Kaufen Sie auch Premiummarken und sparen beim Discounter? Aktuelle Studien zeigen: Die Preissensibilität der Deutschen ist weiter gestiegen. Parallel steigt aber auch das Marktvolumen für Luxusgüter. Hersteller und Handel stehen unter Druck: Wie sollen sie den richtigen Kurs finden – zwischen Preissensibilität und Kundenloyalität? Marketing-Experte Peter Klein findet, Unternehmen sollten sich auf den Wert ihrer Produkte fokussieren. In den meisten Unternehmen fehlt aber eine klare, professionelle Preisstrategie, erstellt von einem spezialisierten Pricing-Team. Wie geht es besser?
Herr Klein, welche Entwicklungen beobachten Sie aktuell im Konsumentenverhalten?
Dass sich der Konsum immer stärker differenziert. Es gibt den Basiskonsum, bei dem sehr auf den Preis geachtet wird – der gilt vorrangig bei Artikeln für den täglichen Bedarf. Demgegenüber steht aber der Genusskonsum, der deutlich zeigt: Endkonsument:innen sind parallel bereit, relativ viel Geld auszugeben, um beispielsweise essen zu gehen.
Also selektiertes Geldausgeben bei Genuss- und vielleicht auch Luxusgütern?
Genau. Teure Modelabels haben beispielsweise nicht länger nur eine spezielle Zielgruppe. Sie ziehen mittlerweile auch junge Erwachsene an, die bereit sind, sehr viel Geld für ein Luxusgut – und damit für ein Image – auszugeben. Dafür sparen die Konsument:innen an anderen Enden. Das sind die Reaktionen im Moment.
Wie geht es auf der Hersteller- und Handelsseite zu?
Dort sind die Reaktionen reaktiv bis panisch. Wir beobachten seit einer geraumen Weile viel Aktionismus. Promotionen, Rabatte, Sonderaktionen, Inflationszuschläge. Es wird versucht, den Markt zu beruhigen: Volumen- und Umsatzverluste sollen über reduzierte Preise kompensiert werden. Das ist eine Maßnahme, die aber nur kurzfristig wirkt. So gehen Hersteller und Handel noch nicht mal taktisch mit dem Wandel um. Liegt der Fokus auf Absatzsicherung, nicht auf Wertschöpfung, wird Wert vernichtet. So werden Konsument:innen langfristig auf den billigsten Preis trainiert, nicht aber auf den besten Wert.
Besser wäre?
Besser wäre, würde der Wert der Ware strategisch genutzt, statt die Preise zu senken. Denn mit der Preiserosion sinkt das Markenvertrauen auf Kundenseite. Luxusmarken wie Louis Vuitton oder Miele bieten nie Aktionen an. Sie führen die Märkte, die wiederum reagieren. Sonst verlören sie die Wertschöpfung aus den Augen und damit die Preishoheit.
Was passiert dahingehend im Automobilmarkt?
Der Automobilhandel dreht die Preisspirale seit einer Weile zurück. Hersteller räumen Händlern keinen Verhandlungsspielraum mehr ein. Es gelten nun festgelegte Rabatte, an die sich der Handel halten muss. Warum? Weil der Preis eines Premiummodells wie Mercedes eine strategisch so wichtige Dimension ist, dass sie nicht länger dem Handel überlassen wird. Im Konsumgüterhandel wird teils entgegengesteuert, indem Firmen ihre Preise differenzieren – nach Zielgruppen, nach Kanälen, nach Kundensegmenten und Einkaufssituationen. Das ist eine Form der Preisintelligenz, die ich in Deutschland als völlig unausgeschöpft wahrnehme.
Was schlagen Sie vor?
Konsument:innen sollte eine nachvollziehbare Wertlogik vermittelt werden: die Qualität, der Nutzen der Produkte oder der Leistungen und damit verbunden: Preistransparenz. Marken wie Bosch, Miele, Vorwerk oder Thermomix fahren eine transparente und logische Preisstrategie. Kundenseitig erreichen sie über ihre Wertkommunikation den Effekt, dass ihre Ware als hochqualitativ und langlebig wahrgenommen wird. Es gilt, dass Qualität ihren Preis hat und deswegen gelingt es bestimmten Marken auch, Kundenloyalität aufzubauen. Der Preis spielt auch eine Rolle, aber keine vordergründige. Verkauft wird über einen dauerhaften Wert. Den wenigsten Firmen gelingt es aber wirklich, eine vernünftige Preisstrategie – und damit verbunden – auch eine klare Wertkommunikation zu erreichen. Denn das Pricing, und das ist das Kernproblem, liegt häufig in der Verantwortung des Vertriebs.
Sie plädieren also dafür, dass die Preisstrategie nicht vom Vertrieb eines Unternehmens gesteuert wird.
Nicht ausschließlich. Denn der Vertrieb wird an ganz anderen Größen gemessen: Er muss das Volumen pushen und den Umsatz steigern. Ich beobachte aber auch, dass Pricing im Controlling angedockt wird. Für das Controlling ist wiederum nur Profit das Wichtigste. Es will die Ausgaben bremsen und damit auch das Marketing, was gute Sichtbarkeit als das Wichtigste erachtet und in Promotions investiert. Fast jeder Bereich ist der Meinung, beim Preis mitreden zu können. Aber jeder verfolgt andere Interessen, das wird zum Problem. Schlussendlich hat das Pricing kein eigenes Mandat. Das ist Chaos. Pricing darf aber nicht zum Spielball der verschiedenen Interessen werden. Die Konsequenz daraus ist eine unklare Preislogik. Das erkennt man an den Rabattaktionen da draußen, die Preisbewegung ist unschlüssig. Unternehmen verschenken da wirklich viel Potential. Wenn Unternehmen keine klaren Verantwortlichen fürs Pricing haben, entsteht eine Art Machtvakuum. Die Preisgestaltung unterliegt dann zunehmend dem Zufall und wird nicht als strategischer Ertragshebel gesehen. Am Ende hat man eigentlich immer Verlierer.
An welchem Hebel sollten Unternehmen stattdessen ziehen?
Sie müssen ihre Preise in Verbindung mit dem Kundennutzen festlegen. Wer ist meine Zielgruppe? Was ist der Nutzen meiner Produkte für meine Zielgruppe? Und was ist meine Zielgruppe bereit, für diesen Nutzen zu zahlen? Diese Nutzeninformation ist oft eine Blackbox für Controlling, Vertrieb und Management. Kennen Unternehmen die Wertdimensionen ihrer Zielgruppe nicht, können sie sie nicht in ihrer Produktkommunikation adressieren. Erst die Beschäftigung mit Kund:innen, Werten und Nutzen ermöglicht, die Kommunikationsmaßnahmen darauf abzustellen. Es ist Psychologie. Größere internationale Marken verwenden viel Energie darauf, die psychologischen Effekte von Kaufverhalten und von Preisen zu analysieren.
Welche Ansätze werden international genutzt?
Im B2B sind es Value Added Selling und Value Based Selling. Während sich Value Added Selling auf den konkreten wirtschaftlichen und strategischen Mehrwert eines Kaufs konzentriert, orientiert sich Value Based Selling direkt am ökonomischen und strategischen Wert – aber aus der Sicht der Kund:innen. Beim Value Based Selling wird der Preis anhand des für die Kund:innen geschaffenen Nutzens festgelegt. Entscheidende Frage ist hierbei: Welchen ökonomischen und strategischen Wert hat ein Produkt oder eine Lösung aus Kundensicht? Kaufentscheidungen erfolgen auf Basis von Kennzahlen wie Return on Investment (ROI), Prozessverbesserungen und Risikominimierung. Dieser Ansatz erfordert ein hohes Maß an Transparenz, das macht ihn auch besonders komplex. Im Mittelpunkt steht ja nicht der Preis oder einzelne Produkt-Features, sondern der Mehrwert, den die Kund:innen durch die Lösung erhalten. So differenzieren sich Marken über den gebotenen Mehrwert und reduzieren dadurch gleichzeitig die Preissensitivität ihrer Kund:innen. Diesen Ansatz beobachte ich eher im deutschen Maschinen- und Anlagenbau.
Sie sagen, Pricing dürfe nicht zum Spielball verschiedener Interessen im Unternehmen werden. Wie sollte Pricing dann organisatorisch verankert sein?
Pricing muss nicht bei einer Person oder einer dezidierte Abteilung liegen, es braucht aber eine zentrale interdisziplinäre Einheit oder einen Bereich mit klarer Verantwortung für Pricing, der direkt an den oder die CEO angebunden ist. Das ist ein wichtiger Hebel. Pricing ist eine Strategie. Und Strategie ist eine Führungsaufgabe. Eine professionelle Pricing-Einheit hat sehr positive Auswirkungen auf die Unternehmensleistung. Sie kann die EBIT-Marge um zwei bis fünf Prozentpunkte steigern. Das belegt unter anderem eine Studie von De Toni aus dem Jahr 2017. Eine spezialisierte Pricing-Abteilung kann also signifikante Verbesserungen in der Unternehmensprofitabilität erzielen, das ist dokumentiert. Ich habe Unternehmen kennengelernt, deren Pricing-Teams “Revenue Growth Management Teams” genannt wurden. Diese Teams arbeiteten interdisziplinär an Strategien, an Preis, Packungsgröße, Promotion und Kaufanlässen. Sie näherten sich dem Thema Pricing ganzheitlich und strategisch.
Wenn Sie ein interdisziplinäres Pricing-Team vorschlagen, sollten dann eigene Ressourcen – bspw. aus Supply Chain, Produktion, Marketing, Sales, After Sales – dafür gebündelt werden?
Richtig, sie berichten als Team, Einheit oder Abteilung direkt an die CEOs, das ist das Entscheidende.
Oftmals sind Kompetenzen in Betriebswirtschaft, klassischem Controlling, Marketing und Sales vorhanden. Welche unterschätzten Kompetenzen braucht ein interdisziplinäres Pricing-Team?
Was fehlt sind Datenkompetenz, marktanalytische Fähigkeiten und kaufpsychologisches Verständnis. Ein spezialisiertes Pricing-Team ist in der Lage, aus Daten Kundennutzen abzuleiten, sie in Produktkonzepte, Vermarktungskonzepte, Promotion- und Verpackungskonzepte für verschiedene Kanäle zu übersetzen. Storytelling ist nur ein Stichwort. Letztendlich geht es darum, ein neuronales Verständnis über Kauf, Soziologie und Konsumverhalten zu gewinnen. Was ist die Psychologie dahinter? Darum geht es. In einem zunehmend schwierigen, volatilen, kompetitiven und auch gesättigten Markt wird es für viele Firmen nicht ausreichen, einfach ihre Kund:innen zu kennen. Es wird darum gehen, den Ertrag durch einen optimalen Preis zu steigern. Und das nicht durch mehr Verkäufe, sondern durch profitable Verkäufe. Über niedrige Preise wird kein Wettbewerb gewonnen, über Niedrigpreise werden Unternehmen auch nicht wirklich profitabel wachsen können. Das funktioniert nur über eine kluge Preis-Wert-Positionierung.
Das heißt, die Denkrichtung ist eine ganz andere.
Richtig, sie bewegt sich von "Was kostet es?" zu "Was ist es unseren Kund:innen wert?". Marken mit Heritage, Marken, die einen besonderen Service bieten, Marken, die bedienerfreundliche Produkte, herstellen sind ihren Kunden relativ viel wert – aus unterschiedlichen Motivationen heraus. Ich plädiere für die Stärkung der Werte. Viele Unternehmen schaffen es, den Markt zu führen statt auf den Markt zu reagieren. Und ja, das ist leichter gesagt als getan, aber gutes Pricing bedeutet, nicht über den Preis zu reden.
Vielen Dank für Ihre Insights, Herr Klein.