Eine von vier Insolvenzen ist auf Zahlungsverzug zurückzuführen. Vor allem im Geschäftsverkehr zwischen großen Schuldnern und kleinen Gläubigern kommt es wegen langer Zahlungsziele immer wieder zu Problemen. Die Folge: Gerade KMU, die auf vorhersehbare Geldströme angewiesen sind, können ihre eigenen Lieferanten erst verspätet bezahlen, haben höhere Finanzierungskosten und weniger Spielraum für Investitionen. Mit einer Verordnung zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr will die Europäische Kommission für mehr Fairness sorgen. Außerdem will sie die Wettbewerbsfähigkeit und Widerstandskraft von mittelständischen Unternehmen erhöhen. Das klingt gut, hat aber auch seine Schattenseiten, so das Urteil von Marc Fahrig und Ralf Ehret. Die Experten erläutern, worauf sich Unternehmen jetzt einrichten sollten.
Die Regelung, über die der Europäische Binnenmarktausschuss am 20. März 2024 abgestimmt hat, gilt für Zahlungen in Transaktionen zwischen Unternehmen (B2B) oder zwischen Unternehmen und öffentlichen Stellen (B2G), bei denen die öffentliche Stelle der Schuldner ist und die zur Lieferung von Waren oder zur Erbringung von Dienstleistungen gegen Entgelt führen („kommerzielle Transaktionen“).
Bestimmte Zahlungen sind von dieser Verordnung ausgenommen. Darunter fallen beispielsweise Zahlungen für Transaktionen mit Verbrauchern, Zahlungen als Schadensersatz sowie Zahlungen, die aus Verpflichtungen resultieren, die im Zusammenhang mit Insolvenz- oder Restrukturierungsverfahren stehen.
Was wurde beschlossen?
Nach der Abstimmung des Binnenmarktauschusses Ende März ergibt sich aus Sicht von verschiedenen beteiligten Verbänden, etwa dem Handelsverband Wohnen & Büro, aber auch nach unserer Einschätzung folgender neuer Rechtsrahmen:
- Bei kommerziellen Transaktionen beträgt die Zahlungsfrist maximal 30 Kalendertage ab dem Datum des Eingangs der Rechnung oder einer gleichwertigen Zahlungsaufforderung durch den Schuldner, sofern die Waren oder Dienstleistungen gemäß der vertraglichen Vereinbarung erhalten wurden. Wenn das Datum des Eingangs der Rechnung oder der gleichwertigen Zahlungsaufforderung unsicher ist, darf die Zahlungsfrist 30 Kalendertage ab dem Datum des Eingangs der Waren oder Dienstleistungen nicht überschreiten.
- In Transaktionen zwischen Unternehmen kann die Zahlungsfrist jedoch auf bis zu 60 Kalendertage verlängert werden, wenn dies ausdrücklich im Vertrag vereinbart wurde.
- Für den Kauf von “Langsamdrehern” oder “saisonalen Waren” wie Sommerware, Weihnachtsartikel etc. kann die Zahlungsfrist auf bis zu 120 Kalendertage verlängert werden. Die Kommission ist angehalten, vor Inkrafttreten der Verordnung noch genau zu definieren, welche Güter unter diese Definition fallen.
Im Vergleich zu Vorschlag der Kommission sind die Ergebnisse der Beratungen des Binnenmarktausschusses weniger streng und bieten Unternehmen mehr Spielraum. Dieser aktuelle Vorschlag muss nun noch das EU-Parlament passieren. Wie es danach weitergeht, ist derzeit nicht absehbar. Rund ein Drittel der Abgeordneten im Binnenmarktausschuss hat sich gegen starre Zahlungsfristen ausgesprochen und auch im Rat zeichnet sich Widerstand diverser Mitgliedsstaaten gegen die Verordnung ab.
Wie ist die Verordnung insgesamt einzuschätzen?
Nach Ansicht von Experten der SEB-Bank ist die EU-Zahlungsverzugsverordnung „ein extrem unterschätztes Thema“. Wenn die Verordnung wie ursprünglich geplant in Kraft trete, werde das signifikante Auswirkungen auf die Liquiditätssituation vieler Unternehmen haben, die bei ihren Lieferanten bisher längere Zahlungsziele hatten. So sei unter anderem zu befürchten, dass Unternehmen:
- eine Verschlechterung des Free CashFlow hinnehmen müssen,
- zusätzlichen Finanzierungsbedarf durch höhere Finanzschulden haben,
- schlechtere Finanzierungs- und Rating-KPIs wie den Financial Leverage
- und negative Auswirkungen auf Supply-Chain-Finance-Programme haben.
Die nun zuletzt vorgenommene Abschwächung der Verordnung des ursprünglichen Kommissionsvorschlags ist also erstmal positiv zu bewerten. Das angedachte strikte Zahlungsziel von 30 Tagen ist nicht mehr geplant. Verbände wie der HWB (Handelsverband Wohnen & Büro) haben in Gesprächen mit Abgeordneten des EU-Parlaments immer wieder betont, dass eine solche strikte Zahlungsfrist für verschiedene Branchen nicht geeignet sei.
Längere Zahlungsfristen sind weiterhin möglich
Umso erfreulicher ist es, dass nun weiterhin, wenn auch beschränkt, individuelle Zahlungsfristen vereinbart werden können. So besteht nun die Möglichkeit, die Zahlungsfrist auf 60 und gegebenenfalls 120 Tage auszudehnen. Hier bleibt abzuwarten, welche Branchen in die Kategorie „Langsamdreher“ fallen.
Wir empfehlen Banken und Unternehmen vor diesem Hintergrund, sich schon jetzt über den eigenen Status und die geltenden Zahlungsziele Gedanken zu machen. Außerdem sollten sie die möglichen Auswirkungen auf ihre eigene Bilanz zeitnah durch entsprechende Szenarien und Simulationen prüfen und geeignete Maßnahmen ergreifen. Gerne stehen wir Ihnen bei Fragen zum Thema mit unserem Experten-Team zur Verfügung.