arbeit weit über die technische Ebene hinaus.

Diese Beziehung gestaltet sich nicht ganz leicht. Gibt man „KI ersetzt" in Suchmaschinen ein, komplettiert AutoFill direkt „Jobs”, dann „Menschen".

Es stimmt. Im Kontext von KI existieren große Skepsis und Vorbehalte. KI zieht jetzt schon sehr große Veränderungen nach sich und sie wird es auch in Zukunft tun. Sie ist eine richtungsweisende Technologie. Nun mögen Menschen Veränderung nicht immer. Deswegen, glaube ich, ist die Ablehnung von KI ein natürlicher, in Teilen auch gesunder Reflex. In einer Chancen-Risiko-Betrachtung haben viele Menschen sogar Sorge.

Verstehen Sie die Sorge? Ist sie berechtigt oder baut sie auf einem Mythos? 

Aus meiner Sicht ist die Aussage „KI ersetzt Menschen" der erste Mythos, mit dem man auch häufiger in der Beratungspraxis zu tun hat. KI kann bestimmte Tätigkeiten besser ausführen, als ein Mensch – das ist ein Stück weit richtig. Das gab es auch laufend in der Geschichte des technologischen Fortschritts. Zukünftig wird es auch mehr Tätigkeitsfelder betreffen. Ich verstehe die Sorge, aber: Der Mensch wird nicht per se ersetzt – lediglich Tätigkeiten. Dagegen wird sich das Skillset der Menschen in eine neue Richtung entwickeln. Es werden neue Jobs entstehen. Über ein Beispiel sprachen wir bereits: Prompt Engineering. Allein das Feld, was sich daraus ergibt, schafft Jobs, die es bislang nicht gegeben hat.

Also, neues Skillset – neues Mindset?  

Ja, es geht inzwischen wirklich darum, sich zu fragen: Wie kann ich mit KI einen Job ausüben, der für mich geeignet ist? Dieses Mindset halte ich auch für zielgerichteter. Denn sich gegen den technologischen Fortschritt zu wehren, ist zwecklos und die Frage, wie ich einen Job besser als eine KI erledige, führt über kurz oder lang in eine Sackgasse. KI ist da. Sie wird nicht mehr gehen. Wir müssen uns damit nicht nur arrangieren: Wir sollten daraus idealerweise den maximalen Nutzen für uns selbst ziehen.

Welche KI-Mythen begegnen Ihnen noch?

Auf der Ebene unserer Projektarbeit im Mittelstand sind es sicher folgende Annahmen: „KI ist zu teuer für uns", „KI ist eher etwas für Konzerne mit den entsprechenden Strukturen und Ressourcen".

Okay. Mythos Nr. 3?

„Wir sind im Mittelstand. KI ist zu weit weg von dem, was wir hier im Kern tun" oder „Für mein Unternehmen gibt es keine konkreten Use-Cases." Und auch diese Annahmen kann ich nachvollziehen.

Können Sie sie auch zerstreuen? Was setzen Sie diesen Annahmen entgegen?

Viele Modelle sind auf Open Source-Basis frei oder gegen überschaubare Lizenzgebühren zugänglich. Darüber hinaus gibt es in jedem mittelständischen Kontext sehr gute und auch ganz konkrete Use-Cases. Unternehmen können beispielsweise überlegen, wie sie Künstliche Intelligenz in ihre Customer Service-Prozesse einbeziehen könnten. Statt überlasteter Serviceteams würde KI den Kunden schnell, richtige und auch passgenaue Antworten liefern. Auch im logistischen Kontext gibt es sehr konkrete und spannende Ansätze: Bestandsniveaus und Tourenplanung können mithilfe von KI optimiert werden. Ich kann Sortimente in einer viel umfassenderen Betrachtung bewerten und steuern, insbesondere auch Pricing-Dynamiken in meine Geschäftsprozesse integrieren, die vorher undenkbar waren. Die Liste an möglichen Anwendungsfällen ist sehr lang.

Welche aktuellen KI-Entwicklungen machen Sie unruhig – egal in welche Richtung?

Auch das ist eine lange Liste. Ich werde mich auf zwei Themen beschränken. Erstens: Generative KI. Sie hat in den letzten 18 Monaten einen Quantensprung in den Mainstream geschafft. Als Datenanalyst stelle ich mir im Feld meiner Arbeit die Frage, wie ich zukünftig mit KI kommunizieren werde. Konkret: Wie kann ich mit einem Datensatz in natürlicher Sprache kommunizieren, ohne dass ich obligatorisch auf die Ebene des Codings oder in eine Verformelung abtauchen muss? Ich kann es kaum erwarten, dass Microsoft „Copilot” standardmäßig in die Office-Welt integriert und dieses Zusammenspiel Fahrt aufnimmt. Welche Entwicklungen mich parallel unruhig machen: Definitiv KI und Waffensysteme – das gibt es de facto schon, daran wird auch weiter geforscht. Hier wird zurecht von einer roten Linie gesprochen. Das macht mir Sorge.

Es gibt zahlreiche Wertekonflikte bei der Entwicklung und beim Einsatz von KI. Welche Tendenzen beobachten Sie in den letzten zehn Jahren, wenn Sie den Fokus auf verschiedene Generationen und ihren Umgang mit KI richten?

Ich beobachte, dass es für jede nachkommende Generation natürlicher ist, neue Technologien als etwas völlig Normales zu betrachten. Neue Technologien werden von den jüngeren Generationen sehr viel und auch sehr schnell genutzt. Parallel stelle ich fest, dass diese Skepsis, über die wir sprachen, bei den Jüngeren weit weniger vorhanden ist. Wie es um Sicherheitsaspekte bestellt ist: Diese Frage stellen die älteren Generationen verstärkt. Sie sind schließlich auch mit einem anderen Wertegerüst, anderen Lebens- und Arbeitsweisen groß geworden. Für die Sicherheit ergeben sich wiederum große Handlungsfelder. Die Frage ist: Wie stellen wir sicher, dass wir diese Technologie kontrollieren können – insbesondere, dass wir eine Sicherheit der Daten, die darin verarbeitet werden, gewährleisten können, ohne uns von diesen Gedanken zu sehr bremsen zu lassen?

Welche Fragen stellen Sie sich noch rund um KI im Beratungskontext?

Mich beschäftigt, wohin die Reise geht. Denn dass KI hier ist und dass sie bleibt, das ist klar. Aber wie entwickeln wir daraus Produkte? Wie schaffen wir daraus konkrete Lösungsansätze? Lösungsansätze, über die wir einen sicheren Umgang mit KI ermöglichen und echte Mehrwerte für uns und unsere Kunden generieren? Darum geht es.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Trapp.

 

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