Best Practices Mittelstand: Pricing – Warum KI jetzt der wichtigste Hebel für mehr Profit ist
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Preisgestaltung ist einer der mächtigsten, aber oft unterschätzten Hebel zur Steigerung von Gewinn und Unternehmenswert. Dabei haben schon kleine Änderungen große Wirkung: So kann eine Preissteigerung von nur 1 Prozent den operativen Gewinn bei gleichem Absatz um bis zu 11 Prozent erhöhen. Dagegen erfordert eine Preissenkung von 5 Prozent einen ziemlich unrealistischen Absatzanstieg von rund 19 Prozent, wenn der Gewinn nicht einbrechen soll. Künstliche Intelligenz (KI) setzt das Thema Preisgestaltung jetzt auch im Mittelstand erneut auf die Agenda. Im Interview erklären die enomyc-Experten Jan Ulrik Holsten und Franz A. Wenzel, wie KI das Pricing verändert und welche Optionen sich daraus für Unternehmen ergeben.

Die Frage, wie hoch oder niedrig der Preis für ein Produkt oder eine Leistung anzusetzen ist, lässt sich bekanntlich sehr unterschiedlich beantworten. Welche Strategien nutzen Unternehmen heute, um ihre Preise zu gestalten?

Jan Holsten: Zu den gängigsten Ansätzen zählen die kostenbasierte, die wettbewerbsorientierte und die wertorientierte Preisgestaltung. Bei der kostenbasierten Strategie, man nennt sie auch „Cost-plus“, wird ein Aufschlag auf die Produktionskosten gerechnet. Das ist sehr einfach und sicher, berücksichtigt aber weder den Markt noch den Kundennutzen. Die wettbewerbsorientierte Preisgestaltung richtet sich nach den Preisen der Konkurrenz. Das bietet sich besonders in kommodisierten Märkten an, ist aber riskant, weil Preiskämpfe die Margen drücken können. Am anspruchsvollsten, aber auch am wirksamsten, ist die wertbasierte Strategie: Dabei orientiert sich der Preis an dem Wert, den das Produkt für den Kunden stiftet. Hier lassen sich die höchsten Margen erzielen – vorausgesetzt, der Kundennutzen wird klar vermittelt.

Zumindest im B2C-Geschäft gibt es aber auch Preise, die sich ständig verändern…

Jan Holsten: Richtig. Das ist die sogenannte dynamische Preisgestaltung. Dabei werden die Preise flexibel an Nachfrage, Zeit, Lagerbestand oder andere Faktoren angepasst. Das lässt sich beispielsweise beobachten, wenn Flug- oder Hotelpreise im Tagesverlauf schwanken. Entscheidend ist, dass die gewählte Strategie zu Produkt, Markt und den Unternehmenszielen passt.

Apropos Flug- oder Hotelpreise: Wie empfindlich reagiert die Kundschaft auf schwankende Preise?

Jan Holsten: Das misst die Preiselastizität – ein weiteres zentrales Konzept im Pricing. Ist die Nachfrage preiselastisch, führt schon eine kleine Preiserhöhung dazu, dass der Absatz überproportional sinkt. Bei einer unelastischen Nachfrage verändert sich der Absatz dagegen kaum. Elastizitätsbasierte Preisoptimierung nutzt dieses Prinzip, um den Profit zu maximieren. Das heißt: Man sucht den optimalen Preis, bei dem sich Margen- und Mengeneffekt die Waage halten. Das Ganze klingt recht theoretisch, ist heute dank KI aber auch für den Mittelstand gut umsetzbar. Studien zeigen, dass KI-basierte Pricing-Lösungen die EBITDA-Marge um 2 bis 5 Prozentpunkte erhöhen können. Gerade mittelständische Unternehmen sollten sich also genau überlegen, ob sie sich diese Chance entgehen lassen wollen.

Können Sie uns anhand von ein paar Beispielen erklären, wie man sich den Nutzen von KI im Pricing konkret vorstellen kann?

Franz Wenzel: Gerne. Dabei muss man nach Branchen und Geschäftsmodellen differenzieren. Im industriellen B2B-Geschäft haben Unternehmen oft hunderte Produkte und individuelle Kundenrabatte. KI kann hier aus vergangenen Transaktionen lernen und preisrelevante Muster erkennen. So lässt sich aus historischen Aufträgen zum Beispiel ableiten, welche Kunden weniger preissensibel sind. Denen kann man entsprechend höhere Preise oder geringere Rabatte anbieten. KI-Algorithmen helfen aber auch, für jeden Kundenauftrag einen optimalen Preis oder eine optimale Rabattspanne vorzuschlagen. Diese Vorgehensweise wird KI-gestütztes Deal-Scoring genannt. Ein Tech-Unternehmen hat damit seine Umsatzrendite um 4 bis 8 Prozentpunkte im Vergleich zu konventioneller Preisfindung gesteigert. KI kann zusätzlich unnötige Nachlässe und Quick Wins identifizieren – etwa, wenn das Unternehmen rabattierte Zusatzleistungen gibt, die der Kunde gar nicht erwartet. Solche Margin Leaks lassen sich leicht abstellen und sind unmittelbar gewinnwirksam. Kurz: Mit KI können Unternehmen im B2B ihre Angebote wesentlich präziser kalkulieren und ihre Rabatte deutlich intelligenter steuern.

Immer mehr Hersteller verkaufen ihre Ware auch direkt an Endkunden. Welche Rolle kann KI da spielen?

Franz Wenzel: Im Direct-to-Consumer-Business ist Personalisierung das entscheidende Stichwort. Hier lässt sich KI ähnlich einsetzen wie im Handel. Das heißt: KI-Modelle analysieren Kundendaten aus dem Online-Shop, segmentieren die Käufer nach Verhalten und Wert und ermöglichen auf dieser Grundlage ein personalisiertes Pricing. So lassen sich zum Beispiel Preisbereitschaften pro Segment ermitteln: Premium-affine Kunden erhalten weniger Rabatte, preissensitive Schnäppchenjäger können häufiger Aktionen nutzen. KI hilft aber auch bei dynamischer Preisanpassung in Echtzeit – etwa um auf Online-Nachfrage, Uhrzeit oder Konkurrenzpreise zu reagieren. Wichtig für industrielle D2C-Anbieter ist zudem das Vermeiden von Kanal-Konflikten: KI kann kanalspezifische Preise optimieren, ohne die Partnerschaften im klassischen Vertrieb zu kannibalisieren – zum Beispiel, indem Direktkunden spezielle Bundles oder Services bekommen, statt einfach nur günstigere Preise. Insgesamt ermöglicht KI den Herstellern, im Endkundengeschäft höhere Margen zu erzielen, ohne Abstriche bei der Kundenzufriedenheit in Kauf nehmen zu müssen, weil die Preise wertbasiert und kundenindividuell justiert werden.

Können Sie uns noch ein Beispiel aus dem klassischen Großhandel geben?

Franz Wenzel: Im Groß- oder B2B-Handel kann man KI gut einsetzen, um komplexe Preislisten und Konditionen zu optimieren. Viele Mittelständler arbeiten hier noch mit pauschalen Auf- oder Abschlägen oder auch mit klassischen Excel-Tabellen. Hier kann KI schnell Abhilfe leisten: Durch Machine Learning mit Verkaufs- und Einkaufsdaten lassen sich optimale Preismetriken je Produkt und Kundengruppe bestimmen. Beispielsweise kann KI erkennen, dass bestimmte Kunden bereit wären, für Expresslieferung deutlich mehr zu bezahlen, andere hingegen preissensibel auf kleine Preisänderungen reagieren. Entsprechend könnte das System vorschlagen, künftig differenzierte Aufschläge für Serviceleistungen zu verlangen. Auch Rabatte und Boni können KI-basiert neu austariert werden. Ziel ist es, margenfressende „Rabattitis“ so weit wie möglich zu reduzieren. Solche datengetriebenen Anpassungen verbessern die Profitabilität im Tagesgeschäft und entlasten gleichzeitig das Vertriebsteam, weil weniger manuelles Pricing erforderlich ist.

Warum ist das aus Ihrer Sicht gerade für den Mittelstand relevant?

Franz Wenzel: Weil mittelständische Unternehmen KI nutzen können, um die bestehende Komplexität trotz begrenzter Ressourcen optimal zu steuern. KI kann die Flut an Preisdaten in konkrete Empfehlungen verwandeln. Wer früh einsteigt, verschafft sich einen Vorsprung – und Studien belegen, dass KI-Pricing-Projekte in der Regel erfolgreicher verlaufen als andere AI-Initiativen. Es lohnt sich also, diesen Hebel aktiv anzugehen.

Das Thema Künstliche Intelligenz hat große Dynamik. Wie wird sich das im Pricing in den nächsten Jahren bemerkbar machen?

Jan Holsten: KI wird das Pricing rasant verändern. Wir gehen davon aus, dass insbesondere Generative AI (GenAI) und noch ausgereiftere Algorithmen das Pricing in den nächsten zwei bis drei Jahren weiter revolutionieren werden. Experten sind sich einig, dass fortschrittliche Preisstrategien bald ohne KI-Unterstützung kaum noch vorstellbar sind.

Insgesamt sehen wir drei Trends, die Marketing- und Vertriebsprozesse nachhaltig verändern dürften: Da ist zum ersten der „Always On“-Trend. Das bedeutet, dass Preise sich jederzeit verändern und hochgradig individualisiert sein werden, weil sie sich durch KI in Echtzeit an jede noch so kleine Marktveränderung anpassen lassen. Damit werden dynamische Preisanpassungen künftig allgegenwärtig – ob online oder im Laden mit elektronischen Preisschildern. Dabei können Algorithmen nicht nur klassische Faktoren wie Nachfrage oder Konkurrenz berücksichtigen, sondern auch unstrukturierte Daten wie Kundenbewertungen, Social-Media-Trends oder sogar Stimmungsindikatoren. Diese Verschmelzung von Pricing und Personalisierung wird Kunden ein maßgeschneidertes Einkaufserlebnis bieten, erhöht aber auch die Komplexität im Hintergrund enorm.

Welche Veränderungen lassen sich im B2B-Bereich absehen?

Jan Holsten: Hier ist ein zweiter Trend relevant, die Integration von KI-Pricing in Vertriebsprozesse: In B2B-Sales könnten KI-gestützte Verhandlungsassistenten auftauchen – quasi digitale Co-Piloten für Key Account Manager, die während Preisverhandlungen live Vorschläge machen, welche Konzessionen man anbieten könnte und an welchen Stellen man hart bleiben sollte. Schon heute nutzen erste Unternehmen solche Tools, die dem Verkäufer sagen: „Bei Kunde X in Branche Y wurden durchschnittlich 5 Prozent höhere Preise durchgesetzt; versuch es im nächsten Angebot mit 3 Prozent Aufschlag.“ Chatbots können sogar mit Kunden verhandeln – etwa für Standardvertragsverlängerungen oder im eCommerce-Checkout – nach dem Motto: „Wenn du jetzt kaufst, biete ich dir 5 Prozent Rabatt“. Das verändert die Rolle des Vertriebs, weil Routine-Preisentscheidungen automatisiert laufen, während sich die Menschen auf komplexe Fälle fokussieren. Marketing und Sales müssen dafür noch enger mit Data Science verzahnt arbeiten.

Drittens gehen wir davon aus, dass Fairness und Transparenz bei aller Technologie immer wichtiger werden, denn mit wachsender KI-Durchdringung im Pricing wird auch der Ruf nach Preistransparenz und Fairness immer lauter werden. Regulierungsbehörden beobachten dynamische Preise – insbesondere in sensiblen Bereichen – genau. Unternehmen müssen deswegen darauf achten, dass ihre KI-Pricing-Strategien kundenfair und erklärbar bleiben.

Franz Wenzel: Natürlich werden durch KI-Pricing auch ganz neue Geschäftsmodelle entstehen. Vieles davon steckt noch in den Kinderschuhen, doch die nächsten Jahre werden hier Pilotprojekte und erste Standardlösungen bringen.

Was bedeutet das in der Konsequenz für Unternehmen?

Franz Wenzel: Für Entscheider heißt das: Abwarten ist keine Option. Unternehmen, die jetzt zögern, riskieren, dass ihnen in naher Zukunft agilere Wettbewerber die Kunden wegnehmen – sei es durch smartere Preise, personalisierte Angebote oder schnellere Reaktionszeiten.

Jan Holsten: Wer jetzt in KI-Pricing investiert, wird Marketing und Vertrieb auf ein neues Level heben und sich einen nachhaltigen Wettbewerbsvorsprung sichern. Oder noch plakativer: Pricing wird zum Game-Changer, an dem Themen wie KI, Datenstrategie, Kundenerlebnis und Profitabilität zusammenfließen.

Lieber Herr Holsten, lieber Herr Wenzel: Herzlichen Dank für das Gespräch.

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