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Strukturelle Transformation im Double Dip: Wie kann sie finanziert werden?
14:05

Drohender Double Dip, pressierende Transformation, bremsende Banken: „Veraltete Finanzierungskonzepte helfen jetzt kaum weiter”,weiß Ralf Ehret, Partner und Head of Debt Advisory bei enomyc. Oft sind sie suboptimal, instabil, nicht auf die aktuellen Risiken oder den zukünftigen Bedarf des deutschen Mittelstands ausgelegt. Dass alternative Finanzierungsquellen jetzt boomen, wundert nicht. Aber was müssen Unternehmen jetzt antizipieren, um früh, ehrlich und clever zu handeln? Ein Blick auf Worst Cases und Traumszenarien eines Debt Advisors.

Herr Ehret, Sie kennen die Finanziererlandschaft seit mehr als 25 Jahren, sind gelernter Banker, heute Debt Advisor. Wie erleben Sie das aktuelle Finanzierungsklima?

Als sehr vorsichtig, unsicher und streng. Die Banken und Kreditversicherer agieren sehr zurückhaltend. Die schwache Konjunktur, geopolitische Situation und Zolldämpfer machen Planungen extrem schwer. Das verunsichert auch die Unternehmen. Schließlich wissen auch sie nicht, was als Nächstes passiert. Zusätzlich erleben wir eine historische strukturelle Transformation, die wir in dieser Form bislang nicht kannten.

Sie meinen den Umbruch in der Automobilbranche.

Ja, die Schlüsselbranche Deutschlands, aus der sich unser Wohlstand im Wesentlichen gebildet hat, gemeinsam mit dem eng verzahnten Maschinenbau: Diese Branche bricht nicht einfach nur konjunkturell um – es geht eine strukturelle Transformation vonstatten. Das ist der Hintergrund, vor dem sich alles abspielt. Die Unternehmen zögern, größere Investitionen vorzunehmen. Gleichzeitig brauchen sie aber Mittel, um ihre Transformation voranzutreiben und ihre alten Anlagen auf dem neuesten Stand zu halten. Deutschlands Wirtschaft kommt einem Double Dip nahe. In bestimmten Industrien geht es längst nicht mehr darum, einfach nur Kosten zu senken.

Sondern?

Es geht darum, das unternehmerische Geschäftsmodell zu hinterfragen: Eine strukturelle Krise verlangt, dass Unternehmen maßgebliche Parameter ändern. Das ist kostenintensiv. Parallel ist unklar, ob dieser Weg funktioniert. Dafür haben Unternehmen auch nicht mehrere Versuche: Sie müssen jetzt überlegen, wohin ihre Reise geht und was dafür nötig ist. Auch müssen sie sich fragen, was eine Transformation sie kosten wird und ob sie sich diese überhaupt leisten können.

An dieser Stelle kommen gewöhnlich Finanzierer ins Spiel.

Nur haben die Banken ihre Kreditvergabekriterien deutlich verschärft. Sie verlangen weit mehr Informationen von Unternehmen ein als gewohnt – teils sensitive Planungen, die Firmen ihnen noch gar nicht geben können. Wie auch? Wirklich planen – das war noch nie so schwer wie im aktuellen Umfeld. Für die traditionellen Industrien, das produzierende Gewerbe, ist es eine extrem unsichere Zeit. Banken lehnen insbesondere Unternehmen ab, die sie als zu risikoreich einstufen. Auch sind sie sehr skeptisch gegenüber neuen unerprobten Geschäftsmodellen. Das alles schränkt die Finanzierungsmöglichkeiten ein – gerade für stark betroffene Branchen.

Als Debt Advisor legen Sie besonders Wert auf die Analyse der Passivseite der Bilanz. Welche Rolle spielt diese speziell bei der Finanzierung von Transformationsprozessen und neuen Geschäftsmodellen?

Ohne Liquidität keine Transformation. Eine Transformation kann kostspielig sein und muss finanziert werden – entweder mit Eigen- und / oder Fremdkapital. Das ist eine Herausforderung. Wenn Unternehmen vielversprechende Ideen oder Produkte haben und sich transformieren wollen, benötigen sie einen extrem guten Plan, mit dem sie bei Finanzpartnern aufwarten können. Die zentralen Leitfragen dafür sind: Was brauchen wir? Wie wollen wir es finanzieren? Was bringen wir an Eigenkapital mit? Welches Kapital benötigen wir von der Bank? Und trägt unser Unternehmen das? Das Erste, was zu tun ist, ist die Erstellung eines Zwei- bis Dreijahresplans, anhand dessen anschließend der Finanzierungsbedarf ermittelt wird.

Sie haben schon zahlreiche Planungen und Bilanzen mittelständischer Unternehmen gesehen. Was vermissen Sie?

Generell das richtige Timing. Echte Finanzierungsmaßnahmen ergreifen Unternehmen in den meisten Fällen viel zu spät. Ich vermisse in vielen Fällen auch eine saubere Zahlenbasis. Dass Unternehmen ihre Zahlen seriös planen, dass sie ihre Liquidität tracken und nicht einfach alles laufen lassen. Unternehmen brauchen Frühindikatoren in ihrer Unternehmensplanung. Oft finde ich aber eine unzureichend geprüfte oder veraltete Passivseite vor. Das Controlling ist zum Teil nicht gut genug eingerichtet, verwendet noch Excel-Listen statt professioneller Planungssysteme. Fehlen aber eine integrierte Planung und entsprechende Controlling-Systeme, dann riskieren Unternehmen eine hohe Fehleranfälligkeit. In diesen Fällen muss externe Expertise hinzugezogen werden, um überhaupt erst Transparenz und eine solide Planung zu erstellen. Das ist sehr zeitintensiv.

Welche Schwachstellen fallen Ihnen noch auf der Passivseite auf?

Dass einige Mittelständler ihre Kreditverträge archivieren statt sie laufend zu prüfen. Darin sind aber neben Zinssatz und Tilgungsmodalitäten auch bindende Kreditklauseln, sogenannte Covenants, aufgeführt. Diese Grenzen müssen fortlaufend überwacht werden. Ein Covenant-Verstoß gibt Banken das Recht, Kredite zu kündigen oder neu zu verhandeln. Viele Mittelständler werden aber erst dann aktiv, wenn Vertragspflichten schon verletzt wurden und dadurch Kredite gefährdet sind – oft viel zu spät, um noch eine geordnete Refinanzierung sicherzustellen.

Woran liegt das? Unterschätzen diese Unternehmen schlicht ihre Situation?

Ja, und sie planen oft zu optimistisch mit ihrer Hausbank. Sie glauben, diese würde die bestehenden Kredite schon prolongieren und gut. So ist es aber nicht. Und dann kommen Unternehmen sehr überrascht aus Bankengesprächen zurück. Sie sind verärgert über die zahlreichen Fragen und Informationen, die bankenseitig zur Prüfung eingefordert werden. Kein Unternehmer gibt zum Beispiel gern eine Vermögensaufstellung ab, das ist ein sehr sensibler Bereich. Die Banken haben solche Informationen auch nie zuvor abgefragt. Das erbost jetzt viele Unternehmer. Insgesamt wird es dann emotional, so entstehen erstmalig Friktionen.

Was ist die Folge?

In vielen Fällen verzögert sich dadurch der gesamte Prozess. Besonders tragisch wird es, wenn Unternehmen nach wochenlangen Gesprächen eine Absage von ihrer Bank erhalten. Dann ist sehr wertvolle Zeit vergeudet. Wenn es die Liquidität des Unternehmens dann nicht mehr hergibt, kann es schnell gefährlich werden. Deswegen ist auch das erste, was ich in einem „Passivseiten-TÜV” prüfe, wie viel Liquidität noch vorhanden ist – und auch, wie lange sie ausreichen wird, wenn sich an den wirtschaftlichen Grundvoraussetzungen nichts ändert, der Umsatz also konstant bleibt. Unternehmen, die aktuell in einem wirtschaftlichen Umfeld mit Nullwachstum agieren, halten bestenfalls ihren Umsatz. Viele aber haben Überkapazitäten durch die Stagnation, was wiederum auf den Preis drückt. Hier wird es dann wirklich brenzlig.

Sie sprechen immer wieder den Faktor Zeit an. Wie lange dauert es in der Regel, bis ein Unternehmen in einer solchen Situation eine Re-/Finanzierung erhält?

Das geht nicht innerhalb weniger Wochen. Bankverhandlungen über auslaufende Kredite oder Neufinanzierungen dauern zwischen drei und neun Monaten. Wenn Ende Juni nächsten Jahres Kredite fällig werden, dann muss ein Unternehmen spätestens im vierten Quartal des laufenden Jahres beginnen, zu strukturieren, was es von den Banken benötigt – und auch, welche Planung es hat, um den Banken einen entsprechenden Finanzierungsantrag zu präsentieren. Ich habe Fälle erlebt, in denen in weniger als vier Wochen Kreditlinien auslaufen sollten und die Bestandsbank eine Verlängerung ablehnte. Das Unternehmen riskierte so, dass ihm Kreditlinien gestrichen, gekürzt oder sogar gekündigt wurden. Eine Kündigung ist die Höchststrafe, das muss verhindert werden. Und das schafft ein Unternehmen in einer schwierigen Situation nicht allein.

Kommt Debt Advisory im deutschen Mittelstand an?

Was in Konzernen längst die Regel ist, weil sie es sich natürlich entsprechend leisten können, ist gerade dabei, auch im deutschen Mittelstand anzukommen – wenn auch noch langsam.

Wie oft kommen Unternehmen aktiv und auch rechtzeitig auf Sie zu?

In den seltensten Fällen. Die meisten haben eine kaufmännische Geschäftsführung, die glaubt, es noch aus eigener Kraft zu schaffen, an Re-/Finanzierungen zu gelangen. Deswegen entscheiden sich auch noch viele, den Weg zunächst allein zu gehen.

Parallel ändert sich diese Haltung aber auch?

Ja, inzwischen wenden sich auch Unternehmen an uns – zwar weniger von sich aus, aber weil ihnen ihre Bank signalisiert hat, sie nicht länger uneingeschränkt zu refinanzieren. Einige Banken raten dann explizit zu Debt Advisory, denn mit dieser Expertise haben Unternehmen eine deutlich höhere Wahrscheinlichkeit, eine Finanzierung zu erhalten. In einem Fall passierte das neun Monate vor Ablauf einer Kreditlinie. Die Bank teilte dem Kunden mit, abgelöst werden zu wollen. Ich bekam das Mandat und fand innerhalb von sechs Monaten eine alternative Finanzierung. Dieser Kunde hatte Glück, denn nicht jedes Unternehmen erhält so einen Weckruf. Viele melden sich erst, wenn ein Covenant-Bruch vorliegt und die Sanierung beginnt. Dann hat ein Unternehmen aber nur noch bedingt Spielraum, um die Situation zum Guten zu wenden. Das Zeitfenster ist dann sehr klein, um noch alternative Finanzierer ins Boot zu holen.

Es scheint, als würden Unternehmen mit konventionellen Finanzierungsbausteinen zunehmend an Grenzen stoßen. Sie nennen alternative Finanzierungsquellen. Zu welchen raten Sie aktuell und warum?

Eine One-fits-all-Lösung gibt es nicht. Finanzierung ist immer individuell auf das jeweilige Unternehmen zugeschnitten. Was aber alle brauchen, ist ein stabiles Finanzierungskonstrukt. Daran haben auch die Banken ein berechtigtes Interesse. Zu den wichtigsten Playern im aktuellen Refinanzierungsmarkt zählen insbesondere Family Offices, Mezzanine-Kapital, spezialisierte Private Debt Fonds und verschiedene Formen der Asset-Finanzierung. Auf zuletzt genannte lege ich bei der Betrachtung der Bilanz einen besonderen Fokus: Welche Vermögenswerte besitzt das Unternehmen? Wie hoch ist deren Bewertung? Welche Rechte – wie etwa Grundschulden – lasten bereits darauf? Unternehmen können beispielsweise Leasing-Themen angehen: Waren, Grundstücke, Gebäude, Maschinen oder Anlagen beleihen. Das ähnelt der Finanzierungsmethode Sale-and-Lease-Back. So schaffen Unternehmen kurzfristig Liquidität, ohne die Nutzung der Vermögensgegenstände einzuschränken. Diese Methode gilt aktuell als eine der besten Möglichkeiten, um schnell und bilanzneutral Kapital freizusetzen.

Was war ein wahrer Worst Case in Ihrer bisherigen Laufbahn?

In einem Case verschwieg der Klient, dass er die Entnahmebeschränkung verletzt hatte. Abgesehen davon, dass es ein klarer Vertragsbruch war, fehlte dem Unternehmen in der Krise Liquidität. Für den Ausgleich der Differenz wäre wieder die Bank über ihre Kontokorrentlinien in Anspruch genommen worden. Genau das versuche ich als Debt Advisor zu vermeiden. Es ist nur menschlich, Taten, auf die man nicht stolz ist, unter den Teppich zu kehren. Aber ihren Debt Advisors gegenüber sollten Unternehmen unbedingt reinen Tisch machen. Ich bin als Debt Advisor neutral. Das ist der große Vorteil, denn ich kann den Schuldigen aus dem Verkehr ziehen, bis ich mit den Banken eine Klärung gefunden habe. Dafür brauche ich aber Vorwissen. Und Zeit. In einem anderen Fall setzte ein finanzierter Kunde den Kredit zur Finanzierung eines fremden Unternehmens im Ausland ein. Auch das ist ein grob fahrlässiger Verstoß gegen Kreditvereinbarungen. Er wird als Kreditbetrug gewertet. Solche Fälle kommen leider nicht selten vor und können für alle Beteiligten dramatische Folgen haben – von finanziellen Verlusten für die Banken bis hin zu strafrechtlichen Konsequenzen für die Verantwortlichen.

Was ist dagegen das Traumszenario?

Ich wünsche mir immer, noch vor der Bank eines Unternehmens darüber im Bilde zu sein, womit das Unternehmen zu kämpfen hat. Dass Debt Advisory noch vor den Bankengespräch stattfinden kann – und natürlich auch lange bevor eine Vertragsverletzung vorliegt. Denn das ist ja traurigerweise meist der Anlass, weswegen Debt Advisory hinzugezogen wird. In neun von zehn Fällen ist es dann aber tendenziell zu spät. Das Traumszenario ist auch ein wacher deutscher Mittelstand: Unternehmen, die ihre Verträge kennen, die sie regelmäßig einsehen und ihre Kreditverträge prüfen. Unternehmen sollten sich dringend bewusst machen, dass die wirtschaftliche Situation auch für die Banken schwierig ist. Ihr Fokus liegt nicht auf Gewinnmaximierung, sondern nunmehr auf Risikovermeidung.

Sie plädieren also für mehr Verständnis für Banken?

Ja, ich bin gelernter Banker und ich plädiere dafür, dass die Kreditvergabe nicht als selbstverständlich angesehen wird. Die Kreditvergabe bedarf gewisser Voraussetzungen und diese haben sich mit Blick auf die wirtschaftliche Lage verschärft. Ich plädiere dafür, dass Unternehmen sensibilisiert sind und erkennen: Durch die steigenden Insolvenzen haben Banken jetzt wieder erhöhte Kreditausfälle. Das macht sie logischerweise auch vorsichtiger. Sie betreiben aktives Portfolio-Management mit ihren Krediten. Auch das wird unterschätzt. Und wenn ein Unternehmen erst dann aktiv wird, wenn sich eine Bank bereits entschieden hat, auszuscheiden, dann wird es besonders schwierig. Das sollten Unternehmen unbedingt antizipieren.

Danke für das Gespräch, Herr Ehret.

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