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Während die Nachfrage an Gartenmöbeln steigt, winkt die Lufthansa mit der “Home-Coming-Garantie” und zeigt damit klar: Homogene Kundenbedürfnisse können gerade in Krisenzeiten ausgemacht und in intelligente und profitable Serviceleistungen überführt werden.  

Welcher Service hat Sie zuletzt begeistert und warum?  

Diese Frage haben wir auch Jan Ulrik Holsten, Partner bei enomyc, in unserer aktuellen Podcast-Folge gestellt. Er findet: „Gerade in Krisenzeiten, in denen die Kaufkraft sinkt, steigt der Anspruch an die „Customer Journey“. Marken und Unternehmen sollten jetzt verstärkt Services implementieren oder ihr bestehendes Service-Portfolio weiterentwickeln.” 

Wie kann das Service-Geschäft organisatorisch im Unternehmen verankert werden und welche Anforderungen ergeben sich daraus für den Service-Vertrieb?  

Herr Holsten, worauf kommt es Ihnen persönlich im Service an?
Service ist dann für mich gut, wenn ich ein Service-Erlebnis habe, wenn ich begeistert bin und mich motiviert fühle, Leistungen in Anspruch zu nehmen. Das ist nicht immer der Fall. Deswegen unterscheide ich bei Service auch frei nach Herzberg zwischen Service, den ich als Hygienefaktor bezeichne – also Leistungen, wo auffällt, wenn sie schlecht oder nicht vorhanden sind – und Leistungen, die dazu beitragen, zu differenzieren und dieses Service-Erlebnis zu entfachen.

Welche Service-Leistung hat Sie zuletzt beeindruckt?
Da gibt es einige. Ich denke, es ist zunächst wichtig, zwischen Leistungen zu unterscheiden, die im B2B oder B2C angeboten werden – obgleich allen eine Sache gemeinsam ist: Service zielt darauf ab, Kunden rundum sorglos zufriedenzustellen. Im B2B spielt das Preis-Leistungsverhältnis eine größere Rolle als im B2C. Menschen verhalten sich bei der Realisierung persönlicher Präferenzen aus wirtschaftlicher Sicht manchmal irrational, sodass die Service-Leistung stärker im Vordergrund steht, als der Preis.

Um ein Beispiel aus dem B2B zu nennen: Ich habe für ein Unternehmen gearbeitet, das Verpackungsmaschinen für die pharmazeutische Industrie herstellt und weltweit verkauft. Für den Service ergeben sich daraus z. B. mit Blick auf Reaktionszeiten, Sprachen und Vorort-Präsenz große Herausforderungen. Ein Erfolgsrezept der Firma lag darin, Digitalisierungstechnologien im Bereich der Maschinenwartung und Instandhaltung auszubauen. 

Die Schlagworte lauten hier „Predictive Maintenance” und „Augmented Reality”: Es wurde beispielsweise eine Brille entwickelt, mit der Techniker am Stammsitz erkennen konnten, was die Service-Techniker 10.000 km weit entfernt gesehen haben. Ergänzt wurde das Ganze mit Prozesskonzepten, beispielsweise einer intelligenten Ersatzteilbevorratung, sodass einzelne Kunden von einer Gesamtbevorratungsstrategie profitieren konnten.

Können Sie weitere Beispiele aus dem B2C nennen? Welche Unternehmen machen es Ihres Erachtens richtig?
Aus unternehmerischer Sicht fallen mir sofort zwei weitere Beispiele ein: Nespresso und HP profitieren von ihrem Service-Geschäft, indem sie eine Technologie günstig in den Markt gebracht haben – in diesem Fall Espressomaschinen und Drucker – und ihr Service-Geschäft auf den Verbrauchsprodukten aufgebaut haben, auf die ihre Kunden angewiesen sind: Espressokapseln und Druckerpatronen. Dadurch haben beide Marken eine deutlich höhere Marge realisiert, als es über den Verkauf der Hardware möglich gewesen wäre.

Persönlich finde ich einige Service-Leistungen aus dem Online-Handel überzeugend. Nehmen wir Amazon: Der Branchenriese bietet mir die Möglichkeit, mich detailliert mit Produkten auseinanderzusetzen, sie zu vergleichen, ihre Verfügbarkeit zu prüfen und Rezensionen anderer Käufer zu lesen. Auch meine Einkaufshistorie ist jederzeit für mich einsehbar, sodass ich Produkte einfach per Klick erneut kaufen kann. Das überzeugt mich. Ein weiteres Beispiel aus der Bahnindustrie: Wenn ich nach dem Einsteigen eigentlich damit rechne, dass zuerst meine Fahrkarte kontrolliert wird, ich aber stattdessen gefragt werde, was ich trinken möchte und am Sitzplatz bedient werde – das erzeugt ein gutes Gefühl.

Denken wir an den Begriff „Servicewüste”, den Prof. Hermann Simon 1995 prägte: Finden Sie, dass sich Service-Leistungen in Deutschland seither positiv entwickelt haben?
Hermann Simon ist einer der Pioniere, der sich explizit – vor allem in seinen Büchern zu „Hidden Champions" – mit der Frage auseinandergesetzt hat, wie Service zu einer Weiterentwicklung von Geschäftsmodellen beitragen kann. In den 1990ern war der Begriff „Servicewüste" in vielen Branchen durchaus berechtigt. Viele werden sich erinnern: Suchte man beispielsweise ein bestimmtes Kleidungsstück, ging man – in der Hoffnung, es zu finden – in ein Textilgeschäft. Fand man es, stand man dann lange an der Kasse, kaufte es und ging. Das war das Kauferlebnis seinerzeit.

Heute ist das Service-Erlebnis ein ganz anderes: Der stationäre Einzelhandel bietet eine deutlich größere Produktvielfalt an, sodass gewünschte Produkte auch gefunden werden – Stichwort „One-Stop-Shop“. Die Öffnungszeiten sind verlängert – auch an Wochenenden. Es gibt Kombinationen, beispielsweise Shopping in Verbindung mit Cafés, sodass Kunden mit ihrem Einkauf ein Erlebnis verbinden. Gekaufte Ware muss nicht unbedingt mitgenommen werden, sondern wird auch komfortabel nach Hause geschickt. Und es gibt inzwischen viele weitere Annehmlichkeiten mehr.

Dennoch unterschätzen viele Unternehmen weiterhin den Impact eines servicebasierten Geschäftsmodells. Sie widmeten sich kürzlich der Thematik "Wachstumstreiber Service in Zeiten der Krise". Warum sollten sich Unternehmen Ihres Erachtens ausgerechnet jetzt verstärkt mit den Möglichkeiten eines servicebasierten Geschäftsmodells auseinandersetzen?
Das hat zwei Gründe: Zum einen ist Service schon immer ein antizyklisches Geschäft und wird es auch bleiben. In Zeiten konjunkturellen Abschwungs profitiert das Service-Geschäft verstärkt: Insbesondere im Industriebereich können Firmen entscheiden, ob sie in ein Anlageprodukt oder stattdessen in Instandhaltung und Service investieren. Nehmen wir einen Hersteller von Landmaschinen: In dem Bereich ist klassischerweise zu beobachten, dass sich die Nutzungszeiträume einer Erstausrüstung in Krisenzeiten deutlich verlängern. Ein Produkt, das sonst durchschnittlich drei Jahre genutzt wurde, wird in Krisenzeiten auch mal doppelt so lange genutzt. Damit das funktionieren kann, müssen Maschinen in dieser Zeit instand gehalten und optimiert werden.

Die zweite Komponente ist durch Corona selbst gegeben: Unternehmen entdecken die Digitalisierung für sich oder stellen fest, was Digitalisierung ihnen in Krisenzeiten ermöglicht. Ich glaube, dass digitale Geschäftsmodelle durch die Corona-Krise einen enormen Rückenwind bekommen haben. Mit Blick auf den stationären Handel werden sich viele Verbraucher überlegen, ob sie zukünftig vor der Ladentür Schlange stehen möchten, um dann ein eingeschränktes Sortiment vorzufinden, nur eingeschränkt qualifiziert beraten zu werden, tendenziell überteuerte Preise zu zahlen – und das alles verbunden mit der Sorge, sich vielleicht anzustecken.

Können denn die Verluste, die durch fehlende Investitionen in Neuprodukte eingefahren werden, durch das Service-Geschäft aufgewogen werden?
Üblicherweise gibt es einen latenten Konflikt im Vertrieb zwischen dem sogenannten Neu- bzw. Hauptprodukt- und dem Service-Produkt. In dem Moment, in dem ein Neuprodukt verkauft wird, kann nur weniger Service verkauft werden. Umgekehrt wird ein Hauptprodukt benötigt, um überhaupt Service-Leistungen verkaufen zu können. Die Industrie spricht hier von einer „installierten Basis“ oder einer „Maschinenpopulation“, die im Markt ist und damit den relevanten Markt oder die Marktgröße definiert, für die Service-Leistungen erbracht werden können. Unternehmen benötigen auf Prozessebene klare Regeln, wie sie mit einer solchen vordergründig konfliktbehafteten Situation umgehen wollen.

Es wirkt, als würden viele Unternehmen Service eher als Teilbereich mitlaufen lassen oder dass er nur stiefmütterlich behandelt wird. Macht es aus Ihrer Sicht Sinn, Service organisatorisch als eine eigene Unit im Unternehmen zu installieren – konsequent mit einem eigenen Service-Vertrieb?
Das lässt sich nicht pauschal beantworten. Es hängt davon ab, welche Überzeugungen das Management hat und welche Strategie das Unternehmen verfolgt, welchen Prozessreifegrad es hat und mit welchen Menschen es arbeitet.

Wenn aber ein Unternehmen, was stark produktfokussiert ist, das Ziel verfolgt, sein Service-Geschäft signifikant auszubauen, dann ist es wichtig, es auch organisatorisch gleichwertig zum Produktgeschäft zu verankern. Es kann dadurch geschehen, dass man den Service aus einer Funktion, wo er üblicherweise angesiedelt ist – häufig heißt diese Funktion „Vertrieb und Service“ – herauslöst und in eine eigenständige Einheit überführt wird. Das machen Unternehmen in ganz unterschiedlichen Ausprägungsgraden. Das Kontinuum reicht von der Gründung einer eigenständigen Funktion bis hin zu einer rechtlich selbständigen Einheit.



Sie haben in der Vergangenheit eine Studie mit mehr als 80 Unternehmen im B2B durchgeführt und sie auf zwei Kriterien hin geprüft. Zum einen auf die organisatorische Verankerung des Service-Portfolios, zum anderen auf die aktive, professionelle Weiterentwicklung dessen. Was waren die Erkenntnisse daraus?
Wir haben uns angeschaut, welche Performance die Unternehmen im Service, aber auch insgesamt haben und haben diese Unternehmen dann in unterschiedliche Klassen eingeteilt. Wir sprechen von „High Performern" und „Low Performern". Daraufhin haben wir die Ausprägung unterschiedlicher Service-Merkmale genauer betrachtet. Im nächsten Schritt prüften wir über eine Korrelationsanalyse welche Merkmale einen High Performer und welche einen Low Performer kennzeichnen.

Zu den Erkenntnissen: Es ist aufgefallen, dass die Profitabilitätsunterschiede zwischen den High Performern und Low Performern signifikant waren: Wir stellten fest, dass bei einer durchschnittlichen EBIT Marge – in dieser Branche betrug sie 7 Prozent – das Service-Geschäft eine wesentlich höhere Marge angeboten hat: Der Mittelwert lag bei 18 Prozent. In der Spitze waren es über 37 Prozent.

Führt man sich vor Augen, dass die Service-Quote der betrachteten Unternehmen im Schnitt bei zehn bis 15 Prozent lag – bei Unternehmen allerdings, die das Service-Geschäft professionell betreiben, bei 25 Prozent – dann lässt sich daraus ganz einfach mathematisch ableiten, welche Profitabilitätspotenziale auch für Low Performer enthalten sind. Im Durchschnitt haben wir ein Potenzial zur EBIT-Verbesserung um sechs Prozentpunkte festgestellt. Das ist enorm!

Welche Handlungsempfehlungen leiten Sie daraus für Unternehmen ab?
Die auffälligsten Korrelationen ließen darauf schließen, dass ein erfolgreiches Service-Geschäft in der Industrie als Profitcenter gleichwertig zum Hauptproduktgeschäft organisatorisch verankert werden sollte. Das ist eine wichtige Voraussetzung, um gleichberechtigten Zugang zu knappen Ressourcen wie Investitionen und Budgets zu erhalten.

Zum anderen zeigte sich, dass Unternehmen, die ihr Service-Portfolio konsequent und professionell weiterentwickelten, deutlich erfolgreicher waren, als andere. Neben der reinen Weiterentwicklung spielt auch Differenzierung hier eine wichtige Rolle, um beispielsweise durch Produktvariation im Service noch besser individuelle Präferenzstrukturen auf Kundenseite bedienen zu können.

Wie können große Unternehmen auf veränderte Kundenbedürfnisse reagieren und ihren Kunden ein Service-Erlebnis bieten?
Es ist häufig zu beobachten, dass vor allem kleinere Unternehmen und Start Ups Service zu ihrem Geschäftsmodell gemacht haben. Da verwundert es nicht, dass große Unternehmen teilweise ganz gezielt auf der Suche nach solchen Start Ups sind, um ihre eigene Service-Kompetenz durch Akquisition auszubauen.

Ansonsten folgt die Entwicklung von Service-Produkten den gleichen Spielregeln wie im Hauptprodukt: Anwendung klassischer Marketinginstrumente, um Kundenbedürfnisse zu erkennen und daraus abgeleitet dann Service-Produkte zu entwickeln. Kundenbedürfnisse lassen sich über direkte und indirekte Befragungen feststellen. Auf die Umfrageergebnisse werden in der Regel unterschiedliche Analysen angewendet, die alle ein Ziel haben: zu verstehen, wie sich Kunden in ihren Präferenzstrukturen unterscheiden und wo es Deckungsgleichheit gibt. Daraus lassen sich heute wesentlich besser als früher Kundensegmente und ihre homogenen Bedürfnisse ableiten und in die Produkt- bzw. Service-Entwicklung überführen.

Die Lufthansa hat so ein homogenes Kundenbedürfnis erkannt und daraus eine neue Service-Leistung abgeleitet: die "Home-Coming-Garantie". Was halten Sie von diesem Angebot?
Das ist ein exzellentes Beispiel für eine gelungene Service-Leistung und zeigt, wie es einem Unternehmen gelingt, aus einer Krise heraus, ein homogenes Kundenbedürfnis in eine Service-Leistung zu überführen. Ich denke, vielen Menschen haben trotz Corona das Bedürfnis per Flugzeug in den Urlaub zu reisen. Und den allermeisten ist wohl auch klar, dass eine Änderung der Risikolage und lokale Bestimmungen dazu führen können, dass man im Urlaubsland ‚stranden‘ könnte. Da trägt das Angebot der Lufthansa deutlich zur Risikominimierung bei. Das Angebot bietet außerdem eine gute Geschäftsmöglichkeit für die Lufthansa und ich bin mir sicher, es wird dem Unternehmen den einen oder anderen neuen Kunden in dieser schwierigen Zeit bescheren.

Wäre dieses Service-Angebot für Sie persönlich ein Anreiz, in den Urlaub zu fliegen?

Eindeutig ja. Auch wenn ich im Moment noch unentschieden bin, ob ich dieses Jahr überhaupt verreisen und in den Urlaub fliegen möchte. Aber auch für mich wäre es ein deutliches Paket zusätzlicher Sicherheit, sodass ich mir – sollte ich per Flieger verreisen – sehr genau überlegen würde, mit welcher Airline ich das tun würde.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Holsten.

 

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