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Kaum jemand erlebt Menschen und Unternehmen so im Ausnahmezustand, wie Sanierer und Restrukturierer. In Unternehmenskrisen zeigen sich oft die Abgründe, Schicksale und Charaktere aller Beteiligten.

Der Finanzexperte Ralf Ehret könnte Bücher darüber schreiben. In den letzten 30 Jahren hat er Hunderten von Unternehmer:innen geholfen, wieder auf Kurs zu kommen. Seine Laufbahn begann im Bankwesen der frühen 1980er-Jahre. Später leitete er 14 Jahre lang die Großkunden-Sanierung bei der Hypovereinsbank in München und London. Seit Juli ist Ehret Partner und Head of Debt Advisory bei enomyc.

Wofür er brennt, sind wohl kaum nur Zahlen: Es sind ganze Spannungsfelder. Klar, diese zwischen akuten Unternehmenskrisen und Stakeholder-Konflikten, Finanzrecht und operativer Restrukturierung. Viel mehr noch interessieren ihn aber die Spannungsfelder zwischen Chaos, Verzweiflung und Aufbruch.  

Warum? Was macht gute Debt Advisors aus? Und wie geht das überhaupt – wenn man mit dem Rücken zur Wand steht – ein “Growth Mindset” zu entwickeln, von dem er so gerne spricht? Ein Gespräch über Probleme als folgerichtige Lebensaufgaben und Chancen fürs persönliche Wachstum.

 

Herr Ehret, Herausforderungen sind Ihr Geschäft. Welche persönlichen Herausforderungen durchleben Sie in letzter Zeit?

Ich bin im Juli zu enomyc gewechselt, um die Business Unit "Debt Advisory" aufzubauen. Dazu haben meine Frau und ich unseren Lebensmittelpunkt um 600 Kilometer verschoben – von der Küste an den Main, von Kiel nach Frankfurt. Das ist zum einen ein persönlicher Aufbruch, ein Perspektivwechsel, der uns beide sehr freut. Zum anderen ist es natürlich eine große Umstellung. Sie verlangt Flexibilität und Organisationsvermögen.
 

Sie haben so etwas schon mal gemacht. Dafür wechselten Sie nach über 30 Jahren Bankwesen die Seiten. Warum?

Ich wollte einfach nochmal etwas Neues beginnen – meine Perspektive verändern, meinen Blick auf die neuen Bedürfnisse von Unternehmen in der Krise schärfen und mein Spektrum auf der Investorenseite erweitern. Also wechselte ich ins Private Equity. Ich wurde Geschäftsführer in einem Hamburger Family Office. Das war 2021, mitten in der Pandemie. Dort baute ich “from the scratch” ein Distressed Investment-Vehikel als Business-Model auf: von der Geschäftsstrategie über die Prozesse bis hin zur Web-Präsenz.

"From the scratch" scheint Sie zu reizen.

Ja, in Verbindung mit meinem Herzensthema “Debt Advisory” ist das eine sehr schöne Aufgabe. Ich hatte mich in der Vergangenheit sehr intensiv mit der individuellen Beratung von Unternehmen auf der Finanzierungsseite auseinandergesetzt. Deswegen sah ich in der professionellen Debt Advisory für den gehobenen Mittelstand auch einen wichtigen Geschäftsansatz. Den baue ich nun für enomyc in Frankfurt auf. Es ist wie auf einer grünen Wiese. Ich gestalte quasi alles neu und kann meine Erfahrungen und Ideen miteinbringen.


Parallel begleiten Sie Klientinnen und Klienten, bei denen die Zeichen auf Rot stehen. Wo tut es aktuell am meisten weh?

Ich denke, der sensibelste Bereich ist tatsächlich die Sicherstellung der Finanzierung von Unternehmen. Durch die aktuelle Situation mit Beschaffungskrisen, mit Inflation und Kostensteigerungen lautet die Konsequenz oft: Anpassung des Working Capital. Einige Branchen sind dabei deutlich stärker als andere betroffen. Automotiv und Immobilien beispielsweise, aber auch der Groß- und Einzelhandel. Für sie ist es sehr schwer, zusätzliches Kapital am klassischen Bankenmarkt zu generieren. Die Ratings sinken, die Ergebnisse sinken. Es ist kein guter Zeitpunkt, um über neue Bankenlinien zu verhandeln.

Hier kommen Sie ins Spiel. Sie haben ihre Ausbildung im Bankwesen in den frühen 1980er-Jahren begonnen. Was genau fanden Sie schon damals so spannend am Kreditgeschäft?

Zunächst mal die Betriebswirtschaft: das Wirtschaften von Unternehmen, die gesamten Leistungsstufen und Wertschöpfungsketten. Noch spannender fand ich aber den Übertrag: dass Kredite notwendig sind, um Unternehmen am Laufen zu halten. Dass über sie Investitionen finanziert und normale Betriebsmittel gegenfinanziert werden. Die ganzen verschiedenen Kreditformen, die es in diesem Feld gibt, verbunden mit dem Firmenkundengeschäft, wurden später zu meinem größten Steckenpferd. Ich wollte dieses Wissen im Vertrieb anwenden, mit den Kunden einen Mehrwert generieren. So wurde die Verbindung aus Kredit, Firmenkunden und persönlicher Austausch meine berufliche Heimat.

War Ihnen schon zur Ausbildungszeit klar, dass Sie später Großkunden in Kreditgeschäften beraten wollen – auch in Sanierungs- und Restrukturierungsprozessen?

Ja, den Wunsch hatte ich recht konsequent von Anfang an. Nach meiner Bankausbildung und dem berufsbegleitenden Studium zum Bankfachwirt arbeitete ich bei einer Schweizer Bank in Frankfurt im Firmenkundengeschäft. Für mich war Frankfurt damals das Zentrum der Finanzindustrie. Dort entdeckte ich meine Leidenschaft fürs Corporate Banking. 1998 wechselte ich nach München zur Hypovereinsbank in die Großkunden-Restrukturierung, 2002 nach London, um auch das internationale Restrukturierungsgeschäft kennenzulernen. 2004 übernahm ich für 14 Jahre die Leitung der Großkunden-Restrukturierung und ab 2018, von Hamburg aus, für drei weitere Jahre die Leitung der regionalen Restrukturierungseinheiten in Norddeutschland, Frankfurt und Leipzig.

Wenn Sie in der Lage der Menschen wären, die Sie heute beraten: Auf welche Eigenschaften käme es Ihnen bei Debt Advisors besonders an? Was sind für Sie die drei “Go-to”-Eigenschaften”?

Integrität, Belastbarkeit, Konfliktfaffinität.

Warum nennen Sie Integrität zuerst?

Debt Advisors arbeiten in einem hitzigen Umfeld: Es müssen vielfältige Interessen unter hohem Zeitdruck in ein umsetzungsfähiges Konzept übertragen und verhandelt werden. Persönliche Integrität ist dafür eine Grundvoraussetzung. Sie schafft erst die breite Akzeptanz und das Vertrauen auf der gesamten Stakeholder-Ebene. Für den Job braucht es viel Erfahrung, Ausdauer und Durchsetzungsvermögen. Das alles spiegelt sich in der persönlichen Integrität wider. Ich nannte zusätzlich hohe persönliche Belastbarkeit und – last, but not least – eine gewisse Konfliktaffinität. Denn um ihre Aufgabe zu lösen, werden Debt Advisors in exponierter Stellung fast zwangsläufig einzelnen oder auch mehreren Stakeholdern auf die Füße steigen müssen. 
 

Das haben Sie sicher auch schon gemacht. Immerhin haben Sie mehrere Hundert Fälle – oft auch als Konsortialführer – begleitet. Gibt es Geschichten aus den letzten 25 Jahren, die Sie bis heute nicht loslassen?

Nur sehr vereinzelt. Als Sanierer habe ich die gesamte Bandbreite an Charakteren in der Krise kennengelernt: von überlegt und rational bis zutiefst emotional und cholerisch. Von Tricksen, Lügen, Betrügen und Bedrohen bis hin zu Unternehmer:innen, die aus Krisen wie Phönix aus der Asche hervorgingen. Auch stand ich als Sanierer immer mal wieder vor Gericht – als Zeuge eines Strafbestands, weil Klienten kriminell relevante Straftaten während ihres Wirtschaftens begangen hatten. Es erschwert die Arbeit schon sehr, wenn parallel die Staatsanwaltschaft ermittelt.  


Gleichzeitig merkt man Ihnen an, dass Sie sich richtig wohl fühlen in diesem Spannungsfeld zwischen akuten Unternehmenskrisen, Stakeholder-Konflikten, Finanzrecht und operativer Restrukturierung.

Das ist tatsächlich so. Wenn ich Fälle bekomme, in denen völliges Chaos herrscht – Unverständnis, Wut, Intransparenz – bin ich in meinem Element wie der Skipper im Sturm. Ich bringe mit meiner Erfahrung und meinem Hintergrund schnell Ruhe in die Situation, lenke den Fokus auf die Sache, entwickle klare Ideen und öffne sukzessive den Dialog. Nach dem Chaos folgt oft die Verzweiflung. Aber eben auch der Aufbruch: Ich habe sehr viele Krisenfälle erlebt, in denen Gesellschafter:innen und einzelne Beteiligte aus dem Management einen unglaublichen Wandel vollzogen haben.  


Wie haben sie das geschafft?

Indem sie ein Growth Mindset entwickelt haben.

In anderen Worten?

“Growth Mindset” steht für eine bestimmte dynamische Einstellung gegenüber Problemen und Krisen. Sehen wir in Problemen lästige Hindernisse? Oder vielleicht sogar folgerichtige Lebensaufgaben? Lassen wir uns durch Krisen ausbremsen? Oder ergreifen wir durch sie die Chance für unser persönliches Wachstum? Die Unternehmer:innen, die ich eben ansprach, entschieden sich, an der schwierigen Aufgabe zu wachsen.


Wie gelingt diese Einstellung?

Nur wenn man in Krisen Bewährungsproben und Chancen sieht. Menschen durchlaufen durch Krisen ganze Persönlichkeitsentwicklungen. Ihre Werte, ihr Charakter, ihr Selbstbewusstsein werden auf die Probe gestellt. Es ist ein Lernprozess, bei dem man aber nichts zu verlieren hat und bei dem man auch nicht scheitern kann. Mit dieser Einstellung, dieser Erkenntnis, kann es gelingen.


Auch wenn man mit dem Rücken zur Wand steht? Wie kann man inmitten einer Krise gezielt ein Growth Mindset entwickeln?

Max Frisch hat gesagt: "Krise ist ein produktiver Zustand. Man muss ihm nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen." Ich finde, das trifft es extrem gut: Man sollte nicht bei jeder Krise in den Dimensionen von Katastrophen denken – und dann auch noch solches Vokabular verwenden. Worte sind sehr entscheidend und üben großen Einfluss auf die Stimmung und unser Unterbewusstsein aus.

Zunächst also in Chancen denken, dann das Drama rausnehmen und auf das Wording achten. Was hilft noch?

Sich auf einen Perspektivwechsel einlassen zu können. Dazu muss man die problematische Phase oder Situation, in der man gerade steckt, erkennen – oder vielmehr noch: sie akzeptieren. Das macht die Sache erst dynamisch. Dann erst kann auch Wachstum passieren. Vermessen ist dagegen, die Dinge so weiterzumachen wie gehabt. Zu meinen, man sollte keinen neuen Ansatz verfolgen. Krisen sind außergewöhnliche Vorgänge in der Unternehmensführung. Probleme können nicht in derselben Weise gelöst werden, wie sie entstanden sind.

Haben Sie noch einen abschließenden Tipp?

Ich habe zwei, die miteinander zusammenhängen. Der erste ist, sich von falschen Glaubenssätzen zu trennen: "Ich kann das nicht" oder "Ich schaffe das nicht". Es ist sehr anstrengend, diese Einstellung in Krisensituationen abzulegen, wo man doch am liebsten davonlaufen würde – was menschlich und nachvollziehbar ist – aber eben keine Lösung. Deswegen empfehle ich zusätzlich, sich ein Umfeld aus Menschen zu schaffen, die Expertise haben und die einen durch die Krise begleiten. So hat man enorme Chancen, auch persönlich an Herausforderungen zu wachsen.  
 

Sie sprechen das Umfeld an. Prägt Ihr Umfeld auch Ihre Art, Menschen zu beraten? Ihre Frau ist Psychologin.

Psychologie ist immer vorhanden, wenn man mit Menschen arbeitet. Auch ich muss in meinem Job einschätzen, mit was für einem Charakter ich arbeite und wie ich mein Gegenüber erreichen kann. Da lerne und profitiere ich von meiner Frau, keine Frage. Es bleibt aber am Ende, wie ich es immer nenne, "Küchenpsychologie". Ich habe Psychologie nie studiert, interessiere mich aber dafür, weil ich mich für Menschen interessiere. Könnte ich nicht Spaß und Freude an der Zusammenarbeit mit Menschen entwickeln, dann könnte ich auch den Job eines Debt Advisors nicht machen.

Danke für das Gespräch, Herr Ehret.

 

 

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