Konsumflaute und Kurzarbeit statt Küchenkauf: Zur Lage in der deutschen Möbelbranche
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Die Internationale Möbel- und Einrichtungsmesse (imm) in Köln ist das jährliche Hochamt der Branche. Doch statt wie in den Vorjahren neben neuen Trends auch die eigenen Erfolge zu feiern, war von Partystimmung in der vergangenen Woche wenig zu spüren. Ganz im Gegenteil: Offiziellen Zahlen der Verbände zufolge ist der Umsatz der Möbelbauer und -händler im vergangenen Jahr um 5 bis 7 Prozent zurückgegangen, bei den Wohn-, Ess- und Schlafzimmermöbel lag das Minus sogar bei fast 12 Prozent. Sechs von zehn Herstellern machen Kurzarbeit. Über die Ursachen der Krise, aktuelle Prioritäten und neue Chancen hat enomyc-Branchenexperte Marc Fahrig mit Jan Kurth, dem Geschäftsführer der Verbände der deutschen Möbelindustrie (VDM/VHK) und Markus Meyer, dem Präsidenten des Handelsverbands Möbel und Küchen gesprochen.[1]

 

Herr Kurth, Herr Meyer, wie schätzen Sie die weitere Entwicklung Ihrer Industrie in den nächsten ein bis zwei Jahren ein?

Kurth: Unsere Branche leidet unter einer starken Kaufzurückhaltung der Verbraucher infolge der Inflation und der langwierigen Heizungsdebatte. Eine schnelle Besserung der grundlegenden Rahmenbedingungen ist leider nicht in Sicht. Auch 2024 wird ein schwieriges Jahr werden.

Meyer: Nach meiner Einschätzung ist die aktuelle Lage von vier Faktoren geprägt: der Verunsicherung der Verbraucher durch die Politik, die Inflation, die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten sowie den Fachkräftemangel. Bei drei dieser Parameter ist kurzfristig keine Wende zum Besseren erkennbar. Die Inflation hat sich zwar verlangsamt, dürfte aber wieder einen Schub bekommen, wenn die nächsten Tarifabschlüsse verabschiedet sind und sich die Zuwächse in deutlich höheren Produktpreisen niederschlagen.

Wo sehen Sie aktuell die größten Herausforderungen für die Branche?

Kurth: Neben dem schwachen Konsumklima macht uns vor allem der stockende Wohnungsbau zu schaffen. Jeder Neubau zieht erfahrungsgemäß Anschaffungen für zwei bis drei weitere Wohnungen nach sich. Hinzu kommen die Themen Kostendruck, Umbau zur Kreislaufwirtschaft, Digitalisierung, Lieferkettengesetz sowie die Einkaufsmacht des Möbelhandels.

Meyer: Für mich sind der bereits genannte Fachkräftemangel und die Kaufzurückhaltung die größten Herausforderungen. Ohne entsprechendes Personal sind Wachstum und Innovation nur schwer möglich. Selbst bestehende Prozesse sind schwierig aufrecht zu erhalten. Gleichzeitig lähmt das Gift der Kaufzurückhaltung die gesamte Branche, denn sinkende Umsätze bei steigenden Kosten verstärken die ohnehin kritische Ertrags- und Liquiditätssituation vieler Unternehmen.

Wie bewerten Sie die Entwicklungen auf der Kostenseite?

Kurth: Die Materialpreise sind teils rückläufig, allerdings auf einem hohen Niveau. Verpackungsmaterialien und Logistikdienstleistungen verteuern sich weiterhin. Zudem sind die hohen Energiekosten und die steigenden Löhne eine große Belastung für die Unternehmen. Der Kostendruck ist also nach wie vor sehr hoch.

Wie sieht es bei Beschaffung und Logistik aus?

Meyer: Die Lage auf der Beschaffungsseite hat sich grundsätzlich beruhigt. Die Lieferketten sind stabil und die Lieferzeiten kurz. Die immer schlechtere wirtschaftliche Situation bei vielen Lieferanten könnte allerdings zu einem vermehrten Totalausfall der Produzenten führen. Bei der Logistik fehlen Fahrer, im Handel fehlen Monteure, um die bestellten Küchen beim Endkunden überhaupt montieren zu können.

Auf einer Skala von 1-10: Wie steht es um den Digitalisierungsfortschritt in Industrie und Handel?

Kurth: Die Möbelindustrie beschäftigt sich seit Jahren intensiv mit dem Thema. Die Datenkommunikation zwischen Industrie und Handel läuft mittlerweile auf einem hohen Niveau. Innerbetrieblich, ich nenne hier das Stichwort Industrie 4.0, sind angesichts der Losgröße 1 allerdings noch einige Herausforderungen zu bewältigen.

Meyer: Die Industrie ist bei der Digitalisierung weiter als der Handel. Das liegt maßgeblich an den durchschnittlich deutlich größeren Einheiten. Hier sind wir meiner Meinung nach bei einer 7. Im Handel gibt es große Unternehmen wie IKEA, OTTO oder die Lutz-Gruppe, die wahrscheinlich bei einer 5 stehen. Es gibt aber auch viele kleine Unternehmen, nehmen Sie Küchenstudios mit 150 qm Ausstellungsfläche, die ohne Warenwirtschaftssystem arbeiten und vielleicht bei 3 liegen.

Das Thema Nachhaltigkeit wird auch in Ihrer Branche immer wichtiger. Kunden, Regulatorik und Kostendruck fordern mehr Initiative und Umsetzung von Maßnahmen. Wo stehen die Unternehmen aus Ihrer Sicht?

Kurth: Unsere Hersteller arbeiten intensiv an dem Thema, sowohl in Bezug auf den Energieverbrauch als auch bei den Produkten gibt es zahlreiche Anstrengungen, etwa Spanplatten mit hohem Altholz-Anteil, Komponenten aus recycelten Kunststoffen oder Naturfasern wie Hanf. In den nächsten Jahren erwarten uns hier allerdings weitere Aufgaben, etwa durch die Einführung des digitalen Produktpasses.

Können und werden die Unternehmen in der aktuellen Lage überhaupt noch investieren?

Meyer: Viele Unternehmen stoppen zurzeit Ihre Investitionen. Dringlichste Aufgabe ist die Sicherstellung der Liquidität. Zukunftsprojekte wie im Bereich der Digitalisierung werden in einer solchen Situation auch mal verschoben.

Kurth: In der Tat dürfte die Kapitalbeschaffung – je nach finanzieller Lage der Unternehmen – derzeit eine der größten Herausforderung sein. Zudem ist zu befürchten, dass die Finanzierungsbereitschaft externer Investoren durch die Insolvenzen nachlässt und die Kreditvergabe der Banken damit weiter erschwert oder verteuert wird. Grundsätzlich ist die Investitionsbereitschaft aber weiterhin hoch, was sich etwa in Produktionserweiterungen oder bei Produktinnovationen zum Thema Nachhaltigkeit zeigt. Nach meinem Eindruck bietet die derzeitige Schwächephase nach der starken Möbelnachfrage in den Corona-Jahren auch die Chance, neue Projekte voranzutreiben.

Sehen Sie neue Geschäftsmodelle, wie z.B. Miete, Customized Möbel, kostenpflichtige Handwerkerservices etc. für die Branche?

Kurth: Im Zuge des von der EU getriebenen Umbaus zur Kreislaufwirtschaft wird die Branche ihre Chancen auch in neuen Geschäftsmodellen wie Vermietung, Reparatur oder Wiederaufbereitung suchen.

Meyer: Es gab in den letzten Jahren viele neue Ansätze in der Branche. Meist waren die jedoch vom Internet getrieben. Die Krise im E-Commerce hat jedoch auch diese Anbieter erfasst. Prominente Anbieter von Maßmöbeln sind in wirtschaftliche Schieflage gekommen. Die starke Zunahme der Konzentration im Handel führt zu weniger Angebot und Vielfalt. Hier eröffnen sich neue Chancen für kleinere, spezialisierte Handelsformate.

Rechnen Sie angesichts der aktuellen Krise mit einer Insolvenzwelle in der Branche?

Meyer: Leider wird es auf Seiten der Industrie nicht zu verhindern sein, dass weitere Unternehmen in Insolvenz geraten. Und jede Schließung eines Industrieunternehmens zieht weitere Zulieferer und Vorlieferanten nach sich. Der Handel kommt mit der Krise grundsätzlich besser klar. Hier wird es weniger Insolvenzen geben. Ich gehe aber davon aus, dass viele kleinere Betriebe einen geordneten Rückzug antreten. Die Selbstständigkeit im eigenen Familienunternehmen wird für die nächste Generation an Attraktivität verlieren. Vor allem kleinere Innenstadtflächen werden zukünftig vermehrt geschlossen und umgewidmet werden.

Vervollständigen Sie die Aussage "Aus meiner Sicht sind die Unternehmen aus der Industrie/dem Handel am besten für die Zukunft aufgestellt, die...

Kurth:  … ihre Liquidität und ihre Kosten im Griff haben und denen es gelingt, durch Innovationen oder attraktive Ergänzungen ihres Produktbereichs Nachfrage zu generieren.

Sehr geehrter Herr Meyer, sehr geehrter Herr Kurth, herzlichen Dank für das Gespräch und dass Sie uns einen Einblick in die Themen gewährt haben, die Ihre Branche derzeit beschäftigt. Die aktuelle Lage ist sicher alles andere als einfach. Trotzdem möchte ich Ihre Einschätzung aus Beraterperspektive unterstreichen: Wer seine Hausaufgaben gemacht hat und Kunden mit guten Ideen zu überzeugen weiß, hat auch in schwierigen Phasen die besten Chancen auf wirtschaftlichen Erfolg.

 

[1] Das dokumentierte Gespräch hat Ende des Jahres 2023 stattgefunden.

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