Runter vom Sofa, rein in die Krise. Zur aktuellen Lage in der Möbelbranche
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Neue Küche, neues Bett, neuer Schreibtisch: Während der Pandemie, aber auch danach haben die Deutschen massiv in die eigenen vier Wände investiert. „My home is my castle“ hat auch durch den Homeoffice-Boom eine neue Bedeutung bekommen. Längst ging es beim Einrichten nicht mehr nur ums Wohnen, sondern auch um Tisch- und Stuhlhöhe oder eine optimale Beleuchtung für den heimischen Arbeitsplatz. Inzwischen ist die gute Stimmung verflogen. Im Interview erläutert Marc Fahrig, Branchen- und Handelsexperte bei enomyc, die Hintergründe für den Umschwung und erklärt, wie Handel und Industrie den Herausforderungen begegnen können.

Herr Fahrig, wo sehen Sie aktuell die größten Herausforderungen für die Branche?

Die Kosten im Griff zu haben und die Menschen zum Kaufen zu bringen, um dadurch das Überleben der Unternehmen zu sichern. Das hat für die Branche im Moment höchste Priorität. Liquidität ist in dieser Phase extrem wichtig.

Welche Bereiche sind von der Krise am stärksten betroffen?

Polster- und Wohnmöbel sowie Küchen, aber auch Büromöbel. Das sind in den Unternehmen die größten Umsatzblöcke.

Spielt die Krise in der Baubranche auch eine Rolle?

Ja, eine große. Der private Wohnungsbau befeuert die klassischen Wohn- und Küchenmöbelthemen und auch die Bereiche Accessoires und Dekoration, weil die Menschen sich meistens ganz neu einrichten. Der gewerbliche Bau ist insbesondere für die Segmente Büromöbel, aber auch Küchen, wichtig. Die Krise der Baubranche „blockiert“ zusätzlich die Umzüge. Die Menschen meiden es, genau jetzt in Objekte mit hohen Neubaumieten oder hohen Kaufpreisen umzuziehen. Das macht sich durch fehlende Neuanschaffungen im Möbelbereich bemerkbar.

Wie bewerten Sie die Entwicklung auf der Kostenseite, also bei Energie, Rohstoffen, Arbeits- und Transportkosten?

Die Unternehmen haben in sehr unterschiedlichem Ausmaß mit den einzelnen Kostenpositionen zu kämpfen. Auf der Materialseite entspannt es sich, aber sowohl für Industrie als auch den Handel kommen immer wieder neue Belastungen dazu, etwa die anstehende Mauterhöhung. Sie kommt zur Unzeit und geht, wie jede Preiserhöhung mit der Frage einher, wer die Kosten tragen kann und soll.

Insgesamt sehe ich die Entwicklung auf der Kostenseite weiterhin kritisch, weil auch die konjunkturelle Lage schlecht ist und die Unternehmen dadurch kaum Kompensationsmöglichkeiten haben.

Das wiederum hat aber auch seine gute Seite, denn es zwingt die Unternehmen, über vielleicht längst überfällige Optimierungsmaßnahmen nachzudenken – ähnlich wie während der Corona-Pandemie, als Digitalisierungsthemen plötzlich massiv Fahrt aufgenommen haben. Wenn man es strategisch richtig angeht, kann man von solchen Maßnahmen in der Zukunft profitieren.

Apropos: Wo stehen die Unternehmen nach Ihrer Einschätzung beim Thema Digitalisierung?

Der Nachholbedarf ist noch immer groß, auch wenn die Industrie etwas besser dasteht als der Handel. Von einzelnen Ausnahmen abgesehen sind veraltete Warenwirtschaftssysteme und fehlende digitale Prozesse an der Tagesordnung. Auch bei der Einbindung digitaler Prozesse in das Gesamtsystem, bei den Themen CRM, datenbasierten Dienste oder Augmented bzw. Virtual Reality gibt es viel Luft nach oben. Hier müssen sich die Unternehmen dringend Hilfe holen, um zukunftsfähig und krisenresilienter aufgestellt zu sein.

Gibt es in der aktuellen Situation denn überhaupt Spielraum für Investitionen?

Auch hier zeigt die Branche ein recht heterogenes Bild. Es ist noch nicht lange her, da haben viele Unternehmen Abschlagszahlungen für die Energiekosten tragen müssen, die ein Vielfaches der „normalen“ Zahlungen betrugen. Darunter hat die Liquidität in einer Zeit gelitten, als die Umsätze bereits rückläufig waren. Die Kapitalbeschaffung ist aktuell grundsätzlich schwieriger geworden und einige Unternehmen sind wegen der konjunkturellen sowie kostenseitigen Entwicklungen angeschlagen. Das macht Investitionen schwierig.

Andere sind nach vielen erfolgreichen Jahren und guten oder glücklichen Entscheidungen auch jetzt noch in der Lage, zu optimieren oder sogar zuzukaufen.

Was sollten Unternehmen jetzt tun, um gegenzusteuern?

Sie müssen ihre Kosten- und Finanzstrukturen dringend auf den Prüfstand stellen. Liquidität ist in der aktuellen Phase fast wichtiger als das Ergebnis. Darüber hinaus gibt es eine lange Liste an Hausaufgaben, die sich von Segment zu Segment unterscheidet.

In der Industrie sind jetzt die Unternehmen im Vorteil, die eine starke Marke haben und in punkto Beschaffung, Produktion und Organisation exzellent aufgestellt sind. Das heißt, die Firmen haben ihre operativen Prozesse und ihr Working Capital optimiert, sind veränderungsbereit, digital und haben das Thema Nachhaltigkeit zu einem inhärenten Bestanteil ihres Geschäftsmodells gemacht. Auch Unternehmen mit einem starken Leistungs- und Produktportfolio sind jetzt wettbewerbsfähiger als ihre Konkurrenz, auch in der Ansprache von neuen Mitarbeitenden.

Im Handel sieht es etwas anders aus. Hier profitieren die, die ihre Kunden pflegen und durch professionelle Beratung, Verbundverkauf oder gute After Sales-Maßnahmen zu begeistern wissen. Außerdem ist eine stabile Kundenfrequenz wichtig, sowohl stationär als auch online. Dazu brauchen Sie einen starken, zeitgemäßen Marketingmix, eine herausragende Kommunikation und Sie müssen einzigartige Kundenerlebnisse bieten. Außerdem sollten Sie ihre operativen Prozesse und Ihre Kostenstruktur natürlich im Griff haben.

Welches Potenzial sehen Sie für neue Geschäftsmodelle wie Miete, Customized Möbel oder kostenpflichtige Handwerkerservices?

In Metropolen oder großen Städten sind Mietmodelle, insbesondere durch oftmals absehbare Nutzungsdauer der Mietzeiten, sicher ein interessantes Thema. Markenprodukte werden schon heute gerne gebraucht gekauft. Die Anbindung oder Kooperation mit Handwerkerfirmen oder sogar der Aufbau eines eigenen Handwerkernetzes kann sich lohnen, auch wenn dabei einige rechtliche Fragen zu beachten sind.

Nach meiner Überzeugung ist jetzt genau die richtige Zeit, über neue Geschäftsmodelle nachzudenken oder sie zu testen. Neben allen drängenden, aktuellen operativen Themen müssen sich die Verantwortlichen in den Unternehmen auch darüber Gedanken machen, wie es strategisch weitergehen soll.

Herr Fahrig, wie schätzen Sie die Entwicklung in der Möbelbranche in den nächsten ein bis zwei Jahren ein?

Ich denke, dass sich die Probleme erst einmal weiter verschärfen werden. Zinsen und Baukosten werden nicht so schnell sinken, dass sich die Baukrise entschärft. Die Lebenshaltungskosten sowie die Verunsicherung innerhalb der Bevölkerung sind und bleiben aller Voraussicht nach ebenfalls auf einem hohen Niveau. Zudem gibt es geo- und wirtschaftspolitisch viele weitere Risikofaktoren, die aktuell wenig Anlass zu Optimismus bieten.

Glauben Sie, dass es im Zuge der aktuellen Krise in der Branche zu einer Insolvenzwelle kommen wird?

Ich fürchte, es wird zunehmend mehr Insolvenzen geben. Davon wird die Industrie voraussichtlich stärker betroffen sein als der Handel. Aber im Handel kann die aktuelle Situation zu gewollter und ungewollter Konsolidierung führen. Die Maßnahmen zur Abwendung der Probleme lassen sich nicht so schnell umsetzen. Diese Krise wird nicht nur einige Unternehmen aus Handel und Industrie treffen, sondern auch einigen Banken und Kapitalgebern wehtun. Empfehlen kann ich dazu den aktuellen Beitrag des WDR zum Thema "Möbelbauer in der Krise", der diese Einschätzung untermauert.

Herzlichen Dank für das aufschlußreiche Gespräch, Herr Fahrig.


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