Unternehmen, die Global Sourcing betreiben, wird in Krisensituationen schmerzlich bewusst, wie empfindlich sie Störungen der Lieferketten treffen und ihnen wirtschaftlichen Schaden zufügen können.
Wie können Unternehmen proaktiv handeln, um im Fall von drohenden oder sogar akuten Liefer- und Versorgungsengpässen gut vorbereitet zu sein? Rainer E. Volk, Managing Consultant bei enomyc, hat sich der vorliegenden Thematik gewidmet.
Bedingt durch Global Sourcing-Ansätze haben sich viele der ehemals klassischen Bezugsquellen und Lieferströme – meist über kürzere Distanzen innerhalb von Deutschland oder Europa abgedeckt – in ferne Regionen verlagert. Das ist ein bis heute anhaltender Trend, um insbesondere die Beschaffungskosten unter den sich ständig verschärfenden Wettbewerbsbedingungen weiter zu minimieren.
Damit geht allerdings einher, dass die Komplexität der Geschäftsbeziehungen zunimmt, das notwendige Lieferanten-Management angepasst und ein proaktives Risikomanagement etabliert werden muss. Ziel ist es, mögliche Versorgungsrisiken von vornherein weitestgehend auszuschließen und so die Lieferfähigkeit auch in Krisensituationen dauerhaft aufrechtzuerhalten. Völlig unabhängig von Branche, Standort oder Unternehmensgröße wird Unternehmen, die Global Sourcing betreiben, in Krisensituationen schmerzlich bewusst, wie empfindlich sie Störungen der Lieferketten treffen und ihnen wirtschaftlichen Schaden zufügen können.
Wie können Unternehmen hier proaktiv handeln und sich bestmöglich auf Versorgungsunterbrechungen vorbereiten? Wie können sie außerdem den bereits entstandenen Schaden aus Lieferengpässen oder Versorgungslücken so gering wie möglich halten und zeitlich befristen?
Zwischen „Unterbrechungen der Lieferkette“ differenzieren
Eine Unterbrechung der Lieferkette erfordert – insbesondere hinsichtlich möglicher Gegenmaßnahmen – eine differenzierte Betrachtung. Hier gelten drei Fälle:
- Akut: Die Versorgungsunterbrechung ist bereits eingetreten.
- Drohend oder latent: Die Versorgung ist noch gewährleistet, droht aber sehr kurzfristig abzubrechen.
- Potenziell: Akut gibt es keine Versorgungsengpässe, aber aufgrund der Sourcing- Strategie und der Art der Geschäftsbeziehung (bspw. Single Sourcing) sind sie theoretisch denkbar.
Szenario 1: Bereits eingetretene Ausfälle in der Versorgungskette
Bei werkzeuggebunden Komponenten mit einer höheren Komplexität und ausschließlich einem Lieferanten, ist eine Lösung sicher nicht trivial, aber nicht unmöglich. Je höher die Anforderung an das Erzeugnis und die Abhängigkeit von nur einem oder sehr wenigen Anbietern desto höher werden allerdings der Aufwand und die Transaktionskosten für entsprechende Ausweichszenarien sein. Hierzu muss jeder Einzelfall genau geprüft und mögliche Handlungswege in Betracht gezogen werden.
Zunächst jedoch fallen Kosten an – unter anderem Verlagerungs- oder Anlaufkosten sowie Kosten für Werkzeugneubeschaffung. Auch ein Lieferantenwechsel verursacht immer zusätzlichen Aufwand, beispielsweise durch notwendige Erprobungen, Freigabeverfahren und mehr. Beim Single Sourcing-Ansatz haben Unternehmen einen aktiven (B2B)Kontakt für eine Komponente. Andere, potenzielle Anbieter oder Zweitlieferanten für exakt diese Komponente wurden häufig länger nicht mehr bedacht und aus dem Lieferantenportfolio ausgephast. Oft ist in einer solchen Konstellation ein kurzfristiger Zugang zu alternativen Anbietern erschwert.
Sofern entsprechende Maßnahmen nicht schon längst eingeleitet wurden – meist ein Ergebnis weit zurückliegender Entscheidungen – ist auch der Faktor Zeit ein Gegenspieler, der kaum eingeholt werden kann. Er erlaubt keine zeitintensiven Marktuntersuchungen, um akute Probleme zu lösen. An dieser Stelle können erfahrene Experten eingreifen, indem sie den Prozess aktiv steuern, notwendige Maßnahmen identifizieren und gemeinsam mit den am Prozess beteiligten Akteuren umsetzen.
Szenario 2: Funktionierende Lieferkette mit drohendem Risiko
Auch in dieser Situation ist die Zeit knapp. Dennoch: So lange die Lieferkette noch funktioniert, ist die Handlungsfreiheit größer und es bieten sich mehr Lösungsansätze an.
Erkennen Unternehmen ein latentes Risiko, ist sofortiger Handlungsbedarf gegeben: Es muss ein aktives Risiko-Management innerhalb des Lieferanten-Managements in Gang gesetzt und alle erforderlichen Maßnahmen ausgelöst werden. Dazu sind Notfall-Szenarien mit bestehenden Lieferanten, aber auch mit alternativen Bezugsquellen denkbar.
Unsere langjährige Erfahrung im strategischen Einkaufsmanagement zeigt, dass in dieser Situation der Status Quo innerhalb kürzester Zeit erfasst und ein geeignetes Maßnahmenprogramm aufgesetzt werden muss. Dazu gehört die qualifizierte Analyse und Klassifizierung von potenziellen Risiken mit nachgeschalteten Maßnahmenoptionen und Umsetzungsplänen sowie geeigneten Monitoring Tools. Der gesamte nachfolgende Prozess sollte fachkundig begleitet und betroffenen Unternehmen Wege aufgezeigt werden, wie derlei Ereignisse bzw. ihre negativen Auswirkungen in Zukunft erheblich reduziert, wenn nicht sogar weitestgehend ausgeschlossen werden können.
Die Einkaufswelten haben sich im Laufe der Jahre vor dem Hintergrund des Global Sourcing signifikant verändert. Allerdings führte nicht jede neue Idee, jede neue Maßnahme und der Bruch mit bewährten Methoden oder funktionierenden Regelwerken nachhaltig zum Ziel. So haben sich strategische Partnerschaften mit Lieferanten – unter anderem geprägt durch eine aktive, offene und gleichsam partnerschaftliche Gestaltung von Geschäftsbeziehungen – in vielen Krisensituationen bezahlt gemacht und Unternehmen bewahrt.
Die Randbedingungen und Spielregeln des Szenarios „Drohendes Risiko“ sind durchaus ähnlich zum Szenario des akuten Ausfalls: Das betroffene Unternehmen wird auch hier nicht umhinkommen, die „lessons learnt“ aus dieser Situation zu ziehen und sie in seine aktuelle und auch künftige Einkaufsphilosophie und -strategie mit einfließen zu lassen.
Szenario 3: Potenzielle Liefer- und Versorgungsengpässe
In diesem Szenario steht nicht der akute Handlungsdruck im Vordergrund, sondern die strategische Komponente. Mögliche Risiken und resultierende Effekte in der Lieferkette sind frühzeitig zu antizipieren und geeignete (Gegen)-Maßnahmen zu definieren. Gleichwohl: Unternehmen können proaktiv handeln, um im Fall von drohenden oder sogar akuten Liefer- und Versorgungsengpässen gut vorbereitet zu sein.
Konkret bedeutet das insbesondere: Das Gefährdungspotenzial der Lieferketten in technischer, qualitativer sowie kommerzieller Sicht ist rechtzeitig analytisch zu bewerten. Auf dieser Basis sind die notwendigen Maßnahmenprogramme zu definieren und rechtzeitig vor Eintreten einer konkreten Krisensituation konsequent umzusetzen.
In dieser Herangehensweise steckt ein enormes Kostenoptimierungspotenzial – nicht nur weil drohende Kosten zur Schadensbehebung weitestgehend vermieden werden können: Positive Effekte werden insbesondere dann erzielt, wenn durch eine frühzeitig eingeleitete und von allen Prozessteilnehmern – innerhalb und außerhalb des Unternehmens – aktiv umgesetzte Absicherung greift, die sich nicht nur am Einkaufspreis sondern an den Gesamtkosten (TCO) orientiert.
Das betrifft unter anderem die Lieferantenauswahl, die strategische Lieferantenentwicklung sowie Methoden des Risikomanagements, um nur einige Aspekte zu nennen. Diese Betrachtungsweise führt schlussendlich zu einer Revision der jeweils gelebten Einkaufspolitik sowie der Einkaufsstrategie.
Welche Fragen beschäftigen Sie aktuell rund um diese Thematik? Lassen Sie uns diese gern im gemeinsamen Gespräch durchdenken. Wir freuen uns auf Ihre Kontaktaufnahme.