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EU-Strafzölle auf Chinas E-Autos: Schutz oder Bumerang?
12:35

Die Nummer ist durch: Seit Ende Oktober erhebt die EU Strafzölle auf chinesische Elektro-Autos. Zu hoch Chinas Subventionen, zu unfair der Wettbewerb: Brüssel zieht Konsequenzen – trotz aller Warnungen aus der deutschen Automobilindustrie. Erwarten die Branche nun massive Preissteigerungen und auch Vergeltungsmaßnahmen aus China? Wird die Nachfrage nach E-Autos wegen der Zölle weiter ausgebremst? Und welchen Effekt haben die Zölle eigentlich auf die deutsche Innovationskraft? Welche Szenarien die deutsche Automobil- und Zuliefererindustrie jetzt durchspielt: Darüber spricht der Experte im aktuellen Interview.

Brüssels beschlossene Strafzölle auf chinesische E-Autos wurden im Vorfeld sehr kontrovers diskutiert. Und auch abgelehnt: Die Automobilindustrie – u.a. VDA und ZdK – warnte vor Preissteigerungen, empfindlichen Gegenreaktionen aus Peking und einem globalen Handelskonflikt. Kanzler Scholz stimmte gegen die Zölle. Herr Zeller, wie bewerten Sie die nun durchgesetzten Maßnahmen?

Ich bin grundsätzlich kein Freund von Protektionismus, und als solchen kann man diese Zölle ja durchaus interpretieren. Insofern kann ich die Position der deutschen Politik und Verbände durchaus nachvollziehen. Diese Zölle verschaffen maximal etwas Aufschub für die europäische Automobilindustrie und kaufen ihr Zeit. Perspektivisch wird sie sich dem globalen Wettbewerb nicht entziehen können. Mit Seitenblick auf das Beispiel Tesla: Tesla rollt als First Mover seit mehr als zehn Jahren – auch in Europa – den Markt für vollelektrische PKWs aus. So gesehen sind die Chinesen nur Fast Follower. Aber bei Tesla wurde völlig anders vorgegangen: Das Unternehmen wurde mit großen Subventionen nach Grünheide gelockt und mit massiven Subventionen unterstützt, statt es aus dem europäischen Markt herauszuhalten. Grundsätzlich muss man auch in der Diskussion berücksichtigen, dass die nun von der EU beschlossenen Zölle nach Hersteller gestaffelt sind. In der öffentlichen Diskussion findet das häufig keine Berücksichtigung.

In der Staffelung, die Sie ansprechen, wurde Tesla neuerdings mit 7,8 statt, wie davor, mit 10% Strafzoll belegt. Tesla hatte zuvor, als Reaktion auf die EU-Zölle, seine Preise angehoben. Was die Zölle für die drei größten chinesischen Hersteller SAIC, BYD und Geely betrifft, fallen sie weit höher aus.

Ja, SAIC zahlt mit 35,3% sogar den Höchstsatz, Geely 18,8%, BYD 17%, die BMW- und VW-Joint-Venture-Partner 20,7%.

Quellen, unter anderem Politico, berichten, die Zölle würden je nach Kooperationsbereitschaft der Hersteller bemessen – genauer: ob sie bereit seien, Information darüber bereitzustellen, wie hoch sie durch den chinesischen Saat subventioniert werden. Finden Sie die Erhebungen nachvollziehbar und fair?

Ich halte es grundsätzlich für sehr schwierig, hier eine „faire“ Bewertung vorzunehmen, zumal ja auch staatliche Subventionen durch China nicht unbedingt beim chinesischen OEM stattfinden müssen, sondern auch in den vorgelagerten Wertschöpfungsstufen. Wir sollten auch nicht vergessen, dass die chinesische Zulieferindustrie – inklusive der dort angesiedelten europäischen und amerikanischen Zulieferbetriebe – mittlerweile sehr umfangreich ausgebaut ist. Das trifft insbesondere auch auf die Zulieferindustrie im Bereich Elektrofahrzeuge zu: Dort hat China gerade durch den hohen Abdeckungsgrad und die Wertschöpfungstiefe – Stichwort Batteriefertigung – eine starke Position aufgebaut. Wenn nun Subventionen eher in den vorgelagerten Wertschöpfungsstufen getätigt werden, macht dies eine Transparenz und Nachvollziehbarkeit noch viel schwieriger. Insofern sehe ich dieses scheinbar differenzierte Vorgehen der EU ebenfalls kritisch.

Kanzler Scholz war im April 2024 in China und plädierte dort – erfolglos – für level playing field. Die chinesischen Subventionen und Überkapazitäten sorgten für Missmut bei deutschen Unternehmen in China. Sie beklagten unfairen Wettbewerb. Sorgen die E-Auto-Zölle nun zwangsweise für etwas Fairness? Wie schätzen Sie das ein?

Ich glaube nicht, dass dieser Ansatz insgesamt der zielführende ist – zumal ja auch mit Gegenreaktionen aus China zu rechnen ist.

Zu einer möglichen ersten titelte Bloomberg “China Asks Carmakers to Halt Europe Expansion Over Tariff Spat”. Keine Suche nach Werken mehr, keine weiteren Vertragsunterzeichnungen, hieß es. Denken wir an BYD, so wollte der Konzern ja sein erstes Europawerk in Ungarn eröffnen und wohl auch zweites in Italien bauen. Sie sagten im Vorgespräch, Sie finden die Reaktion Pekings widersprüchlich. Können Sie das ausführen?

Aus meiner Sicht ist das momentan vor allem ein taktischer Move. Wir werden auch in den nächsten fünf Jahren weitere Direktinvestitionen seitens chinesischer OEM und Zulieferer in Europa sehen. Davon bin ich überzeugt. Es sei denn, Europa verhindert das oder Peking verbietet es. Aber auch diese Szenarien sehe ich nicht kommen.

Nehmen wir mal an, das erwähnte Szenario träte aber ein: Chinesische E-Auto-Hersteller legen tatsächlich ihre Expansionspläne in der EU auf Eis. Welche Auswirkungen hätte das auf die deutsche Automobil- und Zuliefererbranche?

Sollte dieses Szenario stattfinden, dann muss sich die deutsche und europäische Automobilindustrie auf den Weltmärkten trotzdem der chinesischen und – perspektivisch – auch weiterer asiatischer Konkurrenz stellen. Wenn ich ”perspektivisch” sage, dann meine ich damit natürlich nicht die etablierten Spieler aus Japan und Korea, sondern Anbieter aus den Schwellenländern wie beispielsweise Indien oder Malaysia.

Bei aller Kritik an den Strafzöllen: Sie verschaffen der europäischen Automobilindustrie ja doch eine Art Verschnaufpause – Sie sagten eingangs “maximal etwas Aufschub”, weil sie der europäischen Automobilindustrie Zeit kauften. Wie sollte sie diese Zeit bestenfalls nutzen?

Die europäische und insbesondere die deutsche Automobilindustrie sollte jetzt schleunigst Produkte auf den Markt bringen, die eine breite Käuferschicht ansprechen und wirklich überlegene oder zumindest vernünftig nachvollziehbare Preis Leistungs-Verhältnisse bieten. Für Deutschland gilt: zurück zum Innovation Leadership, zurück zu Produkten, die emotional ansprechen, die einen wirklichen „Haben Wollen-Effekt“ auslösen, zurück zum wettbewerbsfähigen Preis-Leistungsverhältnis. Inwiefern sich das in Deutschland und an deutschen Standorten realisieren lässt, ist allerdings eine ganz andere Debatte. Noch fehlen solche Produkte in Deutschland. Und kurzfristig kann der Mangel nicht kompensiert werden. Die Entwicklungszyklen sind einfach zu lang. Nur Autos, die bereits Marktreife haben, können das schaffen. Und genau in diese Kerbe schlagen die chinesischen Hersteller.

Der heutige Wirtschaftsminister Habeck sagte 2019 zum damaligen VW-Konzernchef Herbert Diess: "Wenn Sie 2025 kein E-Mobil für unter 20.000 Euro anbieten, dann werden Sie – so fürchte ich – im Markt scheitern." Gibt es europäische Hersteller, die in der Zwischenzeit besser agiert haben?

Zu VW: Sein klassischer USP, mindestens aber seine Value Proposition, war ja ein Wagen für das Volk. Gute Leistung und bezahlbare Produkte für die breite Käuferschicht. Das ist heute überhaupt nicht mehr gegeben. Da müssen die europäischen, vor allem die deutschen Hersteller wieder hin. Denn noch krankt es in Deutschland an preisgünstiger Elektromobilität. Wer hier, wie ich finde, einen wirklich guten Aufschlag macht, ist Renault mit dem neuen vollelektrischen R5. Das ist ein Auto, was emotional anspricht und preislich zumindest mal in die Region kommt, die für breitere Käuferschichten realisierbar scheint. Ein wirklich guter Move von Renault. Und der Wagen ist auch sehr gut gemacht. Ich habe erst gestern in einem gesessen. Gebaut ist er übrigens im nordfranzösischen Douai.

Frankreichs E-Automarkt wächst, wenn auch leicht gedämpft, weiter. In Deutschland gestaltet sich die Nachfrage nach E-Autos rückläufig. Der VDA rechnete Anfang Oktober mit einem Jahresabsatz von 372.000 reinen Batteriewagen, 29 % weniger als im Vorjahr. Werden die EU-Zölle diesen Trend verstärken?

Grundsätzlich müsste man diese Frage mit Ja beantworten, wobei offen ist, in welchem Markt chinesische Hersteller die erhobenen Zölle in welcher Höhe an den Endkunden weitergeben. Wenn es aber in einem Markt weniger Angebot für preisgünstige Elektroautos gibt, dann ist klar, dass auch weniger Menschen einen solchen Kauf tätigen werden. Es sei denn, der Preis spielt keine Rolle. Wenn wir aber einmal unterstellen, dass für den Endkunden eine Preiserhöhung um zehn Prozent die Konsequenz sind, dann wird das gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten die Nachfrage sicher nicht erhöhen. Insofern erweisen wir damit dem Ziel der zunehmenden Elektrifizierung im motorisierten Individualverkehr sicherlich einen Bärendienst.

Sie sprechen regelmäßig mit der deutschen Automobil- und Zulieferindustrie: Welches Stimmungsbild nehmen Sie zu diesem Themenkomplex wahr? Und wozu raten Sie?

Nach meiner Wahrnehmung ist die aktuelle Stimmung in der deutschen Automobil- und Zulieferindustrie durchaus sehr angespannt. Wir sehen quasi wöchentlich Insolvenzen von Zulieferunternehmen. Die Pläne zum Arbeitsplatzabbau sind in Deutschland bei allen großen Spielern, OEM und große First Tier Zulieferer, quasi täglich in der Presse und damit bekannt. Zudem finden massiv Produktionsverlagerungen, aber auch Verlagerung von indirekten Funktionen, wie beispielsweise Einkauf, statt – unter anderem nach Asien. Das zeigt aus meiner Sicht, wo die Reise hingeht. Ich rate dazu, frühzeitig Transformationsprozesse einzuleiten, frühzeitig das Innovationsportfolio umzustrukturieren und auch frühzeitig die Restrukturierungen des Standort- und Produktionnetzwerks anzustoßen – verbunden mit der Restrukturierung des Overheads. Denn auch wenn man mit Fug und Recht sagen kann, dass die Stimmung schlecht ist: Damit ist nicht auch gesagt, dass die Vorzeichen durchgängig schlecht sind oder es sein müssen.

Die E-Auto-Zölle sollen nun fünf Jahre lang ziehen – verhandelt wird aber weiterhin zwischen Deutschland und China. Sie kennen die Automotive-Branche beider Länder sehr gut. Womit rechnen Sie?

Stand heute ist es Spekulation, ob diese fünf Jahre tatsächlich der Zeitraum sein werden, Ich halte diese Entscheidung nicht für final. Ich denke, da wird sich noch einiges bewegen. Klar erscheint mir aber, dass allein durch die Vielzahl der chinesischen Hersteller und auch den Markteintritt hochinnovativer neuer Spieler aus dem Bereich der Digital Industries – so wie Baidu oder Xiaomi – die Innovationskraft der chinesischen Spieler hoch bleiben wird. Allerdings erwarte ich in China eine Konsolidierung der OEM Landschaft. Das wird sicherlich nicht bei über 150 Unternehmen bleiben.

Last but not least: Wenn jetzt die USA denselben Weg einschlagen und massive Strafzölle auf chinesische und EU-Importe erheben würden: Wie denken Sie, werden sich die deutsch-chinesischen Beziehungen entwickeln? Freuen sich Dritte?

Wenn es so kommt, wie es die Trump-Administration zumindest kommuniziert hat, wird Deutschland im industriepolitischen Kontext – und das meine ich nicht nur für die Automobilindustrie – sicherlich irgendwann Farbe bekennen müssen. Denn die Themen werden sich zunehmend stärker polarisieren. So ist es auch durch Trump intendiert: Er will von Zentraleuropa – und von Deutschland als maßgebliches Land innerhalb der EU – ein Bekenntnis: USA oder China? Zunächst aber bleibt abzuwarten, was denn tatsächlich in den USA ab dem nächsten Jahr passiert. Und in welchem Umfang dann Zölle auf Importe erhoben werden. Ich denke, die deutsche und europäische Automobilindustrie werden diese Zölle nicht nach China treiben. Sie werden aber mit Sicherheit dazu führen, dass sich Märkte stärker abschotten. Und dazu, dass Hersteller eigene Werke in den USA bauen, so wie VW in Chattanooga, BMW in Spartanburg und Mercedes in Tuscaloosa.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Zeller.

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