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StaRUG x Leoni AG: Wie hat der Case die Restrukturierungspraxis verändert?
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Der Case StaRUG x Leoni AG schreibt Sanierungsgeschichte. Genauer liegt mit ihm ein Paradigmenwechsel vor. Laut Zusammenfassung des Restrukturierungsplans belief sich die Erlöserwartung für die Plan-betroffenen Aktionäre im nächstbesten Alternativszenario auf 0%. So etwas hat es noch nie gegeben. Wie wirkt sich der Fall seither auf die Restrukturierungspraxis aus? Wer sind die Gewinner, wer die Verlierer? Und welche Chancen oder Risiken hält StaRUG für GmbHs bereit? Darüber berichtet Ralf Ehret, Partner und Head of Debt Advisory.

StaRUG, das Unternehmensstabilisierungs- und Restrukturierungsgesetz, ist seit Januar 2021 in Kraft und längst etabliert. Wie war das Leben vor StaRUG? Und was bietet das Gesetz Unternehmen in Krisensituationen mehr als andere?

Das Leben vor StaRUG bot Unternehmen genau zwei Möglichkeiten: Entweder sie einigen sich mit all ihren Stakeholder-Gruppen oder sie gehen in die Insolvenz. Mit StaRUG gibt es ein weiteres Sanierungs-Tool aus der Restrukturierung: Es ist kein Insolvenz- sondern ein vorinsolvenzliches Verfahren. Somit hat es ein Stück weit auch nicht das "Stigma des Scheiterns", was den klassischen Insolvenzverfahren hierzulande immer noch anhaftet. Im StaRUG hat man die Möglichkeit – sofern man im Unternehmen ein Krisenfrühwarnsystem implementiert hat – gewisse Maßnahmen zur Bilanzkorrektur vorzunehmen. Das gilt für an sich gesunde Unternehmen. Unternehmen, die ein stabiles Geschäftsmodell, aber beispielsweise zu viele Schulden haben.

Sie sagen "gewisse Maßnahmen" und es heißt auch, StaRUG könne nicht alles: Bestehende Verträge, für Mieten beispielsweise, können via StaRUG nicht angepasst oder ausgesetzt werden. Auch Arbeitnehmerrechte werden nicht geschützt. Hat das Gesetz aus Ihrer Sicht Lücken?

Als StaRUG in seinen Anfängen diskutiert und skizziert wurde, war ich kein Freund davon. Genau wegen der genannten Punkte: Man kam nicht an negative Verträge heran. Man konnte sie nicht anpassen. Man konnte in der Restrukturierung nur bestimmte Gruppen einbinden. Aber tatsächlich ist das Tool auch gar nicht dafür gemacht, das zu können. Man sollte sich fragen, warum der Gesetzgeber das Gesetz überhaupt geschaffen hat. Und es ist ja so: Damit ein Unternehmen ins StaRUG-Verfahren gehen kann, darf maximal eine drohende, nicht aber eine akute Zahlungsunfähigkeit bestehen. Denn wenn ein Unternehmen erst zahlungsunfähig ist, dann muss es auch innerhalb bestimmter Fristen einen Insolvenzantrag stellen. So gerät es nicht in die Haftung. Für ein StaRUG-Verfahren allerdings müssen Unternehmen noch manövrierfähig sein. Sie müssen ein intaktes Geschäftsmodell haben, aber eben auf der Passivseite – warum auch immer – Restrukturierungsbedarf aufweisen. Das hat der Gesetzgeber bewusst so gewählt.

Es gibt einige AGs, unter anderem Gerry Weber, Softline und Branicks Group, die das StaRUG-Verfahren genutzt haben. Wir sprechen heute über den Fall Leoni AG. Was ist für Sie das Besondere an diesem Case?

Das StaRUG hat ideal auf den Ausgangspunkt von Leoni gepasst. Es gab verschiedene Kapitalmarktinstrumente und sehr unterschiedliche Interessenlagen auf der Gläubigerseite. Das große Plus des StaRUG als nicht insolvenzliches Verfahren ist letztendlich, dass opponierende Gläubiger über entsprechende Mehrheiten in den Gläubigergruppen mitgezogen werden können. Opponierende Gläubiger können beispielsweise Schuldscheingläubiger sein, die von Hedgefonds aufgekauft wurden und sich gegen entsprechende Maßnahmen wehren. Sie können gesetzlich, über Mehrheiten von mindestens 75% Prozent, gegen ihren Willen mitgezogen werden. Dafür gibt es enge gesetzliche Voraussetzungen.

Die da wären?

Die Gläubiger müssen im Verfahren besser gestellt werden als in der nächst schlechteren Variante. Und beim StaRUG-Verfahren ist diese meistens die Insolvenz.

Dann eignet sich StaRUG also auch, um opponierenden Gruppen zu drohen?

Vor Leoni hat man das tatsächlich sehr häufig gemacht. Wollte ein Gläubiger nicht bei einer außergerichtlichen, also freien, Restrukturierung mitgehen, dann wurde das Instrument StaRUG definitiv eingesetzt, um Gläubiger gegen ihren Willen mitzuziehen. Dieser Vorgang ist vergleichbar mit anderen europäischen Systemen, die es schon vor StaRUG gab – in Frankreich beispielsweise. Oder in England, wo es "Scheme of arrangement" heißt.

Bei Leoni wurde die Erlöserwartung für die Plan-betroffenen Aktionäre im nächstbesten Alternativszenario auf 0 % gesetzt. So steht es in der Zusammenfassung des Restrukturierungsplans. DER AKTIONÄR titelte im März 2023: "Leoni: Worst Case für Aktionäre". Sämtliche Aktionäre gingen, trotz aller Klagen, leer aus. Können Sie die Empörung verstehen?

Die Befindlichkeiten ja. Die Entrüstung aber, in Hinblick auf Enteignung oder Ähnliches, kann ich betriebswirtschaftlich nicht nachvollziehen. Die Gläubiger mussten Verzichte leisten – und zwar nicht unerhebliche: Sie haben im Rahmen des StaRUG-Verfahrens auf etwa die Hälfte ihrer Forderungen verzichtet. Wenn Gläubiger Verzichte in ihrer Finanzierung erleiden, dann ist das Eigenkapital schlicht weg. Das ist ein betriebswirtschaftlicher Fakt. Es ist hart, aber wenn man sich als Unternehmer irgendwo beteiligt, dann muss man mit einem Totalausfall rechnen. Das ist schlicht Unternehmerrisiko.

Wer sind die Gewinner, wenn die Aktionäre die Verlierer sind? Und wie hat es sich bei Leoni weiter entwickelt?

Gewinner ist das Unternehmen. Das darf man nicht vergessen. Denn das Unternehmen ist erheblich entschuldet. Es hat über die Zuführung neuen Geldes aber die Chance, sich entsprechend neu zu entwickeln – mit einer wieder bedienbaren Verschuldung. Bei Leoni hat der Investor Stefan Pierer die gesamte Neuausrichtung des Unternehmens mit Eigenkapital finanziert. Ansonsten wäre Leoni nicht zu retten gewesen. Über das StaRUG-Verfahren bleiben Arbeitsplätze erhalten, ebenso Standorte. Das Unternehmen kann damit weiter am Markt existieren. Insofern sind Unternehmen und Arbeitnehmer die größten Gewinner: Sie gewinnen über StaRUG Zukunftsfähigkeit.

Es braucht beim StaRUG aber auch immer jemanden, der die Restrukturierung am Ende des Tages bezahlt.

Absolut. Im Fall einer Aktiengesellschaft, wie Leoni, hat die Übernahme durch einen Eigenkapitalgeber nicht nur dazu geführt, dass die Altaktionäre leer ausgegangen sind: Leoni wurde auch parallel von der Börse genommen. Früher musste man den Altaktionären im Rahmen solcher Restrukturierungen – obwohl deren Anteile betriebswirtschaftlich auch wertlos waren – eine Art "Zustimmungsprämie" bezahlen. Ich erinnere mich an verschiedene Insolvenzpläne in klassischen Insolvenzverfahren, bei denen den Altaktionären noch eine Art Restanteil im Zuge des Insolvenzplans zugestanden wurde.

Wofür steht der Case StaRUG x Leoni AG abgekürzt? Und was hat sich seither in der Restrukturierungspraxis verändert?

Leoni war ein Fall, der die Restrukturierung in Deutschland neu geschrieben hat. Zum einen aufgrund seiner Auswirkungen, zum anderen aufgrund der Art und Weise, wie das Verfahren – als erstes großes börsennotiertes Verfahren – durchgeführt worden ist.

Leoni ist eine Aktiengesellschaft. Wie sieht es mit der Anwendung von StaRUG bei GmbHs aus? Welche Chancen oder auch Risiken bestehen dort?

Die Chancen und Risiken sind in der Rechtsform unterschiedlich gelagert. Beispielsweise wurde bei Leoni AG höchst richterlich entschieden, dass das Management nicht die Zustimmung der Hauptversammlung benötigt, um das StaRUG-Verfahren anzuwenden. Bei einer GmbH geht das noch nicht 1:1. Dort ist die Geschäftsführung grundsätzlich weisungsabhängig von den Gesellschaftern – gerade bei einem derartigen Eingriff ins Unternehmen wie bei einem Neuordnungsverfahren. Wenn eine Geschäftsführung ein StaRUG-Verfahren anstrebt, wäre es beispielsweise denkbar, dass die Gesellschafter Klage erheben.

Sie sagen, der höchst richterliche Beschluss sei für GmbHs "noch nicht" gegeben. Heißt das, Sie rechnen in Zukunft damit?

Ich denke, es wird auch Fälle bei größeren GmbHs geben, bei denen aber die individuelle Konstellation ausschlaggebend sein wird. Die Gerichte werden sich dann jede einzelne Situation anschauen müssen. Denn es liegt ja auf der Hand, dass die Interessen einer GmbH-Geschäftsführung und die der Gesellschafter durchaus unterschiedlich sein können. Die Geschäftsführung einer GmbH hat Haftungsrisiken und erachtet es als ihre Pflicht, das Unternehmen über ein StaRUG-Verfahren liquide zu halten. Ihr gegenüber stehen die Gesellschafter, die der Geschäftsführung drohen, sie aufgrund von rufschädigendem oder missbräuchlichem Verhalten zu entlassen. Altgesellschafter über ein StaRUG-Verfahren aus dem Unternehmen zu drängen, ist deutlich komplexer als bei einer AG, bei der es eben keiner Zustimmung der Hauptversammlung bedarf. Das ist der große Unterschied zwischen den Rechtsformen. Da wird es interessant sein, wie die Gerichte das je nach Fall erwägen und entscheiden.

Beraten Sie selbst aktiv zu StaRUG?

Der erste Schritt ist immer eine konsensuale Restrukturierung. Aber StaRUG ist klar ein neues Tool, das man je nach Ausgangslage nutzen kann. Bei der GmbH muss man noch etwas tiefer einsteigen und herausarbeiten, wie man mit möglichen Haftungsrisiken umgeht. Aber ja, in Fällen, bei denen es nicht sicher ist, ob zuletzt alle Beteiligten die Restrukturierung begleiten werden, berate ich unmittelbar zur Option StaRUG – natürlich immer nach sorgfältiger Prüfung der Konstellation und anderer Faktoren.

Welches Learning aus dem Case Leoni AG erachten Sie als bitter?

Die Kehrseite sind sicherlich die Kosten, die im Fall Leoni AG aufgewendet werden mussten. Sie waren immens. Juristinnen und Juristen, gerichtliche Begleitung, Vorprüfungen, dokumentäre Erstellungen, Gutachten, Szenarienrechnungen, der Restrukturierungsplan: Der Case Leoni x StaRUG war aufwändig und kostenintensiv. Nun wird nicht jeder Fall so komplex sein – mit Börsennotierung und Kapitalmarktprodukten. Nichtsdestotrotz: Die Kosten sollten dem Case wirtschaftlich entsprechen.

Sehen Sie – außer den genannten Vorteilen für Leoni – weitere positive Learnings für andere Unternehmen?

Ein positives Learning ist sicher, dass Unternehmen – sofern ihre Börsennotierung keinen Sinn mehr für sie macht –  in letzter Konsequenz auch von der Börse genommen werden können. Denn viele Unternehmen sind vor zehn oder 15 Jahren an die Börse gegangen, haben dort aber nicht wirklich reüssiert. Sie haben sich aufgrund ihrer momentanen Situation auch kein Geld an der Börse besorgen können. Sie haben nur Auflagen. Beispielsweise was die Quartalsberichterstattung, die Kommunikation mit dem Kapitalmarkt, die Durchführung von Hauptversammlungen betrifft. Ich würde behaupten, dass es heute an den Nebenmärkten ganz viele Titel gibt, die eigentlich gar nicht mehr an die Börse gehören. Sie führen ein stiefmütterliches Dasein und sind unattraktiv für Börsenanleger. Im Rahmen eines StaRUG-Verfahrens aber könnte man überlegen, diese Firmen von kapitalstarken Investoren übernehmen zu lassen. So können sie über neue Investitionen neu belebt und zukunftsfähig gemacht werden.

Welchen wichtigen Gedanken möchten Sie abschließend teilen?

Wichtig ist, dass jeder Einzelfall individuell auf die Sinnhaftigkeit eines Einsatzes von StaRUG geprüft wird. Und auch, wie das wirtschaftlich beste Ergebnis für Unternehmen und Stakeholder erzielt werden kann. StaRUG ist ein durchaus nützliches Instrument – insbesondere dann, wenn einzelne Beteiligte ihre Zustimmung aus unlauteren Gründen verweigern, beispielsweise eine erpresserische Haltung einnehmen, um einen Vorteil aus der Situation zu ziehen. In der Insolvenz ist das gar kein Problem: Dort gibt es ein Obstruktionsverbot. Außerhalb solcher Verfahren gab es das in der Vergangenheit aber nicht. Da war es den freien Märkten und dem Ausgleich der Kräfte überlassen. Jetzt aber, mit StaRUG, kann man, wenn man ein solches Mandat rechtzeitig erhält, auch den Ausgang des Falls besser gestalten.

Und das ist auch mein Schlusswort: Ein StaRUG-Verfahren muss rechtzeitig vorbereitet werden. Das heißt: Zum einen muss das Unternehmen noch liquide sein, zum anderen muss eine gewisse Zeit gegeben sein, um einen Plan zu entwickeln, die Kommunikation mit allen Stakeholdern aufzunehmen und vieles mehr. Deswegen rate ich Unternehmen immer, eine vernünftige Risikofrüherkennung zu betreiben und eine realistische Einschätzung darüber zu haben, in welcher Situation sie sich wirklich befinden. Auch hier ist das Timing, wie überall in der Restrukturierung, ein Schlüssel.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Ehret.

 

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