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Wie schätzt Coface als einer der weltweit führenden Kreditversicherer die Auswirkungen der Corona-Pandemie ein? Müssen wir uns auf eine große Pleitewelle einstellen? War jetzt der richtige Zeitpunkt für das Auslaufen des Rettungsschirms für Lieferketten? Was kommt jetzt auf Unternehmen zu?
Wir haben nachgefragt bei Jochen Böhm, Risk Underwriting Director und Mitglied der Unternehmensleitung für die Region Nordeuropa bei Coface. Er verantwortet das Risk- sowie das Commercial Underwriting des internationalen Kreditversicherers und Spezialisten im Forderungsmanagement. Er weiß genau, worauf Unternehmen achten müssen, um nachhaltig erfolgreich zu wirtschaften, in welchem Umfang Risiken eingegangen werden können und wie sich die Risikosituation für Unternehmen weltweit entwickelt.
Im Interview mit unserem Managing Partner Uwe Köstens erzählt Jochen Böhm, auf welche Tools und Maßnahmen Unternehmer:innen jetzt setzen sollten, um sich noch besser auf die Zukunft einzustellen.
Herr Böhm, in einem Interview Anfang des Jahres sagten Sie, für 2021 rechnen Sie nicht mit einer Insolvenzwelle. Hat sich daran inzwischen etwas geändert?
Mittlerweile sind wir ja schon wieder fast sechs Monate weiter in diesem Jahr und in der Tat ist es so: Coface rechnet nicht mit einer Insolvenzwelle. Auch nicht mit Insolvenzwellen. Womit wir hingegen rechnen – und das sehen wir auch bereits deutlich in den ersten Ansätzen – ist eine Bereinigung der Märkte, die aber sehr unterschiedlich in der Intensität aussieht und aussehen wird.
Wie schätzen Sie insgesamt die Corona-Wirtschaftshilfen der Bundesregierung ein? Hat die Regierung genug getan, um Unternehmen zu unterstützen?
Das ist eine Glatteisfrage. Hat die Regierung genug getan, und das insbesondere vor der Bundestagswahl? Ich denke, wir alle in der Wirtschaft sind sehr dankbar, dass der Bund zu diesen Maßnahmen gegriffen hat. Dieses Ausmaß an Staatshilfen ist historisch. Dazu gehören viele verschiedene Maßnahmen wie unter anderem eben auch der Schutzschirm für warenkreditversicherte Unternehmen, zu dem wir in der Kreditversicherungswirtschaft einen maßgeblichen Beitrag geleistet haben.
Natürlich dürfen wir nicht diejenigen vergessen, die von der Pandemie besonders betroffen sind. Aus deren Perspektive hat es hinten und vorne nicht gereicht. Aber mit Blick auf die allgemeine wirtschaftliche Situation haben die Maßnahmen der Bundesregierung einen großen Beitrag dazu geleistet, dass wir in Deutschland bislang recht stabil durch diese Krise kommen.
Der gemeinsam mit Bund und Warenkreditversicherern gespannte Schutzschirm lief wie geplant am 30. Juni 2021 aus. Warum war jetzt der richtige Zeitpunkt dafür?
Wir bei Coface hatten sogar überlegt, den Schutzschirm bereits zu einem früheren Zeitpunkt zu beenden. Gegen Ende des letzten Jahres und Anfang dieses Jahres haben wir registriert, dass sich wieder eine gewisse Normalisierung in der Wirtschaftslandschaft andeutet. Das Problem zu Beginn des Schutzschirmes war ja, dass wir tatsächlich alle nicht wussten, wo die Reise hingeht.
Die Pandemie, die historisch ist und die vor allen Dingen auch eine globale Pandemie und damit eine globale Krise darstellt, hat uns vor extreme Herausforderungen gestellt. Die Instrumente, auf die wir alle so zuversichtlich blicken und mit denen wir schon seit vielen Jahren unsere Risiken steuern, drohten auf einmal zu versagen. Denn weltweit geriet die Wirtschaft unter so nie dagewesene Anspannungen. Vor diesem Hintergrund wurde der Schutzschirm gespannt. Doch jetzt, wo sich die Nebel lichten und wir wieder viel klarer in die Zukunft blicken können, wo unsere Instrumente wieder greifen, unsere Algorithmen, unsere Vorhersagen, unsere Volkswirte – jetzt sind wir der Meinung, dass es Zeit ist, auch diese Schutzmaßnahme wieder zurückzufahren.
Was hat der Schutzschirm aus Ihrer Perspektive gebracht?
Zu Beginn dieser Pandemie setzte sich die Kreditversicherungswirtschaft mit einer sehr starken Unterstützung durch den Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) und in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) sowie dem Bundesfinanzministerium (BMF) virtuell an einen Tisch. Das große Ziel war die Stabilisierung der Lieferketten. Sprich, Ruhe in die Unruhe zu bringen und Zuversicht auszustrahlen, dass wir als Kreditversicherer unseren Teil dazu beitragen, um gemeinsam stark durch diese Krise zu gehen. Das hat der Schutzschirm tatsächlich auch erreicht.
Es war ein starkes psychologisches Instrument, da die großen Kreditversicherer zeigten: Wir stehen zu unserer Verantwortung und wir halten die Limite aufrecht, die insbesondere für die Unternehmen entscheidend sind, die – und das ist ganz wichtig im Geiste des Schutzschirms – unverschuldet in die Krise geraten sind. Also Unternehmen, die vor der Pandemie „gesund“ waren und sich jetzt ad hoc großen Herausforderungen gegenübersahen. Die mussten wir schützen, die mussten wir stützen. Aufgrund dieses Schutzschirms, der über ein Jahr gelaufen ist, kam es zu einer Beruhigung.
Wie hat sich Coface als Kreditversicherer auf das Auslaufen des Schutzschirms vorbereitet und was ist jetzt für Unternehmer:innen wichtig?
Das ist eine wichtige Frage, da natürlich jetzt trotzdem noch eine gewisse Unsicherheit besteht. Was passiert mit dem Auslaufen des Schutzschirms? Ist das eine Art Klippe, mit der massenweise Limite auf einmal reduziert oder ausgeschlossen werden? Das ist nicht der Fall. Coface hat nicht im großen Stil Kreditlimite auf dieses Datum hin befristet, sondern verfügt über ein permanentes Monitoring, eine ständige Überwachung der Risiken. So ist es uns gelungen, von Monat zu Monat immer mehr die nötige Transparenz wiederzuerlangen, um entsprechende Kreditentscheidungen und Maßnahmen zu treffen.
Was gerne vergessen wird ist: Der Schutzschirm hat uns durchaus die Aufgabe gegeben, das Risikomanagement weiter zu betreiben. Es war auch im Sinne des Bundes und der Steuerzahler, dass wir keine „kranken“ Unternehmen stützen, sondern die, die unverschuldet in die Krise geraten sind. Vor dem Hintergrund gibt es einen gleitenden Übergang ohne besondere Maßnahmen. Natürlich sind wir nach wie vor sehr eng am Risiko dran und sehr eng an unseren Kunden, um genau hinzuschauen und zu sehen, wie sich alles weiterentwickelt. Die Krise ist mit dem Auslaufen des Schutzschirms weder vorbei noch erwarten wir eine Insolvenzwelle. Aber wir rechnen mit einer Bereinigung, die uns natürlich für die nächsten Monate, Quartale, vielleicht sogar Jahre ins Haus steht.
Was sind Ihre Erwartungen bis zum Jahresende? Lässt die Corona-Pandemie den Restrukturierungsbedarf steigen?
Ja, wir sehen das bereits. Bei Coface gibt es eine spezielle Abteilung, das "Special Risk Management". Hier sitzen unsere Expert:innen, die ungefähr 150 Fälle sehr eng betreuen. Hier merken wir bereits einen leichten Anstieg der Fälle. Es ist allerdings weniger die Anzahl der Fälle, die uns umtreibt, sondern deren Komplexität. Die Fälle werden größer, die Fälle werden schwieriger – wir haben eine Überlagerung von Situationen. Das sind in der Regel Unternehmen, die schon vor der Pandemie schwach oder in einer Restrukturierung waren und teilweise jetzt durch die Pandemie nochmal in eine schwierigere Situation geraten sind. Da müssen wir genau hinschauen, um eine Insolvenz zu vermeiden.
Aber wir haben auch Unternehmen, die eben aufgrund der Pandemie sehr große Probleme haben. Aufgrund der starken Preissteigerung, insbesondere bei den Commodities, also bei den Rohstoffen, aber auch die Knappheit an Vorprodukten wie Halbleiter, Mikrochips oder auch beim Bauholz – alles das sind Materialien, die im Moment sehr, sehr knapp sind. Das bedroht besonders die Unternehmen, die bereits relativ schwach auf der Brust sind.
Wie sieht das Konzept zur Risikoüberwachung und -steuerung bei Coface aus? Was ist entscheidend bei der Risikofrüherkennung?
Das Allerwichtigste ist, sehr nah am Risiko zu sein, um früh zu erkennen, wo sich Veränderungen andeuten. Hinzukommt die Geschwindigkeit, mit der sich Unternehmen heute in prekäre Situationen manövrieren. Wir müssen früh genug – aber mit Bedacht – eingreifen. Wir als Kreditversicherer haben da eine große Verantwortung. Wir wollen kein Unternehmen in die Insolvenz treiben, sondern für unsere Kunden genau analysieren, wo die Risiken sind, diese bewerten und steuern, um dann eben auch das Schlimmste zu verhindern.
Für uns in der Risikofrüherkennung ist daher die Zusammenarbeit mit unseren Kunden entscheidend. Es gibt sehr wenige Frühwarnsignale. Ein wichtiger Hinweis sind die Zahlungserfahrungen unserer Kunden. Jeder Kunde muss uns ein Überschreiten der Zahlungsziele ab einem bestimmten Zeitpunkt melden. Das sind viele Tausende von Meldungen, die jeden Tag in unser System eingespeist werden. Das gleicht im Grunde genommen einem Fieberthermometer. Daran können wir nicht nur ablesen, wie es um die Zahlungsmoral in Deutschland steht. Da wir ein sehr exportstarkes Land sind, bilden wir auch die ausländischen Abnehmer ab.
Anfang des letzten Jahres glaubten wir, dass irgendwann diese Kurve steil nach oben gehen würde. Sprich, dass die Liquidität bei den Abnehmern knapp wird, die Zahlungsziele gestreckt werden und es zu mehr Verspätungen kommt. Doch bisher sehen wir lediglich einen leichten Trend nach oben. Es wird enger, aber ohne steil ansteigende Kurve. Das heißt für uns, dass wir auf andere Kriterien schauen müssen. Da kommt es Coface sehr zugute, dass wir nach Branchen organisiert sind. In meinem Team sind die Branchenexpert:innen für die größten Branchen, die diese genau überwachen und sich die Märkte ansehen. Was verändert sich dort? Wie ist die Wettbewerbssituation? Wie sind die Rahmenbedingungen? So erkennen wir früh, in welche Richtung wir steuern müssen.
Das schließt direkt an die nächste Frage an: Können Externe wie Coface oder auch Restrukturierungsexperten aufgrund ihrer Erfahrung und ihrer Perspektive in einem frühen Krisenstadium Frühwarnindikatoren besser identifizieren? Ich ahne die Antwort …
Ja, das können wir, da wir den Rundumblick haben. Neben unserer Expertise für alle Branchen haben wir auch unsere Volkswirt:innen, die uns mit ihren Recherchen unterstützen. Und für die Kreditprüfung ist tatsächlich das Hier und Jetzt besonders entscheidend – und das im sehr engen Austausch mit unseren Versicherungsnehmern. Die sind fast die wichtigste Quelle, die wir haben. Im ständigen Kontakt tauschen wir uns aus, was unsere Kunden am Markt spüren, was sie erleben, was sie fühlen. Das hilft natürlich auch dabei, Kreditentscheidungen zu treffen. Wir können großzügiger entscheiden, wenn wir wissen: Das ist ein Kunde, der ein gutes Debitorenmanagement hat, der sich gut in der Branche auskennt oder der selbst keine großen Risiken eingehen will.
Auf welche Faktoren oder Kennzahlen sollten Unternehmen bei der Entwicklung und Implementierung eines Frühwarnsystems achten?
Ein Frühwarnsystem hätten wir alle sehr gerne. Am besten mit künstlicher Intelligenz. Das wird aber noch eine Weile dauern. Das wichtigste Frühwarnsystem ist daher die Überwachung des Kunden. Das fängt bei unseren Kunden an, die ihre Kunden kennen und einfach ein straffes, gutes, intelligentes, professionelles Debitorenmanagement betreiben. Das heißt, sie sehen genau hin, welche Zahlungsziele sie ihren Kunden geben und wie das tatsächliche Zahlungsgebaren ist. Der nächste Schritt ist das Verfolgen dieser Zahlungseingänge, also das Mahnwesen, was die meisten Unternehmen ja schon seit vielen Jahrzehnten betreiben. Das ist sehr wichtig. Hinzu kommen Veränderungen im Umfeld: Jeder Kunde ist angeraten, seine Wettbewerber und die Märkte zu beobachten.
Die Preise gehen im Moment teilweise durch die Decke. Nicht nur für Rohstoffe, auch Frachtkosten sind explodiert. Die Havarie im Suezkanal haben wir alle mitbekommen. Oder wenn in der Presse steht, dass es wiederum zu Verzögerungen bei den Zulieferern kommt – Unternehmer:innen müssen das alles im Blickfeld haben, um abzuschätzen und abzusehen, was kommt da im Zweifel auf mich zu?
Welche Learnings sollten Unternehmen aus der Corona-Krise ziehen und was ist jetzt besonders wichtig? Welche Learnings gab es bei Coface?
Ich spreche selbst mit vielen Kunden und die merken oft kritisch an, dass sie in der Vergangenheit zu sehr auf "Just in time" gesetzt haben. Alles war minutiös strukturiert und auch geplant. Das heißt, die Ware kam an dem Tag ins Lager, an dem sie schon wieder weiterverarbeitet wurde und das Lager verlassen hat. Durch die ganzen Verspätungen und Verzögerungen bauen sich natürlich große Hürden auf. Ich denke, ein wichtiges Learning für uns alle ist, wieder eine gewisse Lagerhaltung einzuführen, einen gewissen Puffer zu haben, um eine gewisse Zeit unabhängig weiterproduzieren zu können. Hinzu kommt der intensive Blick auf die Geschäftspartner: Sind das Unternehmen, die stark sind? Wie sieht es denn mit meinem Lieferanten aus? Ist mein Lieferant von der Bonität her in der Lage, mich weiter zu versorgen? Es ist wichtig, die Beschaffungskette wie auch die Verkaufsseite klar im Blickfeld zu haben. Einen Puffer aufzubauen und vorausschauend weiter zu planen.
Know your Customer and know your Supplier.
Absolut. Man ist immer Teil eines Dreiecks. Was nützt es, nur tolle Kunden zu haben. Ich muss natürlich auch die Zulieferung, die Vorprodukte haben, um die Produktion sicherzustellen.
Ja, das kann ich gut nachvollziehen. Was reizt Sie an Ihrem Beruf? Was war die wichtigste Entscheidung, die Sie seit Beginn der Corona-Pandemie treffen mussten?
Was mich an meinem Beruf besonders reizt? Es war hier nie langweilig. Ich bin jetzt dreißig Jahre bei Coface und wir sind hier mitten im Wirtschaftsgeschehen. Das heißt, wir können uns dem überhaupt nicht entziehen. Wir spielen in allen Märkten dieser Erde mit. Wir sind sehr international aufgestellt und die Weltwirtschaft ist sehr dynamisch und das ist sehr spannend. Das hält einen auch immer wieder in Atem und treibt an, insbesondere für unsere Kunden das Risiko ordentlich zu managen. Das ist mir sehr wichtig: Wir wollen keine Geschäfte verhindern, sondern sie ermöglichen. Unser Claim heißt ja auch: Coface – For Trade. Das heißt, wir sind große Befürworter des freien Handels. Wir wollen, dass die Schranken fallen und die Unternehmen in der Lage sind, gute Entscheidungen zu treffen und dafür die notwendige Transparenz haben.
Was war die wichtigste Entscheidung für mich? Ich bin schon lange in diesem Beruf und habe viele Zyklen mitbekommen, die letzte große Rezession war ja 2008/2009. Da glaubte man, das war das Schlimmste, was man bisher gesehen hat und schlimmer könne es nicht kommen. Doch Corona war und ist eine ganz andere Herausforderung, da global alle Länder betroffen sind und die Länder zudem sehr unterschiedlich in die Pandemie gingen und jetzt wieder sehr unterschiedlich herausgehen. Die größte Herausforderung war, die richtige Strategie zu finden.
Aus global wird glokal ...
Genau. Wir durften es nicht übertreiben und das Ganze noch verschlimmern, sondern mussten mit einem kühlen Kopf durchsteuern. Mit unseren Kunden und für unsere Kunden. Dazu hat auch der Schutzschirm einen guten Beitrag geleistet.
Aktuell freuen wir uns alle über die deutlichen Lockerungen der Corona-bedingten Einschränkungen. Worauf freuen Sie sich mit Blick auf den Sommer?
Ich freue mich irgendwann dann doch, auch wenn es noch so spannend ist, abzuschalten und einfach mal die Seele baumeln zu lassen.
Herr Böhm, ganz herzlichen Dank für das Interview und auf weiterhin gute Zusammenarbeit!
Haben Sie Fragen zum Thema Kreditversicherung oder zur Risikofrüherkennung als Instrument der Krisenprävention? Dann schreiben Sie gerne direkt unseren Experten!
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